Trainer del Bosque lässt verschiedene Varianten trainieren - auch zwei Angreifer scheinen möglich

Danzig. Er hätte die ganze Diskussion im Keim ersticken können. Fernando Torres lief zehn Minuten vor Ende des Auftaktspiels gegen Italien allein auf Gianluigi Buffon zu. Es waren unendlich lange Sekunden für den 28-Jährigen; zu viel Zeit zu überlegen für einen, der sich seit zwei Jahren ständig zu viele Gedanken macht. Jetzt der Siegtreffer, und die Geschichten der kommenden Tage wären geschrieben und hätten die Taktikdebatte in Spaniens Nationalteam konterkariert. Doch Torres vergab. Die Diskussion geht weiter. Und ausgerechnet der Gegner kennt des Rätsels Lösung. Sagt er. Während scheinbar ganz Spanien sich in der leidigen Stürmerdiskussion weiter den Kopf von Trainer Vicente del Bosque zerbricht, glaubt Catenaccio-Liebhaber Giovanni Trapattoni die Gedanken seines Kollegen längst erraten zu haben. "Also ich habe noch nie ohne Stürmer gespielt. Und da heißt es immer, der Trap spiele so defensiv", sagte Trapattoni grinsend. "Aber nachdem ich das 1:1 der Spanier gegen Italien gesehen habe, denke ich, dass gegen uns Fernando Torres spielt", behauptet Irlands Nationaltrainer vor dem Duell mit Titelverteidiger Spanien in Danzig.

Seit Tagen tobt die Debatte um del Bosques Null-Stürmer-Taktik beim EM-Stotterstart des Titelverteidigers gegen Italien. Trotz aller Kritik spricht aber einiges dafür, dass der 61-Jährige auch gegen die "Boys in Green" wieder auf Cesc Fàbregas als "falsche Neun" setzen wird.

Er habe, wie es seine Art sei, "fast alles gelesen", was zu dem Thema geschrieben worden sei, sagte del Bosque. Offenbar musste er danach erst einmal in sich gehen: Er sagte alle vereinbarten Interviews ab. Einen Tag später brach der "hombre tranquilo" (der ruhige Mann) dann sein Schweigen. "Nicht erzürnt, nur nachdenklich" sei er, sagte er einem Radiosender. Seine Erkenntnis zur Null-Stürmer-Taktik gegen Italien: "Ich würde es wieder so machen."

Was heute Abend gegen die defensiv zu erwartenden Iren herauskommt, wissen aber wohl nur der "Seleccionador" und seine rechte Hand Toni Grande. "Die Entscheidungen des Trainers", sagte Mittelfeldspieler Jesús Navas ganz gelassen, "sind immer gut. Fàbregas hat es gut gemacht. Das passt zu unserem Spielstil."

In den letzten öffentlichen Trainingseinheiten setzte del Bosque auf eine Vernebelungstaktik - und probierte Verschiedenes aus. So kamen auch Fernando Torres und Álvaro Negredo im Trainingsspiel auch als Doppelspitze zum Einsatz - und sie zeigten sich unter dem Applaus der Zuschauer durchaus treffsicher.

Möglich, dass del Bosque gegen die defensiven und athletischen Iren erneut auf die "falsche Neun" und damit auf das "Tiki-Taka" seiner Flachpass-Maschine setzt. Auch in der EM-Qualifikation gegen Schottland (3:2 und 3:1) sowie beim Länderspiel im November gegen England (0:1) ließ der Nationaltrainer ohne einen der drei nominellen Mittelstürmer Torres, Negredo und Fernando Llorente in der Startelf spielen. Seitdem del Bosque aber gegen Italien alle überraschte und Fàbregas aus dem Hut zauberte, scheint es möglich, dass er gegen Außenseiter Irland wieder auf einen Stürmer setzt - oder sogar auf zwei.