Hamburg. Nach zehn Jahren beim Team DSM muss sich Nikias Arndt bei Bahrain Victorious nun neu beweisen. “Druck ist gestiegen.“

Am Mittwoch saß Nikias Arndt im Flugzeug nach Gran Canaria. Bei angenehmen 20 Grad Celsius bereitet sich der gebürtig aus Buchholz in der Nordheide stammende Radprofi auf der Atlantikinsel in den kommenden zwei Wochen auf die neue Saison vor, die im März mit den ersten Frühjahrsklassikern richtig Fahrt aufnimmt. Für den 31-Jährigen sind diese Trainingslager nichts Neues, seit mehr als einem Jahrzehnt ist Arndt auf WorldTour-Level unterwegs. Und doch ist in diesem Jahr für ihn fast alles anders.

„Ich spüre, dass der Druck gestiegen ist. Ich habe im Winter noch nie so hart trainiert wie jetzt“, sagt der Wahlkölner, der nach der vergangenen Saison und zehn Jahren beim Team DSM (ehemals Sunweb, Giant, Argos) einen Neustart wagte, sich für die kommenden zwei Jahre dem zuletzt erfolgreicheren Team Bahrain Victorious anschloss. „Ich will mich als neuer Fahrer behaupten, um im Team als einer der wichtigsten Fahrer angesehen zu werden. Das ist momentan ein angenehmer Druck“, sagt Arndt.

Radprofi Nikias Arndt: „Ich habe noch nie so hart trainiert“

Der Abschied von DSM sei ihm nach zehn Jahren natürlich einerseits schwergefallen, andererseits aber auch richtig gewesen. „Mir hat es bei meinem ehemaligen Team immer sehr gut gefallen und ich habe mich wohlgefühlt. Für mich gab es die Möglichkeit, dem Team immer treu zu bleiben und meine Karriere dort zu beenden oder eben links und rechts noch mal zu gucken“, sagt Arndt. „Ich glaube, dass es für mich an der Zeit war, neue Erfahrungen und Herausforderungen zu erleben.“

Für den Wechsel habe er sich nicht nur aus sportlichen Gründen entschieden. „Es hat in den vergangenen zwei Jahren bei DSM nicht mehr so viel Spaß gemacht wie noch zuvor“, sagt Arndt. „Das lag einerseits an den Ergebnissen, andererseits aber auch am Management, das Strategien und Herangehensweisen sehr klar bestimmt hat.“

Bereits seit mehr als fünf Jahren war Arndt bei DSM beziehungsweise Sunweb als Road Captain unterwegs. Der erfahrene Profi war der verlängerte Arm der sportlichen Leitung auf der Straße, sollte nicht nur immer die beste Streckenkenntnis besitzen und das Team zusammenhalten, sondern auch die Strategie mitbestimmen. Zumindest in der Theorie.

"Meine Erfahrung wurde nicht immer so sehr wertgeschätzt, wie ich es mir gewünscht hätte“

Praktisch seien seine Strategievorschläge und Hinweise zu spontan auftretenden Rennsituationen in den vergangenen Jahren immer weniger berücksichtigt worden. „Wenn wir als Sportler beispielsweise im Rennen Vorschläge zur Taktik gemacht haben, wurde das nicht gehört. Es steht außer Frage, dass auch das Management wieder mehr Erfolge mit dem Team feiern wollte. Uns als Sportlern stand diese Steuerung von oben aber im Weg“, kritisiert Arndt. „Fahrer und sportliche Leitung sind im Rennen aufeinander angewiesen. Meine Erfahrung wurde nicht immer so sehr wertgeschätzt, wie ich es mir gewünscht hätte.“

Schon im Februar vergangenen Jahres habe er sich schließlich dazu entschieden, seinen am Ende der Saison auslaufenden Vertrag nicht zu verlängern. Seinem Verhältnis mit den DSM-Verantwortlichen war das nicht zuträglich, schließlich verwehrte ihm das Team im vergangenen Sommer sogar den Start bei der Tour de France, dem unumstrittenen Jahreshöhepunkt jeder Radsportsaison, bei dem jeder Fahrer dabei sein will.

„Ich habe mit vielen Teams gesprochen. Trotzdem muss man auch sagen, dass ich zwar ein solider Fahrer, auf der Prioritätenliste der Teams aber nicht die Nummer eins bin“, sagt Arndt. „Ich hatte über das gesamte Jahr ein gutes Gefühl, dass ich ein Team finden würde. Konkrete Angebote hatte ich aber erst nach der Tour de France von drei Teams. Bei Bahrain Victorious war ich von Anfang an begeistert.“

In Phil Bauhaus (28/Bocholt) und ­Jasha Sütterlin (30/Freiburg im Breisgau) trifft Arndt bei seinem neuen Team nicht nur auf zwei Landsleute, sondern auch auf zwei Ex-Teamkollegen. Bauhaus wechselte 2018 von DSM-Vorgänger Sunweb zu Bahrain Victorious, Sütterlin folgte 2021. Die drei Deutschen erleben bei dem im Vergleich zu DSM finanziell besser aufgestellten, mit einer bahrainischen Lizenz ausgestatteten Team einen höheren Grad der Professionalität. „Schon beim ersten Trainingslager im Dezember habe ich gewusst, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe“, sagt Arndt.

Für die Tour de France steht er schon auf der Longlist seines Teams

Während die DSM-Fahrer zu Beginn jeder Saison beispielsweise noch selbstständig Ärzte aufsuchen mussten, um den vom Weltverband UCI vorgeschriebenen Medizincheck zu durchlaufen, waren im Bahrain-Victorious-Trainingslager im Dezember sechs Ärzte vor Ort, die alle Untersuchungen vornahmen. „Das Team erwartet Erfolge, will vorne in der Weltspitze mitfahren. Dafür werden wir Fahrer aber auch überragend unterstützt. Es wird alles dafür getan, damit wir unsere Leistung optimal abrufen können“, sagt Arndt.

Abgesehen von den sportlichen Ambitionen spürt der gebürtige Buchholzer bei seinem neuen Arbeitgeber wieder das Vertrauen, das ihm zuletzt bei DSM fehlte. So befragten ihn die Verantwortlichen unter anderem bereits zu seinen Einschätzungen zu potenziellen Neuzugängen. „Ich werde sehr vielseitig eingesetzt. Sportlich soll ich den Sprintzug verbessern, aber auch als Road Captain bei den Grand Tours aktiv sein. Darüber hinaus soll ich auch bei bestimmten Rennen meine eigene Siegchance suchen“, sagt Arndt.

Für die diesjährige Tour de France (1. bis 23. Juli) steht er bereits auf der Longlist seines Teams. Allerdings, das stellt Arndt klar, würden bei Bahrain Victorious auch kurzfristige Wechsel im Aufgebot vorgenommen, „wenn die Form mal nicht stimmen sollte“. Ein Grund mehr also, um sich nun auf Gran Canaria zu quälen.