Lahm muss nach Kritik am Verein zahlen, Luca Toni wird wegen seiner Flucht aus dem Stadion bestraft.

München. Philipp Lahm zog den Schoß der Familie allen Nachfragen vor. Er hatte ja schon genug gesagt vor dem Spiel. Also entschwand er ohne Kommentar im Auto seiner Eltern. Es war wohl auch ein verordneter Maulkorb der Vereinsoberen, und es war am Sonnabend nicht die einzige Abfahrt aus der Arena in München, die symbolischen Charakter hatte. Auch Luca Toni sorgte für Aufsehen, als er seinen Arbeitstag beendete. Eigenmächtig, bereits kurz nach der Pause. Weil er ausgewechselt wurde, was beim Italiener für so viel Unmut sorgte, dass er einfach davonfuhr.

Es ist bezeichnend für den FC Bayern dieser Tage, dass die Aufreger des Wochenendes außerhalb des Platzes lagen. Die Münchner jedenfalls geben in der Öffentlichkeit ein Gebilde ab, das auseinanderzubrechen droht. Die sportliche Misere, die fundamentale Kritik von Vizekapitän Lahm an der Vereinsführung und ein disziplinloser Weltmeister, der aus dem "mia-san-mia" ein "mia-san-ich" macht.

Lahm und Toni sind zwei - wenn auch sehr unterschiedlich zu bewertende - Symptome einer Krise, in der der FC Bayern steckt. Und die die Erkenntnisse aus dem 1:1 (1:1) gegen Schalke 04 nur zu einer Randnotiz werden ließen. Es war das dritte Pflichtspiel in Folge ohne Sieg. Immerhin präsentierten sich die Bayern gegenüber dem 0:2 in der Champions League gegen Bordeaux verbessert. Und auch wenn das kreative Vakuum im Mittelfeld Bestand hat, fand Louis van Gaal zumindest für die Problemposition des linken Außenverteidigers mit Holger Badstuber die bislang beste Lösung dieser Saison.

Über sportliche Belange wurde allerdings nur wenig diskutiert, es waren die Aussagen Lahms und das Trotzverhalten Tonis, die nach Kommentaren verlangten. In der "Süddeutschen" hatte Lahm die missglückte Personalpolitik und eine fehlende Philosophie angemahnt. "Vereine wie Manchester oder Barcelona geben ein System vor - und dann kauft man Personal für dieses System. So etwas gibt es bei uns nicht: dass der Verein etwas vorgibt und alles darauf aufgebaut wird. Man darf Spieler nicht einfach kaufen, nur weil sie gut sind. In der Vergangenheit lief das mit den Transfers nicht immer glücklich", sagte Lahm.

Und dass er den FC Bayern international nicht konkurrenzfähig sehe. "International brauchst du eben mindestens acht Spieler, die auf ihrer Position ausgebildet sind, Sicherheit haben. Ich sehe diese acht Spieler nicht bei uns, und das liegt nicht an den Spielern, sondern an der fehlenden Philosophie der letzten Jahre."

Das größte spielerische Manko hat der Nationalspieler im Mittelfeld ausgemacht. Nun ist das nichts wirklich Neues, doch hat keiner es öffentlich so angeprangert: "Wen soll man denn anspielen? Wo ist jemand, der mal was bewegt, der den Ball zur Seite mitnimmt, nach vorne schaut und irgendwie den Ball durchsteckt, dass man nachrücken kann? Das passiert bei uns kaum." Es waren ungewöhnlich offene Aussagen, die für große Zustimmung im Umfeld sorgten. Der Tenor: Lahm habe im Grundsatz recht, nur dass er jene Kritik ausgerechnet vor dem hochgejazzten Spiel gegen Schalke traf, verwunderte selbst Gäste-Trainer Felix Magath: "Am Spieltag so was zu veröffentlichen, das war harter Tobak."

Bayernintern haben sie die Causa Lahm zu einer Sache des Vorstandes gemacht. Anders lässt sich kaum erklären, dass keiner der Profis jenes Interview gelesen haben wollte. Dass Lahms Kritik laut Kapitän Mark van Bommel in der Kabine keine Rolle gespielt habe. Es war offensichtlich eine verordnete Regelung. So gab Manager Uli Hoeneß das Sprachrohr. Er tat es nicht in dem ihm eigenen emotionalen Ton, sondern mit ruhigen Worten, aber nicht minder verärgert. Sein Unmut gipfelte in dem Satz: "Er wird dieses Interview noch bedauern."

Hoeneß wollte gar die Handschrift von Lahms Berater Roman Grill erkannt haben. Grill dementierte und ließ ausrichten, Lahm habe jene Kritik auch schon intern geäußert.

Am Sonntag jedenfalls war Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge an die Säbener Straße geeilt, sprach mit der Mannschaft und verkündete die Sanktionen. Toni erhalte eine "empfindliche Geldstrafe" wegen "unakzeptabler Disziplinlosigkeit", und Lahm werde mit einer Geldstrafe belegt, "wie es sie in dieser Höhe beim FC Bayern noch nicht gegeben hat". Die Rede ist von deutlich über 50 000 Euro. In der Erklärung des Klubs heißt es: "Philipp Lahm hat als stellvertretender Mannschaftskapitän mit einem Interview, in dem er öffentlich den Klub, den Trainer und seine Mitspieler angegriffen hat, in eklatanter und unverzeihlicher Art und Weise gegen interne Regeln verstoßen."

Nun mag die Strafe abschreckend wirken. "Doch man merkt einfach, dass es Unzufriedenheit gibt beim FC Bayern", sagt Oliver Kahn, der einstige Kapitän. Und: "Es ist wichtig, dass es Spieler gibt, die Verantwortung übernehmen." Erst recht in Krisenzeiten wie diesen.