Die Freezers starten am Freitag in ihre zehnte Saison. Ex-Torhüter Boris Rousson über turbulente Spiele und verpasste Titel-Chancen

Hamburg. "Hallo Boris." Die Eishockeyknirpse der Schüler-Bundesliga grüßen fröhlich ihren Trainer, ihr Idol. Boris Rousson ist der Sympathieträger der Hamburg Freezers. Sechs Jahre stand der 41-Jährige zwischen den Pfosten und als Co-und Torwarttrainer hinter der Bande. Nun kümmert er sich als Jugend-Koordinator um die Talente von morgen. Im Abendblatt spricht Rousson über zehn Jahre Freezers.

Hamburger Abendblatt:

Herr Rousson, können Sie sich noch an den 6. September 2002 erinnern?

Boris Rousson:

O ja. Es war das allererste DEL-Spiel der Freezers. Wir haben 1:5 in Krefeld verloren, und für mich war das Spiel früh beendet.

Was war passiert?

Rousson:

Mein Schläger landete im zweiten Drittel an der Lippe meines Gegenspielers Brad Purdie. Ich bekam eine Spieldauerdisziplinarstrafe und dachte mir: Wow, toller Start.

Ohnehin war der Start in Hamburg ja sehr turbulent. Sie standen bei den München Barons unter Vertrag, die urplötzlich umgesiedelt wurden.

Rousson:

Es war zunächst ein Schock, weil wir bei den Barons sehr erfolgreich waren. Alles passierte aus heiterem Himmel. Aber mir passte der Wechsel nach Hamburg irgendwie doch ziemlich gut in meine Lebensplanung.

Wie meinen Sie das?

Rousson:

Ich lebte zu der Zeit in Scheidung von meiner ersten Frau, und so stellte Hamburg für mich einen Neuanfang dar. Außerdem reizte mich die Vorstellung, zu den Freezers zu gehen. Eine neue Arena war am Entstehen, mit der Anschutz Entertainment Group war ein starker Partner da.

Wie haben Sie die ersten Monate in der neuen Heimat erlebt?

Rousson:

Es war das pure Chaos. Ich lebte die ersten Monate nur im Hotel. Es blieb gar keine Zeit zum Einleben. Dazu fanden die ersten zwölf DEL-Spiele auswärts statt, da die Colorline-Arena, heute O2 World, noch im Bau war. Wir haben im August als Team die Baustelle besucht.

Was haben Sie vorgefunden?

Rousson:

Eine gigantische Baustelle, bei der man nie hätte erahnen können, dass wir an selber Stelle drei Monate später unser erstes Heimspiel bestreiten werden. Die Außenanlage war eine Matschwüste, die Kabinen waren noch nicht zu erkennen. Wir Spieler guckten uns nur verdutzt an, hatten aber Vertrauen in die Bauarbeiter.

Mit dem ersten Heimspiel kam auch die Euphorie.

Rousson:

Ausverkaufte Arena, ein dramatisches Spiel und ein 5:4-Sieg gegen Köln. Da habe ich gemerkt, wie viel Potenzial in diesem besonderen Klub steckt. Dabei haben wir nach dem Warm-up in der Kabine noch einige Scherze gemacht.

Worüber?

Rousson:

Hier gab es noch nie Profi-Eishockey. Also haben wir geflachst, dass uns eher ein Fußball- als ein Eishockeypublikum erwartet. Und so war es auch: Jeder noch so harmlose Schuss wurde frenetisch gefeiert, das war überragend.

Es stellte sich schnell der Erfolg ein, der 2004 beinahe mit dem Finaleinzug gekrönt worden wäre.

Rousson:

Das ärgert mich heute noch. Ich bin sicher, dass wir den Titel geholt hätten, wenn wir ins Finale gekommen wären. Leider hat unser damaliger Coach Dave King in meinen Augen den Titel auf dem Gewissen.

Was war vorgefallen?

