Theodor Gebre Selassie ist der erste dunkelhäutige Nationalspieler in Tschechiens Geschichte

Breslau. Zweieinhalb Stunden nach dem Spiel war rund um Theodor Gebre Selassie keine Spur mehr von Fremdenfeindlichkeit zu entdecken. Im Gegenteil. Als die polnischen Fans nach dem Remis ihrer Mannschaft gegen Russland aus der Innenstadt von Breslau strömten, entstand plötzlich Hektik an der Spitze des Menschenzuges. Einige von ihnen hatten den tschechischen Nationalspieler, der mit seinem Team im zentralen Monopol-Hotel logiert, vor einem Kiosk entdeckt. Minutenlang kam der 25-Jährige nicht zu seinem nächtlichen Einkauf, weil er im Akkord Autogramme schreiben musste.

Es wirkte wie die verspätete Versöhnung dieses Turniers mit dem ersten dunkelhäutigen Nationalspieler in Tschechiens Geschichte. Der Start in seine erste EM muss Gebre Selassie vorgekommen sein wie die Ouvertüre eines geschmacklosen Horrorfilms. Schlecht gespielt, 1:4 gegen Russland verloren und, ohne Frage am schlimmsten, von den Rängen rassistisch beleidigt worden. Einige Anhänger der "Sbornaja" hatten jeden seiner Ballkontakte mit Affengeräuschen untermalt, die Ermittlungen der Europäischen Fußball-Union Uefa zu diesem Vorfall laufen noch. "Ich will nicht als Spieler in Erinnerung bleiben, der ausgebuht wurde", sagte Gebre Selassie danach: "Ich will, dass die Leute wegen meiner Leistung an mich denken."

Die Grundlage dafür hat er beim 2:1-Sieg Tschechiens über Griechenland mehr als gelegt. Der Profi von Slovan Liberec bereitete nicht nur den Treffer von Vaclav Pilar vor, sondern übernahm auch in der zweiten Halbzeit Verantwortung.

Die ursprünglich vorgesehenen Säulen des tschechischen Teams waren da längst ins Wanken geraten: Milan Baros war nach erneut schwacher Leistung unter dem Jubel der Fans ausgewechselt worden, Torhüter Petr Cech hatte mit einem slapstickartigen Fehler das 1:2 eingeleitet, und Kapitän Tomas Rosicky war wegen einer Blessur an der Achillessehne gar nicht erst aus der Halbzeitpause zurückgekehrt. An ihrer Stelle ging Gebre Selassie voran, von den Rängen kam diesmal nur anerkennender Applaus. "Unser Team hat dieses Mal hervorragend funktioniert", lobte Trainer Michal Bilek kollektiv. Im abschließenden Gruppenspiel gegen Polen an diesem Sonnabend (20.45 Uhr, ZDF), bei dem der Einsatz von Rosicky und auch Keeper Cech (Probleme in der linken Schulter) allerdings fraglich ist, reicht Tschechien bereits ein Remis für den Viertelfinal-Einzug.

Gebre Selassie hat die Beleidigungen vom Freitag indes längst aus seinem Kopf verbannt: "Ich habe da schon viel schlimmere Dinge erlebt." Als der Sohn einer Tschechin und eines Äthiopiers vor sieben Jahren beim Bergarbeiter-Verein Jihlava debütierte, war der Aufschrei in der Provinz groß. Der spätere Nationalspieler wurde konsequent ins Reserveteam verbannt, angeblich wegen physischer Defizite. Erst als er 2007 ins mondänere Prag wechselte, endeten die Schmähungen.

Doch bis heute wollen ihn Teile der Anhänger nicht in der Nationalmannschaft sehen. Sie werfen ihm vor, kein richtiger Tscheche zu sein, dabei ist Gebre Selassie in Trebic im Süden des Landes geboren und spricht fließend Tschechisch. "Das macht mich traurig. Ein Schwarzer regiert eines der größten Länder der Erde, und ich muss mich dafür rechtfertigen, als Dunkelhäutiger für Tschechien zu spielen. Warum ist das so?" Genau wie bei US-Präsident Barack Obama leben Teile von Gebre Selassies Verwandtschaft in der afrikanischen Heimat. Sein Vater Chamola kam vor mehr als 30 Jahren als Arzt nach Tschechien. Als der äthiopische Langestrecken-Läufer Haile Gebrselassie bei Olympia 1996 die Goldmedaille über 10 000 Meter gewann, ging der völlig euphorisierte Doktor Chamola kurzerhand ins örtliche Rathaus und änderte seinen Nachnamen. Seither heißt die Familie nach dem afrikanischen Leitathletik-Idol.