Nach der Führung durch Lewandowski leistete sich der Gastgeber beim Eröffnungsspiel gegen Griechenland viele Fehler und kam nur zu einem 1:1

Warschau. Ganz Polen schien zu beben. Laute "Polska, Polska"-Rufe. Hier ein Freudentanz, da Schreie puren Glücks, so wurde es landesweit vermeldet. Am Freitagabend um 18.17 Uhr war Robert Lewandowski der Held einer gesamten Nation. 1:0 für den Co-Gastgeber der EM! Der Führungstreffer gegen Griechenland sollte nicht nur ein Tor sein, sondern ein Startschuss für die Hoffnung auf mehr. Für eine potenzielle Partynacht in Weiß und Rot.

Von Posen bis Warschau, von Danzig bis Breslau. Ob auf dem Fanfest oder in der Kneipe um die Ecke. "Polska, Polska" - bis die Kehlen krächzten. Allein beim Public Viewing in Warschau drängelten sich 100 000 Fans vor den acht Großbildleinwänden am Kulturpalast. Manch einer hatte sich seinen Platz schon um 10 Uhr morgens gesichert. Man hatte ausgeharrt, die Stimme geölt und Anfeuerungsrufe geprobt, später die Hymne laut, schräg und mit Inbrunst gesungen. Polen war bereit für die große EM-Party, spätestens nach dem frühen 1:0 durch Lewandowski, den Dortmunder Profi. Doch dann erstickte Griechenland die Partylaune des vor dem Turnier so ambitionierten Gastgebers im Keim.

In Unterzahl - in der 44. Minute musste der Bremer Sokratis nach einem harmlosen Vergehen an Rafal Murawski mit der Gelb-Roten Karte vom Feld - verhinderte Dimitrios Salpingidis (50.) mit dem 1:1 den historischen ersten Sieg der völlig konsternierten Gastgeber bei einer EM. Und es hätte sogar noch schlimmer kommen können für die Polen: Kapitän Georgios Karagounis vergab in der 71. Minute einen berechtigten Foulelfmeter für Griechenland - Ersatztorhüter Przemyslaw Tyton parierte. Stammtorhüter Wojciech Szczesny war nach seinem Rettungsversuch folgerichtig vom Platz geflogen.

"Das Unentschieden ist verdient. Es war unsere eigene Schuld", sagte Lewandowski mit leerem Blick. In der Tat war der Coup der Griechen, Europameister von 2004, der verdiente Lohn für die Moral und Angriffslust des Teams von Trainer Fernando Santos. Schon bei der EM-Endrunde 2004 hatte der damals krasse Außenseiter Griechenland den Spielverderber für die Gastgeber gespielt. Erst gewann die Mannschaft von Trainer Otto Rehhagel das Eröffnungsspiel gegen Portugal (2:1), im Endspiel gewann sie dann erneut gegen die Iberer (1:0). Diesmal dämpften die widerspenstigen Hellenen die Euphorie der 56 070 Zuschauer im neuen Nationalstadion von Warschau, wo die Polen durch das Vergeben zahlreicher hochkarätiger Chancen den Sieg verschenkten. In der Nachspielzeit hätte Kostas Katsouranis allerdings den Ball fast noch ins eigene Tor gedroschen - und damit unfreiwillig die Polen-Party doch noch gerettet.

Ein an diesem Tag schwacher Trost: Zumindest scheint Tyton ein brauchbarer Stellvertreter im Tor zu sein. "Es war ein Traum für mich, als ich ins Spiel gekommen bin. Gott sei Dank habe ich den Elfmeter gehalten", sagte der 25-Jährige vom niederländischen Erstligisten PSV Eindhoven. Zugleich versicherte er den polnischen Anhängern, die nach dem Schlusspfiff enttäuscht ihre Fähnchen einrollten und das Stadion verließen: "Wir lassen den Kopf nicht hängen."

Vor dem brisanten Duell am Dienstag gegen Russland ist der Druck auf die Polen aber bereits groß. Bei einer Niederlage droht dem Team von Nationaltrainer Franciszek Smuda in der Vorrundengruppe A das vorzeitige Aus - und dem gesamten Turnier ein empfindlicher Stimmungsdämpfer. "Einige Spieler waren vom Druck gelähmt. Wir werden uns steigern", versprach der Coach deshalb.

In den kommenden Tagen dürfte wohl vor allem der gute Beginn der Polen Mut machen. Nach der stimmungsvollen Eröffnungsfeier legte der Gastgeber, der mit fünf Bundesliga-Legionären in der Startelf antrat, zunächst ein hohes Tempo vor und bereitete der teils hilflos wirkenden griechischen Abwehr große Probleme. Die Hellenen konnten häufig nur hinterherhecheln, wenn die Polen kombinierten.

Erst nach der Pause wehrten sich die Griechen. Das Tor von Salpingidis, der eine Verwirrung in der gegnerischen Abwehr nutzte, war die Konsequenz für in der Chancenverwertung schlampige Polen. Allein in der ersten Viertelstunde hatte der Weltranglisten-62. gleich vier gute Gelegenheiten vergeben. Bei der besten verfehlte Lewandowski, der es dann allerdings Minuten später besser machte, die Hereingabe seines starken BVB-Kollegen Lukasz Piszczek um Zentimeter (14.).

Beim Gegentor irrte Griechenlands Schlussmann Kostas Chalkias ziemlich hilflos in seinem Strafraum umher. Der 38-Jährige ist einer von insgesamt drei Akteuren, die schon beim sensationellen EM-Triumph unter Rehhagel 2004 dabei gewesen waren. "Ihr habt erneut eine Chance, Geschichte zu schreiben", hatte Verbandspräsident Sofoklis Pilavios am Freitag zu den Spielern gesagt. Die Hoffnung auf ein zweites Wunder nach dem Achtungserfolg gegen die Polen lebt.

Polen: Szczesny - Piszczek, Wasilewski, Perquis, Boenisch - Murawski, Polanski - Blaszczykowski, Obraniak, Rybus (70. Tyton) - Lewandowski. Griechenland: Chalkias - Torossidis, Sokratis, Avraam Papadopoulos (37. K. Papadopoulos), Holebas - Katsouranis - Maniatis, Karagounis - Ninis (46. Salpingidis), Gekas (68. Fortounis), Samaras. Tore: 1:0 Lewandowski (17.), 1:1 Salpingidis (50.). Schiedsrichter: Carballo (Spanien). Zuschauer: 56 070 (ausverkauft). Rot: Szczesny nach einer Notbremse (68.). Gelb-Rot: Sokratis wegen wiederholten Foulspiels (44.). Gelb: Holebas, Karagounis. Besonderes Vorkommnis: Tyton hält Foulelfmeter von Karagounis (71.).