Hamburg. Auch in Liga zwei bliebe der HSV der größere Club – und auf Dauer ist der Aufstieg in die Bundesliga sowieso unvermeidlich.

Ein Derby definiert sich ja dadurch, dass zwei rivalisierende und in räumlicher Nähe beheimatete Vereinsmannschaften gegeneinander antreten. Im Fußball gibt es reichlich solcher Spiele, die man ohne Übertreibung als legendär bezeichnen kann: das „Old Firm“ in Glasgow (Celtic gegen Rangers), das „Derby della Madonnina“ in Mailand (Inter gegen AC) oder auch den „Superclasico“ in Buenos Aires (Boca Juniors gegen River Plate).

Die Mutter aller Derbys aber ist im schottischen Städtchen Dundee zu Hause. Zumindest wenn man die „räumliche Nähe“ zum Maßstab nimmt. Die Stadien der beiden Clubs FC Dundee (der „Dens Park“) und Dundee United (der „Tannadice Park“) liegen nämlich an derselben Straße – und sind nur etwa 75 Meter voneinander entfernt. Zwar gab es in dieser Saison keine Spiele, doch das wird sich bald ändern, da United den Aufstieg in die Scottish Premiership so gut wie sicher hat, wo der FC auf Platz sechs steht.

Die besondere Konstellation lässt Schlimmes befürchten

Von den oben genannten Spielen unterscheidet sich das Dundee-Derby nicht nur wegen seiner Größe (die Stadien bieten Platz für 12.000 beziehungsweise 14.000 Besucher), sondern vor allem wegen seiner Atmosphäre – denn die ist traditionell ausgesprochen entspannt. Ausschreitungen gab es noch nie, die Spiele sind Festtage für die Stadt. Manche sprechen vom friedlichsten Derby der Welt.

Die kürzeste Entfernung zwischen den Stadien zweier Liga-Rivalen in Deutschland beträgt sechs Kilometer: Es sind die vom Millerntor zum Volkspark. Einen friedlichen Festtag für die Stadt wird es am Freitag dennoch eher nicht geben. Manche fürchten angesichts der einzigartigen Konstellation gar das Schlimmste. Und das liegt an der ziemlich jungen Rivalität der beiden Clubs.

In Glasgow, Buenos Aires und Mailand geht es immer um die sportliche Vorherrschaft, um die Frage, wer mehr Titel gewonnen hat. Das war in Hamburg nie so. Der FC St. Pauli (titellos seit Gründung 1910) hat sich – zwangsläufig – auch nie darüber definiert. In den Derbys ging es denn auch immer nur darum, den Großen (HSV) zumindest einmal ärgern zu können.

Erst seit sechs Jahren sind die Clubs sportlich auf Augenhöhe

Das hat sich erst in den vergangenen sechs Jahren, die man gemeinsam in der Zweiten Liga verbracht hat, ein wenig geändert. Zumindest sportlich agierten beide meist auf Augenhöhe. Ein Sieg gegen den HSV blieb für den Kiezclub zwar etwas Besonderes, eine Sensation wie noch 2011 (als man in der Bundesliga 1:0 im Volkspark gewann – zum ersten Mal seit 1977) war es aber nicht mehr. Die Frage, wer die Nummer eins der Stadt ist, hat sich dennoch nie gestellt.

Die besondere Brisanz diesmal besteht in der möglichen dreifachen Demütigung des HSV. Dass St. Pauli erstmals im Profifußball in einer Abschlusstabelle vor dem HSV liegen wird, steht schon fest. Mit einem Sieg im Derby würden sie den Bundesliga-Aufstieg ausgerechnet im Volkspark feiern. Und je nach Ausgang des Parallelspiels Fortuna Düsseldorf gegen 1. FC Nürnberg könnte auch das Ende der HSV-Aufstiegsträume besiegelt werden. Dass manche schlimme Ausschreitungen befürchten, scheint da nicht weit hergeholt.

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Kommt es also zur „Wachablösung“? Nein. Der HSV wird weiter der deutlich „größere“ Club bleiben. Aufgrund der riesigen Fan-Basis und der finanziellen Möglichkeiten wird es auf Dauer unvermeidbar sein, in die Bundesliga aufzusteigen. Und der FC St. Pauli hat es noch nie geschafft, sich dort zu etablieren. Drei Jahre (1988 bis 1991) war die bisher längste Verweildauer. Nach den vorigen beiden Aufstiegen (2001 und 2010) ging es sofort wieder runter.

Zwar sind die sportlichen und finanziellen Voraussetzungen diesmal deutlich besser, aber um wirklich die „Nummer eins“ der Stadt zu sein, müsste der Club viele Jahre lang sportlich vor dem HSV rangieren. Und das bleibt sehr unwahrscheinlich.

Es könnte sogar sein, dass nach Abpfiff beide Fanlager jubeln

Diese Frage ist für einige Fans ohnehin viel wichtiger als für die Clubs. Die tun gut daran, sich nicht über den jeweils anderen zu definieren. Der HSV sieht sich langfristig unter Europas Top 25. Und der FC St. Pauli steht für den Satz: Ein anderer Fußball ist möglich. Schwierig genug, das auf Dauer in der Ersten Liga zu leben.

Und am Freitag? Kommt es ja vielleicht zu einer ganz besonderen Konstellation: Der HSV gewinnt und Düsseldorf verliert. Dann kann der HSV den Derby-Sieg und der FC St. Pauli den Aufstieg feiern.