Singapur. Ferrari-Pilot Sebastian Vettel wird sich weiter den Fragen nach einer Mitschuld an dem fatalen Unfall von Singapur stellen müssen.

Die mitternächtliche Feier-Laune bei Mercedes muss für Sebastian Vettel nach dem Totalausfall von Singapur unerträglich gewesen sein. Vor dem Formel-1-Motorhome der Silberpfeile wurde laut gesungen. Für den Rückflug nach Europa mit Sieger und WM-Spitzenreiter Lewis Hamilton an Bord der Maschine von Oberaufseher Niki Lauda kündigte Teamchef Toto Wolff Party mit alkoholischen Getränken an.

Bei Vettels Wagen war nichts mehr zu machen
Bei Vettels Wagen war nichts mehr zu machen © Imago/HochZwei

Die Mitglieder der Ferrari-Crew packte derweil nach der offen gebliebenen Schuldfrage für den kapitalen Crash beider roter Rennwagen mit bitterernsten Mienen die Reste eines erinnerungswürdigen Wochenendes ein. „Der Kampf ist noch nicht vorbei, er wird nur schwerer“, meinte Teamchef Maurizio Arrivabene. Mit dem „springenden Pferd im Herzen“ werde man aber bis zur letzten Kurve im letzten Rennen kämpfen.

Was ihn, Vettel und die gesamte Scuderia nach der rund zwölfstündigen Rückreise erwartet, kann man sich ausmalen. Vettel der erstmal Heim in die Schweiz flog, wird sich weiter den Fragen nach einer Mitschuld an dem fatalen Unfall nach wenigen Metern stellen müssen.

Die "Katastrophe aller Katastrophen"

Daran ändert auch nichts, dass die Rennkommissare weder den von Pole nur mäßig gestarteten Deutschen noch dessen Teamkollegen Kimi Räikkönen oder Max Verstappen von Red Bull für den Unfall hauptverantwortlich machten. „Fünf Sekunden, die Sebastian Vettel nie vergessen wird, und die seinen Traum vom Weltmeistertitel beenden können“, unkte die Tageszeitung „La Stampa“ am Montag.

"Fünf Sekunden, die Sebastian Vettel nie vergessen wird": Der Ferrari-Pilot nach seinem frühen Ausscheiden in Singapur © Reuters

Die Stimmung von Vettels Oberboss Sergio Marchionne dürfte nach der „Katastrophe aller Katastrophen“ („Gazzetta dello Sport“) auf einem neuen Tiefpunkt sein. Nach dem verlorenen Heimrennen in Monza, wo Vettel immerhin noch auf Platz drei gekommen war, hatte er bereits gegiftet: „Wir haben versagt.“

Aus der geforderten Revanche wurde am Sonntag im verregneten Singapur ein maximales Desaster - die oft und schnell bemühten Alarmglocken dürften mittlerweile ohrenbetäubend laut schrillen in Maranello. „La Repubblica“ sah bereits den „roten Sonnenuntergang“: „Nachdem Ferrari sein 70. Firmenjubiläum gefeiert hat, kehrt man zur bitteren Realtität zurück.“

Pressestimmen zum Großen Preis von Singapur

The Telegraph (England)

Lewis Hamilton fällt ein Wunder in den Schoß. Dieses Wunder, auf das er so gehofft hatte, geschieht bereits in der ersten Kurve, es wird Lewis schön verpackt und mit einer roten Ferrari-Schleife überreicht. Sebastian Vettel fiel von seinem springenden Pferd - und Hamilton, der so gerne den Allmächtigen bemüht, hat vermutlich an ein göttliches Eingreifen geglaubt.

The Guardian (England)

Ein freudetrunkener Lewis Hamilton räumte dem großen Ayrton Senna einen Anteil an seinem Sieg in Singapur ein. Er habe an das Rennen 1988 in Monaco gedacht, als der führende Senna nach einem Fahrfehler noch ausschied. Das habe ihn dazu bewogen, in Singapur vorsichtig zu sein, erzählte Lewis. Er trug seinen Silberpfeil zum Sieg, während sein großer Rivale crashte. Sebastian Vettels Missgeschick könnte die WM entschieden haben.

Daily Mail (England)

Lewis legt die Hand an seinen vierten WM-Pokal, inspiriert von seinem großen Idol Ayrton Senna. Das war ein gewaltiger Coup von Hamilton, während sein großer Rivale einen Crash am Start nicht lange übersteht. Vettel braucht in den letzten sechs Saisonrennen mehr als nur eine große Portion Glück, um Lewis diesen Titel noch zu entreißen.

