Dass sich die deutsche Nationalmannschaft für die WM in Südafrika direkt qualifizieren würde, stand für mich außer Frage. Das aktuelle Team gehört weiter zu den besten Welt, ich würde uns derzeit hinter Europameister Spanien, Brasilien und den unter Trainer Fabio Capello wieder erstarkten Engländern einordnen.

Grundsätzlich sage ich: Im deutschen Fußball steckt unverändert großes Potenzial. Wir haben zwar in der Regel nicht die alles herausragenden Einzelkönner, wir haben aber genug Talente, die das Spiel taktisch verstehen, um bei Welt- oder Europameisterschaften regelmäßig das Halbfinale zu erreichen. Und dann ist, wie wir wissen, immer alles möglich - inklusive Titelgewinn.

Das Spiel in Moskau hat mich in meiner Einschätzung bestätigt, dass sich deutsche Mannschaften stets steigern können, wenn es um etwas geht. Diese Fähigkeit ist neben der Einsatzbereitschaft und dem Siegeswillen eine unserer wichtigsten Tugenden bei großen Turnieren. Dass der Sieg gegen Russland aufgrund unserer schwächeren zweiten Halbzeit glücklich zustande kam, ändert nichts an dieser Bewertung. Gegen eine Mannschaft der Klasse Russlands ist es normal, nach einer 1:0-Führung - nach der man sich in der Grundordnung bewusst weiter nach hinten fallen lässt - unter Druck zu geraten. Das würde ich nicht überbewerten, weil auch ein Unentschieden nichts an unserer hervorragenden Ausgangsposition in der Qualifikation geändert hätte.

Etwas Sorgen bereitet mir die Struktur der Mannschaft. Wir haben im Mittelfeld zu viele Spieler, die von ihrer Mentalität her offensiv denken - wie ein Podolski, Schweinsteiger, Özil oder Ballack, der wegen seiner Torgefährlichkeit und Kopfballstärke in den gegnerischen Strafraum vorstoßen muss. Weil es gleich vier sind, und mit Özil (gewollt) und Podolski (ungewollt) zwei davon nur selten nach hinten arbeiten, leidet darunter die Abstimmung mit der Abwehr. Das Resultat waren diese schnellen Angriffe der Russen vor allem über Arschawin, deren Entwicklung im Mittelfeld hätte unterbunden werden müssen. Eine Abwehr sieht bei diesen Attacken schlecht aus, weil die Gegner mit hohem Tempo auf sie zukommen.

Eine Schwachstelle der deutschen Mannschaft bleibt die rechte Abwehrseite. Weder Friedrich noch den hochtalentierten Boateng halte ich hier für Ideallösungen. Boateng sehe ich eher in der Innenverteidigung, außen wird er aufgrund seiner Körperlänge gegen schnelle, wendige Spieler auf den ersten Metern immer Schwierigkeiten haben. Russlands Trainerfuchs Guus Hiddink hatte deshalb Bystrow von rechts nach links beordert, weil er um die Antrittsprobleme Boatengs wusste.

Für mich sind nach der geschafften Qualifikation nur fünf Positionen für die WM in Südafrika fest vergeben: Mertesacker als Innenverteidiger, Lahm links in der Defensive, Ballack im defensiven Mittelfeld, Schweinsteiger im rechten Mittelfeld und Özil im offensiven zentralen Mittelfeld. Im Tor hat Adler nach seinem Auftritt in Moskau leichte Vorteile gegenüber Enke, der als Favorit des Bundestrainers in dieses Jahr gestartet war. Aber auch Wiese und Neuer würde ich nicht abschreiben. Sie sind auf demselben Niveau.

Im Angriff scheint Klose bei Joachim Löw gegenüber seinen Konkurrenten einen Vorteil zu haben, den er mit wichtigen Toren rechtfertigt. Vieles wird davon abhängen, mit welchem System der Bundestrainer spielen lässt. Zuletzt schwankte er zwischen zwei Stürmern und einem wie in Moskau. Acht Monate vor Beginn der WM gibt es also noch viele offene Frage - hoffentlich nicht zu viele für eine erfolgreiche Weltmeisterschaft. Aber wie gesagt: Weltmeisterschaften sind eine Frage des Charakters - und da ist mir nach wie vor um den deutschen Fußball nicht bange.