Löw verzichtet auf Nachnominierung - Chancen für die vier HSV-Profis steigen

Eppan. Als Joachim Löw nach der gestrigen Vormittagseinheit bei Südtiroler Sonnenschein und üppigen 30 Grad zum Rapport bat, erfuhr er: Es gab neue Materialverluste. Zum Glück waren es nur zwei platte Reifen bei Lukas Podolski und Stefan Kießling während der Mountainbike-Tour rund um die Montiggler Seen. Aufatmen.

Der zweite "schwarze Montag" in Folge reichte dem Bundestrainer auch völlig. Nachdem ihn auf Sizilien Anfang der vergangenen Woche das WM-Aus von Kapitän Michael Ballack ereilt hatte, folgte am Pfingstmontag die schwere Kapsel- und Bandverletzung von Christian Träsch, die sich der Stuttgarter beim Test gegen den FC Südtirol am rechten Fuß zuzog. Wie erwartet gab der Deutsche Fußballbund die Abreise des 22-Jährigen bekannt, der nach einer zweiwöchigen Trainingspause und vierwöchiger Rehaphase erst wieder in sechs Wochen einsatzbereit wäre.

Nun ist es nicht so, dass Träsch als der Heilsbringer des deutschen Fußballs für Südafrika oder als Kandidat für die Startelf galt, aber der defensive Mittelfeldspieler war nach dem Ausfall Ballacks gesetzt für den endgültigen 23er-Kader, wie Co-Trainer Hansi Flick preisgab. Da vor dem Start der WM-Vorbereitung schon Simon Rolfes passen musste und Löw freiwillig auf Thomas Hitzlsperger und Torsten Frings verzichtete, muss diese Position nach Abgang Nummer fünf als vom Aussterben bedrohte Gattung bezeichnet werden.

Auf eine Nachnominierung will man beim DFB dennoch verzichten. Neben Sami Khedira gäbe es noch "mehrere Optionen", sagte Flick, und nannte neben Heiko Westermann auch HSV-Profi Dennis Aogo, der tatsächlich während seiner Zeit in Freiburg viele starke Spiele im Mittelfeld abgeliefert hatte und auch während der U-21-EM 2009 im Zentrum eingesetzt wurde. "Wir haben zudem noch die eine oder andere Variante im Kopf", fügte Flick hinzu und meinte damit unter anderem die Versetzung von Philipp Lahm ins defensive Mittelfeld. Der Bayern-Profi spielte früher in der Jugend und bei den Amateuren hauptsächlich auf der rechten Seite sowie im Mittelfeld und ließ bereits verlauten, dass er mittelfristig seine Position zentral und nicht auf den Außen sehe.

Dass Lahm diese Rolle auch auf internationaler Bühne erfolgreich interpretieren kann, bewies der 26-Jährige 2007 beim 2:1-Erfolg im Wembleystadion gegen England, als er gekonnt die gegnerischen Offensivbemühungen unterband. Der Münchner, der mit Jörg Butt und Bastian Schweinsteiger heute nach seiner Ankunft das Team komplettiert, wäre demnach der erste Nachrücker, sollte das Duo Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira nicht überzeugen, auch wenn dies Flick gestern nicht bestätigen wollte: "Ich muss hier ja nicht alles verraten", grinste er nur vielsagend. Immerhin gewährte Flick einen Einblick in die taktischen Überlegungen. So ist das 4-1-4-1-System, das die DFB-Auswahl gegen Südtirol testete, durchaus eines der Modelle für die WM. So würde vor Khedira eine Viererkette mit beispielsweise Müller, Schweinsteiger, Özil und Podolski hinter der einzigen Spitze (Klose) spielen.

Mit genau diesem System wurde die U-21-Nationalmannschaft auch vor einem Jahr in Schweden Europameister, mit dem Unterschied, dass Khedira im Finale in die Viererkette im Mittelfeld rückte. Die U 21 als Vorbild - angesichts dessen, dass die DFB-Elf inzwischen eine verstärkte Jugendauswahl ist, eine naheliegende Überlegung.

Von Gedanken wie diesen dürfte auch abhängen, welche beiden jetzt noch überzähligen Spieler am 1. Juni aus dem erweiterten Aufgebot gestrichen werden. Während Löw vor Beginn des Trainingslagers noch erklärte, alle sechs Stürmer (Klose, Gomez, Cacau, Kießling, Podolski, Müller) seien gesetzt, so könnte nach nun zwei Ausfällen im Mittelfeld ein Umdenken einsetzen. Der Leverkusener Stefan Kießling wäre demnach der erste Streichkandidat. Geringe Chancen werden in der Defensive weiter Andreas Beck eingeräumt, was im Umkehrschluss hieße, dass mit Jerome Boateng, Dennis Aogo, Marcell Jansen und Piotr Trochowski alle vier HSV-Profis in Südafrika dabei wären. Aber erst müssen alle den 31. Mai überstehen - den dritten Montag der WM-Vorbereitung. "Wir sind schon genug gestraft", hofft Flick, der wie Löw allerdings mehr denn je darauf hoffen muss, dass sich weder in Ungarn (29. Mai) noch gegen Bosnien-Herzegowina (3. Juni) noch jemand verletzt.