L'Equipe (Frankreich)

Ein katastrophales Szenario für Ferrari und Sebastian Vettel. Schon in der dritten Kurve des Rennens war kein rotes Auto mehr dabei. Und das auf einer Strecke, die für den SF70-H wie geschaffen schien. 'Gott war heute auf meiner Seite, ich habe viel Glück gehabt, sagte Lewis Hamilton nach diesem Sieg, der seinen WM-Titel Nummer vier in greifbare Nähe rückt.

Gazzetta dello Sport (Italien)

Ferrari macht alles falsch. Die roten Boliden zerstören sich selbst. Ferrari handelt wie ein Student, der einen Kaffee über seine fertige Dissertation kippt. Ein Desaster! Ferrari wollte Hamilton den K.o. versetzen, aber die große Chance wird zur Katastrophe. Selbst der beste Regisseur von Horrorfilmen hätte sich so etwas nicht vorstellen können. Viel Pech, aber auch ein wenig Oberflächlichkeit seitens des Teams im Umgang mit dem heikelsten Start der Saison. Jetzt fehlen noch sechs Rennen, und der Weg ist für Ferrari unglaublich steil.

Corriere dello Sport (Italien)

Vettel, nein, so nicht! Roter Albtraum für Ferrari. Die ersten 300 Meter in Singapur wurden für Ferrari zu einem der katastrophalsten Ereignisse im letzten Jahrzehnt. Der Crash ist für Hamilton wie ein Glas prickelnder Champagner. Vettels wahre Leistung wird es jetzt sein, weiterhin um den Titel zu kämpfen und noch zu glauben, dass Ferrari ihn erobern kann.

Tuttosport (Italien)

Desaster Ferrari. Ein katastrophaler Unfall versenkt Maranellos Hoffnungen auf den WM-Titel. Nach den Feierlichkeiten für das 70. Gründungsjubiläum kehrt Ferrari zur bitteren Wirklichkeit zurück. In wenigen Sekunden ist eine gesamte Saison zerstört worden.

La Repubblica (Italien)

Roter Sonnenuntergang für Ferrari. Das Rennen um den WM-Titel führt ab jetzt steil bergauf. Doch nicht Pech, sondern Fehler haben das Dilemma verursacht. Der Start ist vom Team auf oberflächliche Weise vorbereitet worden. Vettel und Räikkönen haben auf das Inferno des F1-Starts im Regen reagiert, indem sie mehr instinktiv als nach den Anweisungen gehandelt haben.

Corriere della Sera (Italien)

Eigentor! Ferrari schenkt Mercedes den WM-Titel, Ferrari verstümmelt sich selbst. Die null Punkte auf Vettels Lieblingsstrecke in Singapur sind ein schwerer Schlag auf dem Weg zum erhofften WM-Titel. Die Liste der Fehler ist für Ferrari lang und schmerzhaft. Die Saison ist zwar nicht zu Ende, doch Ferrari muss jetzt sofort reagieren.

La Stampa (Italien)

Zerstückelter Ferrari in Singapur - Hamilton bedankt sich. Fünf Sekunden genügen, um eine Saison zu zerstören. Fünf Sekunden, die Vettel bestimmt nie vergessen wird. Fünf Sekunden, die seinen Traum vom WM-Titel versenken könnten. Hamilton kann feiern. Der Weg zum WM-Titel wird für ihn zum Spaziergang.

Kronen-Zeitung (Österreich)

Wilde Szenen beim Grand Prix in Singapur! Bei Regen gab's gleich in der ersten Runde drei Ausfälle von Spitzenfahrern - mit womöglich entscheidenden Auswirkungen auf die WM- Entscheidung! Hamilton krallt sich von Ferrari 'verschenkten' Grand Prix.

Blick (Schweiz)

Ferrari-Crash versaut Vettel die WM-Führung. Die beiden Ferrari und Max Verstappen fliegen in Singapur schon beim Start-Crash raus. Großer Profiteur des Regen-Chaos ist Lewis Hamilton, der mit dem Sieg seine WM-Spitzenposition zementiert.

