Auf Portugals Stars ruhen die Hoffnungen einer ganzen Nation in der Krise. Siege bei der EM sollen die großen wirtschaftlichen Sorgen vertreiben

Opalenica. Als Cristiano Ronaldo den Rollstuhlfahrer beim öffentlichen Training entdeckt, übernimmt sein Instinkt die Kontrolle. Zielsicher marschiert der portugiesische Superstar vorbei an allen kreischenden Mädchen auf der Tribüne des Municipal Stadiums in Opalenica hin zu dem behinderten Mann. Autogramm, kurzes Gespräch, Posieren für die herbeieilenden Fotografen, anschließend noch mal ein paar warme Worte - so viel Aufmerksamkeit schenkte er seinem Coach Paulo Bento anschließend in der gesamten anderthalbstündigen Einheit nicht.

Der teuerste Fußballspieler der Welt weiß sich zu inszenieren, sagen die einen. Er ist sich seiner Verantwortung und seiner Vorbild-Funktion bewusst, die anderen. Vor seinem fünften großen Turnier ruhen auf dem 27-Jährigen wieder einmal die größten Erwartungen. "Er ist der Beste der Welt", sagt Team-Kollege Joao Moutinho über den 94-Millionen-Euro-Mann: "Und er kann mit dem Druck umgehen, den hat er bei Real Madrid jeden Tag." Bei der EM jedoch steht nicht nur Ronaldo besonders in der Pflicht. Für die gesamte Mannschaft geht um nicht weniger als die Rettung des nationalen Selbstwertgefühls.

"Für euch schlagen zehn Millionen Herzen" steht etwas pathetisch auf dem purpurnen Mannschaftsbus, der die Bento-Elf aus der westpolnischen Einöde hinaustragen soll zum ersten großen Titel. Jeder Portugiese drückt die Daumen, das soll die Botschaft dieses Aufklebers auf den Seitenfenstern sein. Allzu lange werden sie diesen Sticker nicht mehr verwenden können. Denn die Portugiesen werden immer weniger. Allein 150 000 Menschen haben das Land im vergangenen Jahr verlassen, seit 2007 sogar eine halbe Million. Das ist eine Menge für so ein kleines Land, übertragen auf Deutschland käme es dem Exodus aller Hamburger, Kölner und Münchener gleich. Es ist die größte Auswanderungswelle in der 900-jährigen Geschichte Portugals.

Die Leute fliehen vor Arbeits- und Hoffnungslosigkeit. Die Wirtschaft liegt am Boden, jeder Fünfte hat keinen festen Arbeitsplatz. "Es ist eine wirtschaftliche und finanzielle Krise, die die Portugiesen im Moment durchstehen müssen", sagt der Botschafter in Berlin, Caetano Luís Pequito de Almeida Sampaio: "Aber die Leute arbeiten hart dafür, sie zu überwinden und sind überzeugt davon, dass sie Portugal zur Erfolgsgeschichte in Südeuropa machen können." Finanzexperten sprechen hingegen vom neuen Griechenland, vom nächsten großen Problemkind der Euro-Zone. Für die kommenden drei Wochen soll die Selecao diese Sorgen vertreiben.

Gemeinsam mit den EM-Teilnehmern Griechenland und Irland drängelt sich Portugal unter den Euro-Rettungsschirm. Am Montag wurde die nächste Tranche bewilligt, insgesamt sollen 78 Milliarden Euro auf die Iberische Halbinsel fließen. Dass die Nationalmannschaft im mit vier Sternen ausgezeichneten Hotel Remes untergebracht ist und nicht wie die große Mehrheit der anderen Teams in einer Fünf-Sterne-Luxusherberge, schiebt man beim Verband auf logistische und nicht auf finanzielle Gründe.

Für die 23 balltretenden Botschafter scheinen die Sorgen der Heimat ohnehin weit weg. "Wir stehen an ihrer Seite", sagte zwar Abwehrspieler Bruno Alves: "Sie unterstützen uns vor Ort und daheim in Portugal. Wir wollen sie auf keinen Fall enttäuschen." Neben Alves, der bei Zenit St. Petersburg unter Vertrag steht, verdienen jedoch zwölf weitere Profis ihr Geld im Ausland. Diejenigen, die die Nöte der Menschen in Portugal mehr oder weniger hautnah miterleben, bilden die Minderheit im EM-Kader. Der gehört in der Addition der Marktwerte zum zweitteuersten der gesamten Europameisterschaft. Allein die Akteure von Titelverteidiger Spanien sind noch mehr wert als all die Ronaldos und Nanis.

Gemeinsam mit einer Handvoll weiterer Nationalmannschafts-Kollegen sorgten die vor dem EM-Start auch noch für den ersten kleinen Skandal. Zum Vorbereitungs-Camp in Lissabon reisten die Herren Profis überwiegend im privaten Lamborghini an - große Teile der Bevölkerung fühlten sich brüskiert von den Protzereien der Hochbezahlten. Als es in den Testspielen dann auch noch ein ernüchterndes 0:0 gegen Mazedonien und ein peinliches 1:3 gegen die Türkei setzte, platzte Manuel Jose, einem der prominentesten Trainer des Landes, der Kragen: "Diese Spieler sind unprofessionell. Die ganze Nation fiebert mit einem Team, das nur Partys im Kopf hat", schimpfte er ob der zahlreichen Sponsorentermine und den Nobel-Karossen auf dem Hotelparkplatz: "Was ein Zirkus." Die Wirtschaft liegt am Boden, die Jobs sind unsicher und jetzt versagen auch noch die Fußballer, das in etwa ist die Stimmungslage vor dem Turnierstart am Sonnabend gegen Deutschland.

Wie wichtig das Abschneiden des Nationalteams für die Volksseele ist, hat die EM 2004 gezeigt. Als Gastgeber zauberten sich die Portugiesen ins Finale, unterstützt von zehn Millionen Fans, die ihren Namen tatsächlich verdienten. Als der Grieche Angelos Charisteas dann im Finale den Siegtreffer köpfte, litten nicht nur die Spieler . Eine ganze Nation war am Boden zerstört.

Acht Jahre später rechnen nun die wenigsten Portugiesen damit, dass das Team wieder in ähnliche Regionen vorstoßen kann. Nach einer Umfrage versperren den Weg dorthin nicht nur die schwere Vorrundengruppe, sondern auch ein mögliches Viertelfinal-Duell mit einem Angstgegner: dem echten Griechenland.