Eishockey-Nationalstürmer David Wolf will ein Führungsspieler der Freezers werden, ohne seine Identität zu verlieren

Hamburg. Manchmal bricht es einfach aus ihm heraus, er kann es gar nicht verhindern. „Ich muss mir gezielt einen Gegner greifen. Hinfahren, umhauen und fertig. Zeichen setzen!“, sagt David Wolf, und dieses schiefe, spitzbübische Grinsen, das man von ihm kennt, unterstreicht, wie viel Freude ihm der Gedanke bereitet. Ich bin ein Kämpfer, sagt dieses Grinsen, und mir macht es Spaß, dass die Gegner vor mir zittern. „Ich merke ja, wie schwer es für die Gegner ist, mich aufzuhalten. Ich finde kaum noch einen, der mit mir kämpfen will“, sagt David Wolf, und man fragt sich in diesem Moment, ob er das schade findet oder gut.

Dass man sich diese Frage heute ergebnisoffen stellt, während man sie früher eindeutig mit „schade“ beantwortet hätte, hat einen Grund. David Wolf, 24, Eishockey-Nationalstürmer der Hamburg Freezers, ist dabei, einen Imagewechsel zu vollziehen. „Ich sehe mich als Anführer und möchte nicht auf das Image des Kämpfers reduziert werden“, sagt er. Er steckt in einer immens wichtigen Phase der Karriere, wahrscheinlich wird sie darüber entscheiden, wie sein sportliches Leben in Zukunft verlaufen wird. Ob er in seiner dritten Saison in Hamburg den endgültigen Sprung zum Führungsspieler schafft, oder ob man in ihm vordergründig weiter das Raubein sehen wird, darüber wird diese Spielzeit Aufschluss bringen.

Um zu verstehen, was den gebürtigen Düsseldorfer bis zu diesem Scheideweg geführt hat, muss man mit ihm über seine Jugend reden. Er tut das nicht gern, weil diese Gespräche Erinnerungen wecken, die ihm nicht gefallen. „Ich habe viel Scheiße erlebt damals“, sagt er. Als Wolf sechs Jahre alt war, trennte sich sein Vater, der frühere Eishockeyprofi Manfred „Mannix“ Wolf, von der Familie. Der schon damals gar nicht so kleine David wuchs fortan bei der Mutter in Mannheim auf, die ihn und die beiden Schwestern allein großzog. „Ich war ein Rabauke, hatte so viel Energie, dass tägliches Eishockeytraining nicht reichte, sie abzubauen“, sagt er. Prügeleien auf der Straße waren Normalität, und als seine Mutter nach einer Routineoperation in ein dreiwöchiges Koma fiel, stand der Zwölfjährige vor dem Totalabsturz.

Es war die Phase, in der Wolf das lernte, was er heute perfekt beherrscht: das Kämpfen. „Ich lag oft am Boden, aber ich hatte immer den Willen, aufzustehen und stärker zurückzukommen. Das hat mich geprägt“, sagt er. Körperliche Überlegenheit überdeckte spielerische Defizite, und so machte Wolf seinen Weg von den Mannheimer Jungadlern zu den Hannover Scorpions, mit denen er 2010 deutscher Meister wurde – und im Jahr danach von Trainer Hans Zach aussortiert wurde. Wieder lag er am Boden, das Nichts vor Augen, wieder stand er auf, ging nach Hamburg, wurde zum Publikumsliebling, weil die Fans seine Art, immer alles zu geben, schätzten. Dass er auch Tore schoss, schöne, wichtige, wurde bejubelt. Gefeiert wurde aber, wenn er sich reinhaute für das Team, auch mit Fäusten, wenn nötig.

„Für mich ist Kämpfen ein Mittel zum Zweck, es ist meine Art, dem Team zu helfen. Dadurch ist mein Fell immer dicker und mein Körper schmerzunempfindlicher geworden“, sagt er. Der Körper vielleicht, die Seele nicht, und an diesem Punkt kommt der andere Teil der Persönlichkeit ins Spiel, ein Teil, den nur die kennen, die Wolf näher stehen als im Fanblock. Er ist ein Grübler, einer, der sich und sein Tun oft hinterfragt, der viele schlaflose Nächte hatte, weil er sich den Kopf zerbrach über die Leiden seines Lebens oder auch nur über vergebene Torchancen. Er hat Anfang 2012 ein halbes Jahr aus eigenem Antrieb mit einem Mentalcoach gearbeitet und hält es für das größte Versäumnis im Profisport, dass das nicht fläckendeckend getan wird. Und doch hat er irgendwann gespürt, dass der Mensch, auf den er sich am meisten verlassen kann, er selbst ist. „Ich weiß, dass ich mich überall behaupten kann“, sagt er, „das hat mir Sicherheit gegeben.“

Und es hat ihn zu der Erkenntnis geführt, dass er sich nicht mehr vorrangig als Kämpfer profilieren muss. Er hat hart an sich und seiner Technik gearbeitet, in vielen Stunden nach dem Teamtraining, sein Spiel wirkt eleganter als früher, sein Wort in der Kabine und in Interviews nach Spielen hat mehr Gewicht. Vor allem aber ist er ruhiger geworden, auf dem Eis und auch abseits des Eises. „Der Wolfi spielt jetzt viel cleverer, lässt sich nicht mehr so viel provozieren. Dieses ‚Vorne rauf und Bumm‘, was er früher hatte, gibt es nicht mehr“, sagt Jerome Flaake, Wolfs Reihenpartner in Club und Nationalteam. Wolf schiebt diese Wandlung auf sein zunehmendes Alter, was bei einem 24-Jährigen zunächst wie eine hohle Phrase klingt, für einen mit seiner Lebenserfahrung allerdings Sinn macht. „Ich habe keinen Drang mehr, mich zu betrinken oder immer dann feiern zu gehen, wenn es möglich ist“, sagt er.

