Madrid. Jan-Lennard Struff hat die Tennis-Sensation verpasst. Im Finale von Madrid unterlag er dem Favoriten Carlos Alcaraz nach großem Kampf.

Jan-Lennard Struff ist kein Mann der vielen Worte. Er sagt eigentlich nur das Nötigste, das aber ganz klar. Auf den Punkt. Ehrlich und ungeschminkt. Sein letztes Tennisjahr sei „oft Mist“ gewesen, sagte Struff, ab und zu habe er sich 2022 „schwer unter Wasser“ befunden. Das Ganze sei eine „arge Quälerei“ gewesen. Aber dennoch, Er „habe ich nie gedacht: Das war’s jetzt. Es geht nur noch abwärts.“ Was nötig gewesen sei: „Anpacken. Malochen. Sicherheit gewinnen, neues Selbstbewusstsein.“

Gesagt, getan.

An Selbstbewusstsein dürfte es dem 33-Jährigen aus Warstein nach dieser außergewöhnlichen Woche nun nicht mehr mangeln. Natürlich war Struff am Sonntagabend enttäuscht, als er in Madrid die Pleite in seinem ersten Finale bei einem ATP-Masters-Turnier verdauen musste. Aber er hatte ja den haushohen Favoriten Carlos Alcaraz (Spanien), die Nummer zwei der Weltrangliste, an den Rand der Verzweiflung gebracht und musste sich erst nach großem Kampf mit 4:6, 6:3, 3:6 geschlagen geben. „Es waren sehr intensive Tage“, sagte Struff, der nach verlorener Qualifikation doch noch nachgerückt war und einen unglaublichen Lauf in Spaniens Hauptstadt hingelegt hatte. Der Lohn: Ab Montag wird er auf Position 28 und damit so hoch wie noch nie in seiner Karriere geführt.

Struff war auch in dieser Saison schon in einer schwierigen Phase, in der ATP-Rangliste bis auf Platz 167 abgerutscht. Doch ein verdammt starker Frühling im Wanderzirkus hat ihn auf einmal zum Gesprächsthema gemacht, besonders in der Heimat, aber nicht nur dort. So viel ist aber mal sicher: Spätestens nach seinem spektakulären Sieg in Madrid gegen den Weltranglisten-Fünften Stefanos Tsitsipas ist Schwerarbeiter Struff, der 196-Zentimeter-Turm aus Warstein, der Mann der Stunde im deutschen Tennis.

Struff könnte demnächst an Zverev vorbeiziehen

Während Olympiasieger Alexander Zverev noch immer an einem Comeback in der Weltspitze bastelt und immer mal mit seiner Form hadert, nimmt Struff gerade neues Terrain in seinem Berufsleben ins Visier. „Ich habe mir das Gefühl erarbeitet, dass ich jeden da draußen schlagen kann“, sagte er. Noch liegt Zverev in der Weltrangliste vor ihm – absehbar ist, dass Struff seinen Kumpel sogar als nationale Nummer eins ablösen wird, schließlich hat der angestammte Frontmann in den nächsten Wochen noch gewaltige Punktepolster zu verteidigen.

Kommt Struff in sein gefürchtetes Power-Play mit unbarmherzigen Grundschlägen und einem kaum returnierbaren Service, ist er für jeden eine Gefahr. „Mit der richtigen Intensität und Mentalität muss er sich vor niemandem verstecken“, sagt sein Coach Marvin Netuschil, „die Devise ist: Konsequenz und Mut.“ In Madrid strahlte Struff diese Fokussiertheit gleich mehrmals aus. Und nach Ansicht von Bundestrainer Michael Kohlmann hat der Warsteiner sein Potenzial noch nicht ausgeschöpft. „Wenn es ginge, würde ich jetzt Struff-Aktien kaufen.“

Struff ist ehrgeiziger geworden

Struff hat sich diese Standfestigkeit schwer erarbeitet. Er musste dabei vor allem lernen, sein gelegentliches Phlegma, seine Genügsamkeit und seine schlechte Körpersprache hinter sich zu lassen. „Ich bin eigentlich ein ruhiger Typ. Eher zurückhaltend“, sagte der Riese, „aber im Tennis musst du halt auch Emotionen zeigen. Der Gegner muss sehen, wie sehr du drin bist in so einem Duell.“ Schon bevor ihn in der vergangenen Saison ein Zehenbruch und eine Corona-Erkrankung zurückwarfen, hatte Struff von seiner deutlich gewachsenen Präsenz auf der Tennisbühne profitiert, ein erster Sprung unter die Top 30 mit Allzeithoch auf Position 29 im August 2020 war kein Zufall. Der Hüne war und ist zwar noch bei allen „Struffi“, der Bursche mit dem trockenen Humor und den knackigen Sprüchen. Aber dort, wo es zählte für ihn, an seinem Arbeitsplatz, war er eher Herr Struff als Struffi. Einer, der sich in eine Respektsperson verwandelt hatte.

Struff hatte sich selbst vor ein paar Jahren mal zur Ordnung gerufen und beim Blick in den Spiegel festgestellt: „Hey, das reicht nicht, was du bringst. Du musst jetzt ehrgeiziger werden, härter zu dir selbst.“ Mal ein, zwei Runden bei den Topwettbewerben zu gewinnen, war ihm in jeder Beziehung nicht genug. Struff nahm sich wirklich ernsthaft vor, zu den Besseren und Besten aufzuschließen, mit noch mehr Übungsdrill und der Bereitschaft zur Veränderung. „Ich habe meine Hausaufgaben gemacht“, sagte Struff nun. Die Finalteilnahme in Madrid muss da nicht das Ende der Fahnenstange bedeuten