Titelverteidiger Spanien kommt im Duell der letzten beiden Weltmeister nicht über ein 1:1 gegen Italien hinaus

Danzig. Als Italiens Torwart Gianluigi Buffon schon geschlagen war, schaute Fernando Torres dem Ball einen schier endlos währenden Augenblick hinterher. Doch der Heber des eingewechselten Stürmers kurz vor Schluss senkte sich aufs statt ins Tor, und Welt- und Europameister Spanien musste sich bei seinem EM-Auftakt in Danzig mit einem 1:1 (0:0) begnügen. Sehenswerte und vor allem gefährliche Kombinationen gelangen den Spaniern erst in der Schlussphase, wohingegen Italien seine Kritiker nach einer turbulenten Vorbereitung mit einer engagierten Leistung verstummen ließ.

"Der Gegner hat starken Druck auf uns ausgeübt. Am Ende waren wir einen Tick stärker, aber die letzte Überzeugung fehlte etwas", befand Spaniens Trainer Vicente del Bosque. Sein italienischer Amtskollege Cesare Prandelli war nur mit einem Umstand unzufrieden: "Was uns wirklich enttäuscht, ist die Tatsache, dass die Spanier so schnell zum Ausgleich gekommen sind. Wir hätten sie mehr zum Arbeiten bringen müssen."

Keineswegs unverdient brachte der kurz zuvor eingewechselte Antonio Di Natale Italien in der 60. Minute in Führung. Doch die Fans der Squadra Azzurra unter den 38 869 Zuschauern im Danziger EM-Stadion feierten nur vier Minuten lang. Dann schloss Cesc Fàbregas eine sehenswerte Kombination über Xavi, Andrés Iniesta und David Silva zum Ausgleich ab. Das Tor war dann auch das Höchste der spanischen Herrlichkeit, weil vor allem Fernando Torres seinem Ruf als Chancentod fünf Minuten vor dem Ende des Spiels wieder einmal gerecht wurde.

Soll die Mission Titelverteidigung nach EM- und WM-Sieg mit dem dritten Triumph in Serie gelingen, muss sich Spanien im Abschluss steigern. Fàbregas sieht die Situation noch gelassen: "Wenn wir die nächsten beiden Spiele gewinnen, können wir immer noch Gruppensieger werden. An einem guten Tag sind wir nicht zu schlagen."

Für den Punkt bedanken können sich die Spanier neben Fàbregas bei ihrem überragenden Torhüter Iker Casillas, der mehrfach zur Stelle war. Der clever verteidigenden und nach vorne äußerst gefährlichen italienischen Mannschaft von Prandelli hingegen gibt der Achtungserfolg angesichts der schweren Vorbereitung mit Wettskandal, Verletzungssorgen und drei Testspielniederlagen mächtig Aufwind in Gruppe C.

"Wir wollten nicht nur hinten drinstehen, wir haben ein gutes Spiel gemacht", sagte ein zufriedener Trainer Prandelli: "Wir waren physisch und mental gut drauf. Was uns überrascht hat: dass Spanien ohne echten Stürmer gespielt hat."

Sein Amtskollege Del Bosque hatte in der Tat ein Team ohne echte Sturmspitze aufgeboten und in der Zentrale überraschend auf den genesenen Fàbregas gesetzt. Spanien versuchte zwar von Beginn an, das Übergewicht im namhaft besetzten Mittelfeld zu nutzen, die Italiener aber waren hellwach. Die Abwehr um Aushilfslibero Daniele De Rossi stand gut, störte früh und sorgte in der Anfangsphase auch nach vorne für Akzente.

Vor den Augen von Real-Trainer José Mourinho, des spanischen Thronfolger-Paars Felipe und Letizia sowie des italienischen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano fehlte dem EM-Favoriten die Ruhe, die ihn in großen Turnieren zuletzt ausgezeichnet hatte. Statt "Tiki-Taka"-Fußball sahen die Zuschauer vor allem in der ersten Halbzeit Ballverluste, Missverständnisse und harmlose Torabschlüsse. Bereits nach 27 Minuten hatten die vor dem Spiel so gut gelaunten spanischen Anhänger lautstark gepfiffen.

Einig waren sich die Stars des Titelverteidigers hinterher bei der Begründung: Sie kritisierten die Beschaffenheit des Rasens im Danziger Stadion. "Das Feld war nicht gut. Wir spielen hier noch zweimal, die Uefa sollte etwas ändern", sagte Mittelfeldspieler Xavi, "es war nicht möglich, unser schnelles Spiel zu spielen." Auch Torschütze Cesc Fàbregas und Andres Iniesta bemängelten den Zustand des Platzes.

Silva hatte in der Anfangsphase zwei Chancen (9./11.), zum ersten Mal eingreifen musste allerdings Spaniens Schlussmann Casillas: Einen zentralen Freistoß von Weltmeister Andrea Pirlo lenkte der Kapitän der Selección am linken Pfosten vorbei (13.). Casillas war auch bei einem starken Schuss von Claudio Marchisio zur Stelle (36.), ehe Thiago Motta ihn kurz vor dem Halbzeitpfiff erneut prüfte.

Nach der Pause wachte zumindest Spanien auf. Fàbregas (50.) versuchte es aus der Ferne, Iniesta selbst mit einer guten Hereingabe (53.). Der eingewechselte Di Natale verwertete einen Steilpass von Pirlo zum absolut verdienten 1:0, Spanien aber konterte just durch Fàbregas. Joker Torres (75.) ließ sich erst von Buffon den Ball vom Fuß nehmen und entschied sich zehn Minuten später gegen einen Pass auf seinen freien Mitspieler. Stattdessen entschloss er sich zu seinem letztlich verhängnisvollen Heber.

"Wir haben uns bemüht und alles versucht. Wir wussten, dass es nicht einfach wird. Wir hatten mehr Chancen, aber auch Italien hatte Möglichkeiten", gestand Del Bosque. Ob das 1:1 ein gutes Ergebnis sei, werde sich in den nächsten Spielen zeigen.

Spanien: Casillas - Arbeloa, Piqué, Ramos, Alba - Xavi, Busquets, Alonso - Silva (65. Navas), Fàbregas (74. Torres), Iniesta. Italien: Buffon - Chiellini, De Rossi, Bonucci - Maggio, Marchisio, Pirlo, Motta (90. Nocerino), Giaccherini - Cassano (65. Giovinco), Balotelli (56. Di Natale). Tore: 0:1 Di Natale (60.), 1:1 Fàbregas (64.). Schiedsrichter: Kassai (Ungarn). Zuschauer: 38 869. Gelbe Karten: Alba, Arbeloa, Torres - Balotelli, Bonucci, Chiellini, Maggio.