Während der EM bekommen Kinder schon eine Verlängerung - Sponsoren bestimmen Anstoßzeiten

Hamburg. Ein Fußballspiel hat 90 Minuten - manchmal auch nur 45 oder gar null. Das gilt zumindest für Hamburgs Kinder, denn was die Frage angeht, wie lange der Nachwuchs die Spiele der EM verfolgen darf, sind die Meinungen unterschiedlich.

"Mir ist ziemlich wurscht, ob EM ist", sagt Claudia Wackendorff, 38. "Spätestens um acht geht's ins Bett." 45 Minuten später beginnt das Spiel Deutschland gegen Dänemark am Sonntag - für Wackendorffs sechs Jahre alten Zwillinge und die achtjährige Tochter zu spät. Am Wochenende gebe es hin und wieder Ausnahmen. "Aber wenn Schule und Kita ist, müssen sie fit sein." Zudem sei die Familie ohnehin nicht fußballinteressiert. Melanie Senicar, 45, entscheidet an jedem Spieltag der deutschen Mannschaft neu. Das Auftaktspiel gegen Portugal am vergangenen Sonnabend durfte ihr siebenjähriger Sohn komplett sehen, am Mittwoch gegen die Niederlande war das anders. "Er war so müde, dass er wie gewohnt früh zu Bett musste", sagt Senicar. Dass er dadurch ein Spiel verpasst hatte, teilte sie dem kleinen Fußballfan erst am nächsten Morgen mit. "Sonst hätte es Theater gegeben." Am Sonntag darf er voraussichtlich das Spiel verfolgen, obwohl am nächsten Tag Schule ist. "Aber so kurz vor den Ferien haben sie ja keinen regulären Unterricht mehr."

Das Argument der Ferien führt Sabine Maurer, 53, ebenfalls an. "Außerdem ist meine jüngste Tochter mit 13 Jahren in einem Alter, in dem sie ein wenig selbst entscheidet", sagt sie. Vor sechs Jahren zur WM in Deutschland war das noch ganz anders. "Da war die Halbzeitpause gleich Zubettgehzeit."

Doch wie kommt es zu den kinderunfreundlichen Anstoßzeiten? ARD und ZDF geben den Schwarzen Peter weiter an die Uefa und erklären: "Uns steht kein Mitbestimmungsrecht bei der Festlegung der Spielzeiten zu." In der Tat stehen die Verbände vor einem schwierigen Spagat. Auch im Interesse der Sponsoren sollen möglichst viele Zuschauer das Spiel sehen können - frühere Anstoßzeiten als 20.45 Uhr kosten bis zu einer Million Zuschauer. Andererseits sagte Bundestrainer Joachim Löw schon vor der EM 2008: "Ein Anstoß um 20.45 Uhr ist viel zu spät für Kinder." Ein schwacher Trost: Durch die Zeitverschiebung endet das Spiel beim Gastgeber Ukraine noch eine Stunde später - und das dürfte dann entschieden zu spät für Kinder sein.

Die Hamburger Schulbehörde hat noch keine Beschwerde über übermüdete Schüler erreicht. "Wir gehen davon aus, dass die Eltern ausreichend verantwortungsvoll mit den EM-Fernsehzeiten ihrer Kinder umgehen", sagt Sprecher Peter Albrecht. Auch er weist darauf hin, dass kurz vor den Ferien viele Schulen Projektwochen haben und der Unterricht erst um neun Uhr beginnt.

"Gerade bei Kindern ist es besser, Abmachungen zu treffen, wann welches Spiel geguckt werden darf", sagt "Sportschau"-Moderator Gerhard Delling, der den EM Planer von "Schau Hin" präsentiert. Die Initiative informiert über den richtigen Medienkonsum für Kinder. "Jetzt ist das Fernsehangebot übergroß", sagt Delling. "Ich finde das richtig, aber wenn man nur noch vorm Fernseher sitzt, ist das auch gefährlich." Die Initiative empfiehlt für Sechs- bis Neunjährige maximal fünf Stunden in der Woche, für Jüngere ab drei Jahren eine halbe Stunde am Tag - am besten zusammen mit einem Erwachsenen. Das gilt beim Fußball für alle Altersgruppen, findet Delling und empfiehlt, die Spiele mit der Familie zu schauen. "Das Schönste ist doch, Freude zu teilen." "Schau hin" hat zur EM elf Regeln zur Mediennutzung herausgegeben. Zum Thema Schlafenszeiten steht da: "Zur EM sind Ausnahmen erlaubt. Aber sie sollten nicht alltäglich werden."

Alle elf Regeln auf www.abendblatt.de/em-regeln