Der Zauber des Nationaltrainers ist verflogen - die Zweifel an seinen taktischen Fähigkeiten wachsen.

Buenos Aires. Der kleine Mann rudert mit den Armen, streckt die Brust heraus und heftet sich mit trippelnden Schritten an die Fersen von Lionel Messi. "Ja, Ja! Komm, weiter!", feuert Diego Armando Maradona den enteilenden Star des FC Barcelona an. Der Trainer der argentinischen Nationalmannschaft ist in seinem Element. Mit Trillerpfeife im Mund vereint Maradona inmitten seiner Schützlinge Dirigent und Motivator in einer Person. Wenige Stunden zuvor hatte er in einem Sportsender offenbart: "Ich würde alles dafür geben, 20 Jahre jünger zu sein. Dann könnte ich gegen Brasilien spielen."

Natürlich müssen Kaká und Kollegen an diesem Sonnabend nicht fürchten, dass der legendäre, inzwischen 48 Jahre alte, Mittelfeldregisseur in der WM-Qualifikation in Rosario eine sensationelle Rückkehr auf den Rasen feiert. Knapp ein Jahr nach Amtsantritt im Oktober 2008 verrät die im Scherz getroffene Aussage dennoch einiges.

"Maradona denkt noch zu sehr als Spieler", sagt Andrés Eliceche. Er ist einer von rund 250 Journalisten, Kameraleuten und Fotografen, die sich um die Brüstung des Trainingsplatzes auf dem parkähnlichen Gelände des argentinischen Fußballverbandes AFA am Rande der Flughafenautobahn vor den Toren von Buenos Aires drängen. Für die Zeitung "Perfil" berichtet Eliceche seit Jahren über die "Selección". "Anfangs", fährt er fort, "waren die Spieler von Maradonas Aura fasziniert." Selbst für gestandene Stars sei es zunächst ein Traum gewesen, Argentiniens Fußballhelden auf dem Platz und in der Kabine gegenüber zu stehen: "Mittlerweile ist die Distanz aber weg. Die Spieler sehen Maradona nun als Trainer und erwarten von ihm Antworten."

Doch genau darin besteht Maradonas Dilemma. In seiner neuen Rolle an der Seitenlinie hat der Mann, der über sich einst sagte, er wisse manchmal selbst nicht, was er in der nächsten Viertelstunde machen werde, bislang mehr Fragen als Antworten aufgeworfen. Nach vielversprechendem Start mit Testspielsiegen gegen Schottland (1:0) und Frankreich (2:0) haben die beiden jüngsten Auswärtspleiten gegen Bolivien (1:6) und Ecuador (0:2) in der laufenden Qualifikation für die WM 2010 in Südafrika ernste Zweifel an Maradonas taktischen Fähigkeiten geweckt.

Ausgerechnet vor dem Duell mit dem Erzrivalen Brasilien läuft Argentinien nun Gefahr, erstmals seit 1970 wieder eine WM-Endrunde zu verpassen. Vier Spieltage vor Ende des südamerikanischen Turniers belegen die "Gauchos" zurzeit nur Platz vier, der das letzte Direktticket für Südafrika bedeutet.

Der Druck wächst. Maradona scheint zu spüren, dass er seinen eigenen Mythos riskiert. Im Vorfeld der Partie gegen den fünfmaligen Weltmeister hat er daher alle Register gezogen. Gegen den Willen von Verbandspräsident Julio Grondona setzte Maradona durch, dass Argentinien erstmals ein WM-Qualifikationsspiel nicht in Buenos Aires austrägt. Obwohl im 65 500 Zuschauer fassenden Nationalstadion "El Monumental" von 45 Spielen nur eins verloren wurde, bevorzugt Maradona die reine Fußballarena in Rosario "Die Brasilianer sollen den heißen Atem der Fans spüren." Sollte die Rechnung nicht aufgehen, könnte es allerdings schnell einsam um ihn werden. "Wenn wir verlieren, verlierst Du", kündigte Grondona bereits öffentlich an.

Derweil hat Messi auf dem Übungsplatz soeben sein zweites Tor erzielt. Maradona applaudiert. "Biiiieeeen!", schallt es über den Rasen. Doch ähnlich brillant wie der aktuell wohl beste Spieler der Welt an diesem Nachmittag im orangefarbenen Trainingsleibchen Regie führt, ist er im Dress der "Albiceleste" zuletzt nicht aufgetreten. Ein System mit Messi als Taktgeber hat Maradona bislang nicht entwickelt. Der Mann, der dabei helfen könnte, betrachtet das Treiben stoisch von der gegenüberliegenden Seite des Spielfeldes aus: Carlos Bilardo. Mit ihm als Trainer wurde Maradona 1986 Weltmeister in Mexiko und erreichte vier Jahre später in Italien immerhin erneut das Endspiel - beide Male gegen Deutschland.

Dem erfahrenen Weggefährten steht Maradona jedoch mittlerweile misstrauisch gegenüber. Bilardo, der sich Generaldirektor für die Auswahlmannschaft nennt, gilt als Aufpasser und Plan "B", sollte das Projekt mit Maradona scheitern. Zwar scheint dieser seine von Drogen- und Alkoholexzessen geprägte Vergangenheit endgültig überwunden zu haben, "doch bei der AFA sieht man ihn immer noch als Zeitbombe", erklärt Eliceche.

Ein Taktikhirn, wie es Joachim Löw einst für Ex-Bundestrainer Jürgen Klinsmann war, sucht man vergeblich in Maradonas Stab. Selbst das Torwarttraining ist bei ihm Chefsache. Als Messi und Kollegen nach knapp einer Stunde zum Duschen trotten, schnappt sich Maradona ein Dutzend Bälle und lässt sie aus kurzer Distanz auf Stammkeeper Andujar einprasseln.

Selbstzweifel sind Maradona fremd. Ungeachtet der vielen Anfangsschwierigkeiten als Nationaltrainer sei er von der WM-Qualifikation seiner Elf "völlig überzeugt", beteuert der 48-Jährige, als auch er schließlich den Trainingsplatz verlässt. "Ich war bei zwei Weltmeisterschaften. Ich weiß, wie man dorthin gelangt", sagt Maradona und stapft mit breiter Brust in die Kabine.