Marca (Spanien)

Hamilton haut auf den Tisch. Vettel, Verstappen, Kimi und Alonso müssen vorzeitig die Segel streichen. Hamilton regiert im Chaos von Singapur. Sechs Rennen vor Schluss könnte dieser Sieg bereits sein vierter Titel sein. Verstappen und Kimi haben Mist gebaut, für Seb wird es jetzt doppelt schwer.

As (Spanien)

Hamilton vergrößert seinen Vorsprung nach dem GP von Singapur. Der Crash mit Verstappen und Räikkönen wurde zu Vettels Schicksal. Der schlechte Start der Ferrari kam Hamilton entgegen, er ließ danach nichts mehr anbrennen. Hamilton hatte das Glück dass sein größter Rivale von Beginn an nicht mehr im Rennen war. Vettels Ausfall hat dem Kampf um den WM-Titel die Spannung genommen.

Sport (Spanien)

Hamilton regiert im Chaos. Sebastian Vettel schon nach der ersten Runde außer Gefecht. Das Rennen war eigentlich kurz nach dem Start entschieden, als Hamiltons Rivalen sich selber eliminierten. Hamilton hat jetzt 28 Punkte Vorsprung auf Vettel und läßt die Muskeln spielen. Das Ergebnis ist ein herber Rückschlag für Vettels Titelambitionen.

El Mundo Deportivo (Spanien)

Im Auge des Sturms bleibt Hamilton cool. Der Brite vergrößert mit seinem Sieg seinen Vorsprung auf Vettel auf 28 Punkte - es war das Geschenk des Jahres von Ferrari. Der Unfall zwischen Verstappen, Räikkönen und Vettel war wie ein Strike beim Bowling - und er könnte die WM entschieden haben.

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Erst zweiter Doppel-Ausfall für Ferrari

Erst zum zweiten Mal in elf Jahren kamen beide Ferrari nicht ins Ziel und Vettels Rückstand im Klassement auf Hamilton wuchs auf 28 Punkte. Der 32 Jahre alte Brite hatte vor seinen drei Siegen nacheinander in Belgien, Italien und Singapur noch 14 Zähler hinter Vettel gelegen. Und nun kommen im Gegensatz zum engen Stadtkurs von Singapur vermeintliche Paradestrecken für Hamiltons Mercedes. 15 der vergangenen 17 Rennen in Malaysia, Japan, Mexiko (erst zwei Ausgaben), den USA, Brasilien und Abu Dhabi entschieden die Silberpfeile in den vergangenen Jahren für sich.

Man gehe nicht entspannter in die nächsten Rennen, betonte Wolff jedoch. Er nutzte das Singapur-Resultat des Rivalen als Mahnung ans eigene Team: Es sei eine deutliche Erinnerung daran, dass es in dieser Saison noch sechs weitere Gelegenheiten gebe, in denen Mercedes das Glück nicht hold sein könnte.

Vettel wagte viel und verlor alles

Es ist aber Vettel, der sich durch den Unfall erstmal in eine hochriskante Ausgangslage manövriert hat. Statt auf Nummer sicher zu gehen und die erste Kurve zu überstehen, wagte Vettel viel und verlor alles. Während Hamilton seine Strategie - „Eine perfekte Balance zwischen aggressiv und vorsichtig“ - auch in den entscheidenden sechs Rennen dieser Saison beibehalten will, kann Vettel sich jegliche Vorsicht kaum mehr leisten im Duell mit dem mittlerweile 60-maligen Grand-Prix-Gewinner.

Zumal von Platz drei auch noch Valtteri Bottas, Dritter beim Flichtlichtspektakel hinter Hamilton und Daniel Ricciardo im Red Bull, den Vizerang im Klassement ansteuert. „Sebastian ist das nächste Ziel“, sagte der Finne im Mercedes-Team. 23 Punkte liegt er hinter dem Heppenheimer, weniger als Vettel hinter Hamilton.

Doch es wäre nicht das erste Mal, dass Vettel sich aus so einer Situation befreit und am Ende noch der große Gewinner ist. 2010 lag er im Red Bull schon mal 31 Punkte hinter Hamilton im McLaren - und wurde erstmals Weltmeister. 2012 fehlten ihm zwischenzeitlich 42 Punkte auf den damaligen Ferrari-Piloten Fernando Alonso - Vettel wurde am Ende aber Weltmeister. Mercedes will das verhindern. „Wir sind nicht hier, um Gefangene zu machen“, sagte Wolff bei allem Mitgefühl für die Ferrari-Verantwortlichen in der düsteren Nacht von Singapur.