Der Titel-Thriller wird zum Psychokrieg. Nico Rosberg spielt gekonnt den provozierenden Herausforderer, Lewis Hamilton wirkt vor dem Showdown in Abu Dhabi ungewohnt angespannt.

Abu Dhabi. Lewis Hamilton verzieht keine Miene, stoisch schluckt er die kleinen Sticheleien von Nico Rosberg. Der WM-Spitzenreiter wirkt ungewohnt angespannt vor dem Titel-Thriller – und betont gebetsmühlenartig das Gegenteil: Nein, er fühle keinen Druck, sei nicht nervös. Für Rosberg ist das nur noch mehr Ansporn, den Psychokrieg im Titel-Thriller kaltlächelnd anzuheizen.

„Ich bin hier, um das Rennen zu gewinnen. Dann brauche ich etwas Hilfe von Lewis, damit er nicht Zweiter wird“, so Rosberg: „Ich hoffe, er lässt sich etwas einfallen“. Wie bitte?

Hamilton verzichtete auf einen Konter. Und fing sich wenig später selber einen ein. Ob er etwas tun könne, damit es auf der Strecke ein sauberer Zweikampf werde? „Ich glaube nicht“, sagte Hamilton. Rosberg, der nach dem Crash von Spa im Sommer zum Sündenbock gemacht worden war, sah das etwas anders: „Was Lewis tun kann, ist selber sauber zu fahren. Es ist also nicht so, dass er nichts tun kann.“ Hallo?

Der „nette Herr Rosberg“ hat vor dem Saisonfinale in Abu Dhabi in den Kampfmodus geschaltet. Natürlich im Nico-Style. Nicht laut, polternd, unter der Gürtellinie. Nein, nett, höflich, mit einem Lächeln verpackt servierte der Wiesbadener die eine oder andere Spitze.

„Lewis hat alles zu verlieren“


Rosberg weiß, dass er alle Register ziehen muss, will er sich trotz 17 Punkten Rückstand auf Hamilton am Ende wie sein Vater Keke vor 32 Jahren zum König der Formel 1 krönen. „Lewis hat alles zu verlieren, ich habe alles zu gewinnen“, weiß Rosberg: „Ich muss ja versuchen, ihn so gut wie möglich nervös zu machen dieses Wochenende. Das ist ja meine Aufgabe.“

Verständnis erntet er dafür auch von Niki Lauda, dem Aufsichtsratsvorsitzenden des Mercedes-Formel-1-Teams. „Man checkt schon, wie der andere drauf ist. Habe ich auch gemacht. Du versuchst, bei deinem Erzfeind am entscheidenden Wochenende irgendein Zeichen zu entdecken, dass du dann für dich umsetzen kannst“, sagte der dreimalige Weltmeister in der FAZ. Nach Spa hätten sich die beiden Piloten „schon angefeindet“. Sie seien „auf einem guten Weg“. Aber das könne sich „von Sekunde zu Sekunde verändern“.

Hamilton verzichtet in Abu Dhabi auf die große Entourage, „ein paar Freunde, ein oder zwei Cousins auf der Tribüne, sonst keine Familie“ – vom üblichen Glamourfaktor keine Spur. Positiv bewertet könnte man sagen, der Engländer konzentriert sich auf das Wesentliche. Wäre, ja, wäre da nicht das ungewohnt wortkarge, leicht verkrampfte Auftreten.

Hat Rosberg mit seinen Psycho-Spielchen Erfolg?


Und wären da nicht seine eigenen Worte, gesprochen auf der Pressekonferenz und geschrieben in seiner BBC-Kolumne. „Ich denke, dass alles, gut oder schlecht, aus einem bestimmten Grund geschieht. Wenn die Dinge für mich nicht nach Plan laufen, denke ich nicht daran, wie viel Pech das war oder was immer. Ich versuche immer, das Glas als halb voll anzusehen.“ Spricht so ein zukünftiger Champion? Ein WM-Spitzenreiter vor dem letzten Rennen?

Es sind nachdenkliche Töne von Lewis Hamilton, der sich immer wieder mal der Worte bedeutender Männer wie Martin Luther King bedient. Von wahrer Größe ist da die Rede, die sich erst in schwierigen Momenten zeigt. Hamilton fühlt sich bereit für die Herausforderung, baut auf seine Erfahrung „aus 20 Jahren im Rennsport – ich bin vorbereitet auf diesen Tag“.

Er werde auf keinen Fall „dumme Risiken“ eingehen, weil er es nicht nötig habe. Trotzdem glaubt Rosberg, Einfluss auf Hamiltons Rennen nehmen zu können, in Brasilien habe er ihn schließlich auch in den entscheidenden Dreher getrieben.

Hamilton reicht zwar bei einem Rosberg-Sieg Rang zwei zum Titel, aber: „Das ist genau so schwierig, wie Erster zu werden“, sagt Sky-Experte Marc Surer. Vor allem, wenn Rosberg mit seinen Psycho-Spielchen Erfolg hat.