Die Niederlande sind nach der 0:1-Pleite gegen Dänemark ratlos und klammern sich an eine Hoffnung: die Wiederholung eines historischen Ereignisses

Charkow. Die Ereignisse der Nacht fügten sich nahtlos an die des miserabel verlaufenden Abends an. Längst wollte die niederländische Nationalmannschaft Charkow verlassen haben. Eilig waren sie deshalb zum Flughafen chauffiert worden, doch die Notlandung einer anderen Maschine hielt sie nun auf. Gut eine Stunde saßen sie fest, bevor sie in den Flieger stiegen, der sie ins EM-Quartier nach Krakau brachte. Jene unfreiwillige Pause jedenfalls war der erste Teil von dem, was Trainer Bert van Marwijk "Wundenlecken", Rafael van der Vaart "Verarbeitung" oder Arjen Robben "Déjà-vu" nannten.

0:1 hatten sie ihr Auftaktspiel gegen Dänemark verloren. Es war die erste große Überraschung der Europameisterschaft. Aus dem Titelfavoriten Niederlande ist innerhalb von 90 Minuten eine Mannschaft geworden, die bereits nach dem ersten Spieltag um den Verbleib im Turnier bangt. Natürlich, noch stehen zwei Vorrundenspiele an, am Mittwoch gegen die deutsche Mannschaft, zum Abschluss dann am Sonntag gegen Portugal. "Ich weigere mich, schon von einem Ausscheiden zu sprechen", sagte van Marwijk dann auch. "Wir müssen jetzt eben zweimal gewinnen." Und überhaupt, in der Vergangenheit habe die Auswahl doch bewiesen, dass sie Deutschland schlagen könne. "Das ist eben das erste Endspiel."

Es hatte etwas von Trotz und den üblichen Allgemeinplätzen, die Trainer in solchen Situationen von sich geben. Und vor allem hatte es etwas von Fassungslosigkeit, die die Niederländer nach dem Auftaktspiel an den Tag legten. Ein schön anzusehender Auftaktsieg und der Finaltriumph am Ende des Turniers, auf diesen Nenner ließ sich die Erwartung in der Heimat bringen. Und selbst der sonst so eloquente Kapitän Mark van Bommel sagte im Anschluss an die Niederlage: "Ich bin ein bisschen sprachlos." Sie waren die überlegene Mannschaft, sie erspielten sich Chancen um Chancen, doch sie scheiterten am eigenen Unvermögen, dem Pfosten oder aber am gut parierenden dänischen Schlussmann Stephan Andersen. Am Ende standen 28 zu acht Schüsse, aber eben ein 0:1.

Dass dann ausgerechnet Michael Krohn-Dehli in der 24. Minuten einen der wenigen Konter der Dänen nutzte, passte zur Szenerie. Krohn-Dehli spielte etliche Jahre in den Niederlanden und ist mit einer Niederländerin liiert, das alles aber waren nur hübsche Randgeschichten an diesem überraschend verlaufenen Abend. "Wir kennen die Holländer. Wenn man Angst vor ihnen hat, spielen sie sehr guten Fußball. Ich denke, wir haben in der richtigen Art gegen sie gespielt", sagte Trainer Morten Olsen.

In den Niederlanden wird nun darüber debattiert, was van Marwijk alles ändern müsse, was er überhaupt verändern könne bis zum Deutschland-Spiel. Und auch seine Aufstellung bekam der Trainer um die Ohren gehauen, ein Stück weit zu offensiv, krittelten die Medien unisono. Das Zusammenspiel zwischen Offensive und Defensive, aber auch der Offensive untereinander ließe doch arg zu wünschen übrig, klagte Clarence Seedorf, der ehemalige Nationalspieler. Am meisten aber wunderte er sich über den wie verwandelt auftretenden Robin van Persie. Verunsichert verstolperte er selbst beste Chancen. Van Marwijk hatte ihm den Vorzug vor Klaas-Jan Huntelaar gegeben, was der Bundesliga-Torschützenkönig mit forschen Äußerungen kommentierte. Doch auch der Schalker fügte sich nach seiner Einwechslung ins niederländische Gesamtbild ein und vergab die nächste Hundertprozentige.

Es war auffällig, wie ratlos dieser Abend alle niederländischen Beteiligten zurückgelassen hatte. Und so ist es wohl auch allzu verständlich, dass sie als Mutmacher einen Schlenker in die Historie bemühten. 1988, so fing Rafael van der Vaart an, als er über den möglichen Turnierverlauf referierte. Auch in jene Europameisterschaft starteten Marco van Basten und Co. mit einer Niederlage - 0:1 gegen die Sowjetunion, am Ende hielten sie den Pokal in den Händen. An diesem Wissen, sagte van der Vaart, "halten wir jetzt fest".