Er ist ein Schelm, dieser David Wolf, manchmal wirkt er wie ein Bernhardiner, der nur spielen will und dabei alles umrennt, und natürlich bräuchte einer wie er noch Führung, er bräuchte Spieler, zu denen er aufschauen, von denen er lernen kann. Ein Problem ist, dass mit Patrick Köppchen und Thomas Dolak, die ihn schon in Hannover unter ihre Fittiche nahmen, und Rob Collins, den er bewunderte, drei solcher Akteure im Sommer die Freezers verlassen haben. Da gebe es schon noch einige, zu denen er aufschaue, sagt Wolf, aber auf Nachfrage fällt ihm dann nur Duvie Westcott ein, der 36 Jahre alte Abwehr-Veteran, der Assistent von Kapitän Christoph Schubert ist, zu dem Wolf ein eher ambivalentes Verhältnis hat.

Wolf sagt, er nehme Ratschläge gerne an, wenn sie ihm sinnvoll erscheinen

Hinter vorgehaltener Hand hieß es im Oktober, als die Hamburger Tabellenletzter waren, dass Wolf sich von Teamkollegen nichts mehr sagen lasse, dass seine forsche, selbstsichere Art in der Kabine nicht immer gut ankäme. „Das ist Unsinn, ich höre mir jeden Ratschlag an und nehme das, was mir sinnvoll erscheint, auch an“, sagt Wolf, und Thomas Oppenheimer bestätigt das. „Wolfi weiß, was und wie er es zu sagen hat. Er weiß auch, dass er noch viel zu lernen hat, und er lässt sich auf gute Ratschläge immer ein“, sagt er. Oppenheimer ist einer der Spieler, die gern mal mit Wolf aneinandergeraten, um ihm Grenzen zu zeigen. In der Kabine sitzen sie nebeneinander. Oppenheimer ist ein ruhiger Zeitgenosse, der überlegt, bevor er redet. Er ist Assistenzkapitän, und er ist auch erst 24.

Benoît Laporte weiß, dass Wolf auch gern Assistenzkapitän wäre. Aber er sieht ihn derzeit noch nicht reif für diese Rolle. Natürlich hat der Cheftrainer der Freezers die Wandlung seines Stürmers bemerkt, er sieht, dass Wolf versucht, so technisch brillant zu spielen wie Flaake, dass er sich alle Mühe gibt, seine Emotionen besser unter Kontrolle zu haben. Laporte erkennt an, „dass David einen großen Schritt gemacht hat, er ist reifer, erwachsener geworden“. Er lässt ihm Dinge durchgehen, die andere sich nicht erlauben dürfen, „weil er an jedem Tag diese unbedingte Siegermentalität ausstrahlt, die ich sehen will“. Aber Wolf dürfe nicht vergessen, was seine große Stärke ist: „Wolfi ist ein Power Forward. Wenn er das Körperliche nicht mehr hätte, wäre er nicht mehr er selbst. Er darf dieses, mit Verlaub, Arschloch-Verhalten, nicht verlieren, für das ihn die Gegner fürchten“, sagt er. Wolf sei wie ein Paket, das man in jedem Spiel aus seinen Einzelteilen zusammensetzen müsse. „Wenn ein Teil nicht passt, dann läuft es nicht.“ Auf diesem dünnen Eis zwischen Kämpfen und Anführen wolle er Wolf helfen, die Balance zu halten, damit der Stürmer dort ankommt, wo er hinmöchte, ohne sich selbst zu verlieren.

Eins sagt David Wolf noch im Gespräch, das aufhorchen lässt. „Früher war mein Leben nur Kampf. Jetzt genieße ich es sehr, in einer tollen Stadt in einem tollen Club zu spielen. Heute ist mein Leben wunderbar!“ Bei einem, der den Satz „Hockey is my life“ auf dem linken Oberarm tätowiert hat, klingt das nach Zufriedenheit, die für Trägheit sorgen kann. Wolf grinst wieder schief, er habe sicherlich nicht bis 2018 unterschrieben, um sich auszuruhen. „Ich will in Hamburg Meister werden“, sagt er, „dafür werde ich kämpfen!“ Die Freezers brauchen Wolf, den Kämpfer, aber sie brauchen auch Wolf, den Führungsspieler. Es ist tatsächlich ein schmaler Grat, beides zu sein. Aber David Wolf kann es schaffen, das ist sicher.