Im Eishockey häufen sich die Gehirnerschütterungen. Charlie Cook von den Hamburg Freezers war betroffen und fordert ein Umdenken bei den Profis

Hamburg. Als Charlie Cook gestern Mittag nach dem Training von Teamarzt Jan Schilling an der Volksbank-Arena abgeholt wurde, warteten auf den Verteidiger der Hamburg Freezers 20 weitere Minuten körperlicher und geistiger Tests. Der Eishockeyspieler musste im Marienkrankenhaus nach einer vor zwei Wochen erlittenen schweren Gehirnerschütterung seine neurologischen und motorischen Fähigkeiten überprüfen lassen.

Cook bestand die Abschlussuntersuchung, bei der er als Konzentrationsübung unter Zeitdruck einen Fragebogen ausfüllen musste - empfohlen als "sport concussion assessment tool" vom Internationalen Eishockey-Verband (IIHF). Anschließend musste er Übungen absolvieren, die man eigentlich nur von Polizeikontrollen kennt: auf einer Markierung balancieren oder auf einem Bein stehen und hüpfen. Erst dann gab die medizinische Abteilung grünes Licht für Cooks Einsatz im heutigen Auswärtsspiel der Freezers (19.30 Uhr) bei den Augsburger Panthern.

Am 30. Oktober wurde der Abwehrspieler im DEL-Spiel gegen die Straubing Tigers von Gegenspieler Carsen Germyn mit dem Kopf voran in die Bande gestoßen. Klub-Arzt Schilling wusste sofort, dass es Cook schwer erwischt hatte. Noch auf dem Eis prüfte der Mediziner das Bewusstsein, die Reaktion der Pupillen und die motorischen Fähigkeiten. Cook konnte aus eigener Kraft nicht aufstehen und sackte wieder in sich zusammen. "Charlie hatte einen kompletten Filmriss. Er wusste weder, welches Jahr ist, noch, wo er in der Kabine sitzt. Er war nicht mal in der Lage, sich selbst auszuziehen."

Der Unfall ist ein erschreckendes Beispiel für eine Verletzung, die im Eishockey in den vergangenen Jahren immer auffälliger geworden ist. 25 Prozent aller Verletzungen sind mittlerweile Kopfverletzungen, 6,5 Prozent davon Gehirnerschütterungen. Tendenz steigend. Ein gefährlicher Trend: Durch den harten Aufprall ist der Schädel trotz der hoch entwickelten Helme starken Kräften ausgesetzt. Obwohl die Schädelknochen massiv sind und das Gehirn in Gehirnwasser eigentlich gut geschützt ist, werden dabei die äußerst empfindlichen Hirnnervenzellen geschädigt. Die Folge sind kurz- oder langfristige Nervenschäden

Da Cook vor genau einem Jahr im Trikot des finnischen Erstligaklubs Rauman Lukko schon einmal eine schwere Gehirnerschütterung erlitten hatte, war Schilling alarmiert: "Je häufiger man diese Verletzung erleidet, desto schwerer erholt sich das Gehirn wieder." Als "Extrem-Beispiel" nennt der Teamarzt den Fall des kanadischen Superstars Sidney Crosby. Der NHL-Star der Pittsburgh Penguins feierte am vergangenen Montag nach zwei schweren Gehirnerschütterungen und zehneinhalb Monaten (!) Pause sein Comeback.

Dass es bei Cook nur drei Wochen Pause waren, ist ein glücklicher Umstand. Nach und nach wurde bei dem Profi die Belastung erhöht. Anfangs klagte der Amerikaner anschließend noch über Kopfschmerzen und Unwohlsein, woraufhin das Training sofort abgebrochen wurde. Inzwischen gibt es internationale Richtlinien, wie Sportler mit Gehirnerschütterungen wieder in den Liga-Alltag eingegliedert werden. Dazu gehören ebenjene intensiven Tests, die Cook gestern Mittag absolvieren musste. "Ansonsten ist bei den Ärzten auch Fingerspitzengefühl gefragt", sagt Schilling, der deutlich macht, dass eine Gesundschreibung bei einer derartigen Verletzung schwieriger ist als bei einem Knochenbruch, wo man auf einem Röntgenbild sehen kann, ob die Bruchstelle verheilt ist. Derartig präzise Indikatoren gibt es bei dieser Kopfverletzung nicht. Im Moment wird in der Schweiz ein spezielles Tomografie-Verfahren getestet, das durch Messung bestimmter Hirnaktivitäten erkennbar machen soll, wann die Nerven sich wieder vollständig erholt haben. Diese Methoden sind jedoch teuer und befinden sich noch in der Forschungsphase.

Genau wie die Frage, ob und welche Spätfolgen bei Opfern von Gehirnerschütterungen auftreten. Darüber können Mediziner heute keine seriösen Prognosen treffen. Allerdings, so sagt Schilling, ist die Gefahr statistisch gesehen erhöht, an neurologischen Erkrankungen wie Parkinson oder Alzheimer zu erkranken.

Da überrascht es nicht, dass Charlie Cook während seiner Verletzungspause viel nachgedacht hat. "Es war alles sehr beängstigend. Solche Unfälle passieren leider im Eishockey, aber die dreckigen Checks müssen aufhören. Wir Spieler müssen einander mehr Respekt entgegenbringen und nicht die Karriere des anderen gefährden", sagt der ehemalige US-Nationalspieler, der auch künftig in intensive Zweikämpfe an der Bande gehen will. Zwischenzeitlich hatte er daran gezweifelt. Das Vertrauen in den eigenen Körper, sagt Schilling, muss Cook in den kommenden Wochen wieder aufbauen. Nur dann kann der Defensivspezialist wieder ganz der Alte werden.