Mit Rotsünder Wojciech Szczesny und Ersatzmann Przemyslaw Tyton machen sich zwei Keeper Hoffnung auf den Einsatz gegen Tschechien

Warschau. Das Thema bewegt die Gemüter. Wojciech Szczesny oder Przemyslaw Tyton? "Ich würde Robert Lewandowski ins polnische Tor stellen", scherzte Tschechiens Keeper Petr Cech zur Frage, die vor dem "Endspiel" in der EM-Gruppe A gegen Tschechien am Sonnabend (20.45 Uhr, ZDF) in Breslau die polnische Nation entzweit.

Lewandowski scheidet als Stürmer für den Torwart-Job natürlich aus. Doch die Diskussion hat es wirklich in sich. Wojciech Szczesny vom FC Arsenal, den manche schon für Weltklasse hielten, patzte im Eröffnungsspiel gegen die Griechen (1:1) und sah dann nach einer Notbremse die Rote Karte. Er machte Platz für den bescheiden auftretenden Przemyslaw Tyton, der den fälligen Elfmeter der Griechen hielt und auch gegen Russland überzeugte.

Man muss den Polen beinahe gratulieren, sich dieses Luxusproblem zugelegt zu haben, schließlich lenkt es von ernsteren Fragen ab. "Wir stehen vor dem wichtigsten Spiel der letzten Jahrzehnte, für die Spieler dem wichtigsten ihrer Karriere", sagt Polens Kapitän Jakub Blaszczykowski. Die Co-Gastgeber (zwei Punkte) müssen gewinnen, um - dann wahrscheinlich als Zweiter hinter Gruppenfavorit Russland (vier Punkte) - ins Viertelfinale einzuziehen. Dort könnte mit einiger Wahrscheinlichkeit Deutschland der Gegner sein: "Ein Traum", sagt der künftige Kölner Adam Matuschyk, der beim 1:1 gegen Russland seinen ersten Einsatz hatte.

Die Last liegt auf Torjäger Lewandowski und seinem Dortmunder Meister-Kollegen "Kuba" Blaszczykowski, der sich im bisherigen Verlauf der EM als Muster-Kapitän erwies. Die Mannschaft brauchte seine individuelle Qualität wie seine Führungsstärke, um die Nervosität beim Turnierstart in kollektive Kraft umzuwandeln. Und wie es sich gehört, nutzt "Kuba" jede Gelegenheit, um Aufmerksamkeit von sich selbst auf die Gruppe umzulenken. "Er ist das Herz der Mannschaft, stark, beliebt und voller Selbstvertrauen", sagte Polens Verteidiger Damien Perquis.

Die Torwartdebatte kommt jedoch gerade recht, um die immer noch angespannten Polen abzulenken. "Wir haben kein Problem mit dieser Frage", behauptet Nationaltrainer Franciszek Smuda, was jedenfalls für ihn selbst stimmt. Smuda hat die Entscheidung offiziell an seinen Torwarttrainer Jacek Kazimierski delegiert. Für den sollte besser kein Faktor sein, dass Szczesny äußerst populär und in gefühlt jedem zweiten Werbespot im polnischen Fernsehen zu sehen ist, während Tyton höchstens mal sein Kreuz küsst, das immer am Hals hängt. Die "Gazeta Wyborcza" will von Kazimierski schon erfahren haben, dass der tiefgläubige Tyton sein Gebet sprechen wird, bevor er aufs Feld schreitet - eine Entscheidung für Szczesny wäre nach den Regeln sportlicher Logik und allen Anstands auch kaum zu rechtfertigen.

Dabei ist der Name Szczesny in Polen sehr klangvoll. Wojciech ist der Sohn des früheren Auswahltorwarts Maciej Szczesny, der heute als TV-Kommentator nicht ohne Einfluss ist. Bei Arsenal hatte der erst 22 Jahre alte Szczesny obendrein Lukasz Fabianski verdrängt, seinen direkten - aber inzwischen verletzten - Konkurrenten um die Nummer eins im Tor der Nationalmannschaft.

Nach Borussia Dortmund mit den drei polnischen Stars Blaszczykowski, Lewandowski und Lukasz Piszczek ist der FC Arsenal der zweitliebste Verein vieler Polen, die sich für die eigene "Ekstraklasa" nicht recht erwärmen können. Die heimische höchste Klasse ist von zweifelhaftem Niveau und durch Korruptionsskandale belastet; da sonnt man sich lieber im Glanz europäischer Spitzenklasse, wenn sich eine Verbindung herstellen lässt.

Der brave Przemyslaw Tyton passt nicht wirklich in dieses glamouröse Bild. Der 25-Jährige brauchte Jahre, um sich in der niederländischen Liga durchzusetzen, ist inzwischen aber Stammkeeper bei Meister PSV Eindhoven. Der langjährige polnische Stammtorwart Artur Boruc hatte sich übrigens zuvor selbst aus dem Rennen katapultiert, als er auf dem Rückflug von einem Testspiel in den USA dem Alkohol entschieden zu stark zusprach und Flugbegleiterinnen respektlos behandelt haben soll. Keine gute Idee des Keepers, der ebenfalls streng katholisch ist und in seiner fünfjährigen Zeit beim schottischen Topklub Celtic Glasgow "the holy goalie" genannt wurde.

Kein Wunder also, dass polnische Fans mit Torwartdiskussionen automatisch einen hohen Aufregungs- und Unterhaltungswert verbinden. Die größeren Sorgen hat aber eindeutig Tschechien, wo das ganze Land auf die verletzte Achillessehne des ehemaligen Dortmunder Stars Tomas Rosicky schaut (siehe Text unten) und auf einen Einsatz des Regisseurs hofft. "Jeder weiß, dass die Tschechen angreifen und Chancen kreieren können", sagt Polens Mittelstürmer Lewandowski, "die zwei schnellen Tore gegen Griechenland werden uns sehr aufmerksam sein lassen." Ohne Rosickys Ideen, fürchten viele Tschechen, würde das Team aber wieder ins Mittelmaß fallen.

Tschechien: 1 Cech - 2 Gebre Selassie, 6 Sivok, 3 Kadlec, 8 Limbersky - 17 Hübschman, 13 Plasil - 19 Jiracek, 10 Rosicky, 14 Pilar - 15 Baros, Polen: 22 Tyton (1 Szczesny) - 20 Piszczek, 13 Wasilewski, 15 Perquis, 2 Boenisch - 5 Dudka, 7 Polanski, 11 Murawski - 16 Blaszczykowski, 10 Obraniak - 9 Lewandowski, Schiedsrichter: Thomson (Schottland)