Rousson:

Wir hatten Spiel vier in Frankfurt 5:7 verloren, aber unfassbar leidenschaftlich gekämpft. King würdigte das nicht und prügelte auf uns ein. Statt eine Jetzt-erst-recht-Stimmung für Spiel fünf zu entwickeln, waren wir alle total down und haben uns davon nicht mehr erholt.

Erholung ist ein gutes Stichwort. Was fällt Ihnen spontan zur Saison 2005/06 ein?

Rousson:

Die verrückteste Verletzungsseuche, die ich je erlebt habe. Ich habe den Anfang gemacht und mir das Kreuzband gerissen. Mein Ersatzmann Steffen Karg verletzte sich wenige Tage später an der Leiste. Unser dritter Torwart Tobias Güttner bekam im Training einen Schuss aufs Knie und fiel lange aus. Damals haben uns die Eisbären Berlin in unserer Not Sebastian Stefaniszin und Youri Ziffzer geliehen, die dort die Keeper drei und vier waren. Anschließend kam noch der verrückte Ex-NHL-Keeper Roman Cechmanek. Doch auch der verletzte sich, sodass Roland Schröder aus der vierten Liga aus Braunlage verpflichtet wurde.

Es folgt auch noch der vermeintliche Rassismus-Skandal um Marc Beaucage, der den Düsseldorfer Jean-Luc Grand-Pierre aufgrund seiner dunklen Hautfarbe beleidigt haben soll. Wie wurde das Thema behandelt?

Rousson:

Wir standen hinter ihm. Im Eifer des Gefechts fallen immer mal Worte, die nicht jugendfrei sind. Marc ist kein Rassist. Außerdem weiß ich, wie es ist, als Ausländer in der Liga zu spielen.

Was meinen Sie?

Rousson:

Sie haben keine Ahnung, wie oft ich auf dem Eis beleidigt wurde, auch oft unter der Gürtellinie. Ich hätte jede Woche zum Abendblatt laufen und mich darüber öffentlich beschweren können. Düsseldorf wollte damals bei uns nur Unruhe stiften.

Unruhe gab es auch in den folgenden Jahren. Warum stagnierten die Freezers in der Ära Boris Capla (ehem. Geschäftsführer, d. Red.)?

Rousson:

Es gab eine zu hohe Spielerfluktuation. Es waren ja durchaus gute Spieler hier, aber letztlich entwickelte sich nie ein Team. Meist war es eine Ansammlung teurer Individualisten.

Die Zuschauerzahlen gingen auch deshalb sukzessive zurück.

Rousson:

Stimmt. Ich sage aber auch: Über die Jahre hat sich ein Fan-Kern gebildet, der nicht zu unterschätzen ist. Selbst als es nicht lief, kamen nur sehr selten weniger als 5000 Zuschauer. Dass man jetzt wieder über 9000 Fans im Schnitt hat, liegt an der neuen Führung.

Sie klingen begeistert vom aktuellen Team!

Rousson:

Ja, weil ich finde, dass die Freezers, seit Stéphane Richer und Michael Pfad im Amt sind, in die richtige Richtung gehen. Mit Festerling, Flaake, Wolf und Schubert hat man Typen mit Wiedererkennungswert. Mittlerweile sage ich: Hamburg ist eine Eishockeystadt und kann früher oder später um den Titel mitspielen.

Und an der Zukunft können Sie als Jugendkoordinator mitwirken. Wurde in den ersten Jahren genug an die Jugend gedacht?

Rousson:

Nein, der Fokus lag immer auf den Profis. Hätte man in den ersten fünf Jahren so viel investiert wie in den letzten fünf, hätten viele Talente nicht ihr Glück woanders gesucht.

Sie haben ihr Glück in Hamburg gefunden. Fühlen sie sich mittlerweile als Hamburger?

Rousson:

Hamburg ist meine Heimat. Meine Frau Marie und ich haben uns in Pinneberg ein Haus gekauft, ich arbeite in einer tollen Position bei dem Klub, den ich liebe. Ich kann mich also nicht beschweren. Es macht mich immer wieder stolz, dass die Fans mich noch heute so schätzen.