Über keine Szene wurde so kontrovers diskutiert wie über das nicht gegebene Kopfballtor des Hoffenheimers Josip Simunic.

Hamburg. Obwohl der Ball deutlich die Torlinie überschritten hatte, ließ Fifa-Schiedsrichter Babak Rafati das Spiel weiterlaufen.

Von Bayern-Trainer Louis van Gaal bis zu Schiedsrichterlehrwart Eugen Strigel fordern jetzt viele Experten den Einsatz technischer Hilfsmittel. Gedacht ist an den Einsatz einer Torkamera oder an einen im Ball implantierten elektronischen Chip, der bei Überschreiten der Torlinie reagiert.

Doch der Ausflug in die Technik ist ein riskanter Weg für den Fußball. Das Tor wäre dann weit offen für weitere elektronische Beweise. Man stelle sich nur vor, strittige Abseits- oder Elfmeterentscheidungen würden künftig während des Spiels noch analysiert und gegebenenfalls revidiert. Eine absurde Vorstellung.

Nein, der Volkssport Fußball lebt von seinen einfachen Regeln, die jeder nachvollziehen kann. Sollten die Verbände dennoch eines Tages Chip-Ball oder Torkamera einführen, müssen sie peinlichst darauf achten, dass damit das Ende der Fahnenstange erreicht ist.

Zumal Fernsehaufnahmen keineswegs immer einen so schlüssigen Beweis wie beim Simunic-Treffer liefern. Aus zwei verschiedenen Kameraeinstellungen kann dieselbe Situation völlig unterschiedlich wirken.

Gegner des Videobeweises argumentieren zudem mit dem Gleichheitsgrundsatz im Fußball. Da im Amateurbereich schon aus Kostengründen keine Hintertorkamera möglich sei, dürfe diese auch nicht im Profifußball eingeführt werden. Dies ist jedoch nicht ganz schlüssig. Schließlich führen bei den Profis schon jetzt TV-Bilder nach Fouls nachträglich zu Sperren, was bei Amateur-Spielen mangels Fernsehpräsenz undenkbar ist.

Zu kurz kommt bei der Diskussion die menschliche Fehlerkette. Babak Rafati muss sich mit seiner Crew schon die Frage gefallen lassen, warum einem so klaren Tor die Anerkennung verweigert wurde.

Doch auch die Hoffenheimer Spieler hätten sofort reagieren sollen. Sie hätten den Schiedsrichter energisch bitten müssen, Bayern-Torwart Michael Rensing zu befragen. War der Ball hinter der Linie oder nicht? Der befragte Spieler ist dann zu einer wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet - eine Lüge kann zu einer Sperre führen. Zugegeben, Rensing hätte sich wahrscheinlich mit einem "Ich weiß es selbst nicht" herausgeredet. Aber man stelle sich nur vor, Rensing hätte zugegeben, ja, der Ball war drin. Er wäre in Deutschland auf Jahre zu einem Helden geworden.

Bei aller Diskussion sei jedoch ein Stück Gelassenheit empfohlen. Solche Situation wie beim Hoffenheim-Spiel passieren pro Saison vielleicht ein- bis zweimal. Und der Fußball lebt doch auch von diesen Emotionen. Über das nicht gegebene Simunic-Tor wird auch noch in den nächsten Tagen intensiv diskutiert. Jede andere Branche in Deutschland wäre dankbar, wenn sie auf eine solche Weise im Gespräch bleiben würde.

Christoph Schickhardt (54), Jurist aus Ludwigsburg, ist der renommierteste deutsche Experte für Sportrecht.

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