Sportdirektor Stéphane Richer hat großen Anteil daran, dass Hamburg zu einer der besten Adressen in der Deutschen Eishockey-Liga geworden ist

Hamburg. Wenn ein Chef über seinen leitenden Angestellten sagt, dass er bei neun von zehn Entscheidungen richtig liegt, dann gibt es zwei Möglichkeiten, wie dieser Angestellte reagieren kann. Er kann sich unter Druck setzen, weil er nach Perfektion strebt und auch die zehnte Entscheidung richtig treffen will. Oder er kann die Aussage als Lob verstehen. Stéphane Richer hat sich für Zweiteres entschieden, als er vor ein paar Wochen diesen Satz aus dem Mund von Uwe Frommhold vernahm. „Ich fand das sehr nett von ihm, denn ich weiß, dass kein Mensch perfekt ist. Und dann sind neun von zehn doch eine sehr gute Quote“, sagt er, und dann lacht er sein typisches Richer-Lachen: laut, herzlich, ansteckend.

Er hat ja auch allen Grund, fröhlich zu sein, denn was der 47-Jährige in dieser Saison als Sportdirektor der Hamburg Freezers erreicht hat, kommt der Perfektion gewaltig nah. Als Hauptrundenmeister der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) gehen die „Eisschränke“ in die Playoffs, die am 16. März mit einem Heimspiel gegen eins der Teams beginnen, die sich in den Pre-Playoffs um die zwei letzten Viertelfinalplätze balgen. Am Sonntag ging der EHC München in der Best-of-three-Serie gegen die Iserlohn Roosters durch einen 5:3-Sieg in Führung, Titelverteidiger Eisbären Berlin startet an diesem Montag gegen den ERC Ingolstadt. „Uns ist es egal, gegen wen wir spielen, wir haben weder Wunsch- noch Angstgegner“, sagt Richer. Wer nach 52 Spielen die Tabelle anführt, muss niemanden fürchten.

Freezers stehen für Offensivspiel und die Mischung aus Talent und Erfahrung

Aber Stéphane Richer wird auch dafür sorgen, dass jetzt niemand abhebt. „Wir haben noch nichts erreicht“, sagt er, „in den Playoffs beginnt die Saison doch von vorn.“ Man muss das nordamerikanische System der Meisterfindung nicht mögen, in dem ein Hauptrundenzehnter, der über Monate schwach spielte, mit einigen überragenden Wochen den Titel holen kann. Doch selbst wenn es für Hamburg nicht zum ersten Titel der Clubgeschichte reichen sollte, stimmt die Aussage des Sportdirektors nicht ganz. Das, was die Freezers bereits erreicht haben, dürfte ihnen für die kommenden Jahre immens nutzen: Sie werden als Mannschaft wahrgenommen, die für spektakuläres Offensivspiel steht, die eine erfrischende Mischung aus starken deutschen Talenten sowie erfahrenen und gleichzeitig hungrigen Führungsspielern bietet, und die sich in den Top sechs des deutschen Eishockeys etabliert hat. Und es ist nicht vermessen zu sagen, dass Richer der Architekt dieses Erfolgs ist.

Er selbst hört das nicht so gern, weil er sich als Teamplayer versteht. Es stimmt ja auch, dass Cheftrainer Benoît Laporte einen gehörigen Anteil an der Entwicklung der Mannschaft hat; dass Torwarttrainer Vincent Riendeau als Scout Großes leistet; und dass Uwe Frommhold als Geschäftsführer ein Regiment des Vertrauens eingeführt hat, in dem einer wie Richer bestens gedeihen kann. Und doch war es Richer, der bei seinem Amtsantritt im Sommer 2010 das Konzept vorlegte, mit dem die Freezers heute erfolgreicher denn je sind. Der die Mannschaft zusammenbaute und auch das Trainerteam, und der die Weichen strategisch richtig stellte, als es darauf ankam.

Den Familienmenschen Richer, der mit Ehefrau und zwei der drei Töchter in Halstenbek lebt, zeichnet vor allem aus, dass er seinen Weg konsequent verfolgt. „Stéphane ist ein absoluter Fachmann, der auch bei Rückschlägen nicht vom Plan abweicht“, lobt Frommhold. Als das Team im Oktober auf den letzten Tabellenplatz abgestürzt war, blieb Richer ruhig, weil er an Laporte und die Mannschaft glaubte. Dass er den als zukünftige deutsche Nummer eins eingeplanten Torhüter Niklas Treutle wegschickte und mit Sébastien Caron den Mann holte, der den Umschwung brachte, bewies sein Auge für das Wesentliche und, dass er vor nötiger Härte nicht zurückschreckt. Er kann eben kompromisslos sein, so wie früher, als er von 1995 bis 2002 als gefürchteter Abwehrspieler der Mannheimer Adler in der DEL abräumte.

Dass er im Alltag bisweilen zögerlich wirkt, liegt in seiner Mentalität begründet, die es ihm schwer macht, Menschen zu vertrauen. „Ich bin nicht der Typ, der sein Buch öffnet, so dass jeder darin lesen kann“, sagt er. Mit Frommholds Vorgänger Michael Pfad, der im Oktober 2012 freigestellt wurde, war Richer mehrfach aneinandergeraten, weil dieser sich, so Richers Empfinden, zu intensiv in den sportlichen Bereich eingemischt hatte. Auch das Verhältnis zu Laporte ist ambivalent, sie sind zwar beide Frankokanadier, doch der Trainer liebt die offensive, direkte Ansprache auch über die Medien, während Richer alles intern behalten will. Auch da ist er ganz der Verteidiger, der er früher war.

Den ironischen Spitznamen „The Truth“, den ihm die Medienvertreter verpasst haben, weil Anrufe bei ihm bisweilen denselben Informationsgehalt haben, als würde man mit der Bürowand sprechen, versteht er als Auszeichnung. Für ihn war es ein Segen, die Doppelfunktion Trainer/Sportchef, die er von Sommer bis Dezember 2010 ausfüllte, zugunsten seines heutigen Amtes aufgeben und so aus der Öffentlichkeit zurücktreten zu können. Und dass er wichtige Entscheidungen lieber einmal mehr mit seinen Vertrauten Riendeau oder Frommhold bespricht, als zu früh auf sein Bauchgefühl zu hören, hält der Kopfmensch für essenziell. „Dass man nur mit der nötigen Ruhe die richtigen Entscheidungen trifft, hat diese Saison doch bewiesen“, sagt er.

Es dürfte niemanden verwundern, dass Stéphane Richer auf die Frage, wo er die Hamburg Freezers im Jahr 2020 sehen möchte, keine spinnerten Visionen herausdrischt. Er möchte, dass sich der Club dauerhaft als Top-Sechs-Team etabliert, das attraktives Eishockey spielt und eine gute Adresse für junge deutsche Spieler ist, die möglichst bereits im eigenen Nachwuchs ausgebildet werden. Das ist der richtige Weg, um den Sport dauerhaft und substanziell in Hamburg zu verankern. Seinen Vertrag hat Richer zunächst bis 2016 verlängert. Zeit genug hat er also, um weiter an der Perfektion seiner Ideen zu arbeiten.