Hamburg. Per Günther war mehr als eine Dekade ein Gesicht der Basketball-Bundesliga. Nun erfreut er sich des Nichtstuns.

Es ist hektisch bei Familie Günther aus Eppendorf. Der Hausherr scheint zu kochen, entfernt sich dafür mehrfach hörbar vom Telefon, an dessen anderem Ende das Abendblatt ist. Im Hintergrund kommen Kinder in die Wohnung. „Schuhe aus“, ruft eine Frauenstimme. Das Familienoberhaupt, Per Günther, bleibt ruhig. Die Gelassenheit der Rente.

In diese begab sich der in Hagen aufgewachsene Gießener vergangenen Sommer im zarten Alter von 34 Jahren. Nachdem er zuvor mehr als eine Dekade die Basketball-Bundesliga prägte. Der Aufbauspieler war nicht nur das Gesicht von Ratiopharm Ulm, wo er von 2008 an auflief, er war einer der Köpfe seines Sports. Zweimal Vizemeister (2012, 2016), die sechstmeisten Spiele der Ligageschichte (500), die neuntmeisten Punkte (4499), die viertmeisten Vorlagen (1556) und als vermutlich charmanteste Auszeichnung fünffacher und damit Rekordgewinner des Pascal-Roller-Awards für den beliebtesten Spieler. Günther bestach mit seiner Eloquenz, Cleverness, vor allem seinem Witz seit Anbeginn seiner Karriere.

Basketball: Der Vorruheständler renoviert tagsüber eine Wohnung in Eimsbüttel

Und nun, da diese vorüber ist? „Mache ich nichts“, sagt der 65-fache Nationalspieler. Wobei das ein wenig geschummelt ist. Schon an diesem Sonnabend (20.30 Uhr/Sport1 und MagentaSport) schaut er seinem Ex-Club aus Ulm von der Tribüne aus beim Gastspiel in der edel-optics.de Arena bei den Veolia Towers Hamburg zu, sitzt neben seiner Frau Leonie. Sie war auch der Grund, zusammen mit den fünf- und zweijährigen Söhnen an die Alster zu ziehen. Nach einem Jahrzehnt mit Fokus auf Basketball wurden die Rollen getauscht, jetzt steht die berufliche Laufbahn von Leonie Günther, die als Marketingchefin beim Kinobetreiber Filmpalast arbeitet, im Mittelpunkt.

Der Vorruheständler renoviert tagsüber eine kleine Wohnung in Eimsbüttel. „Ich brauche so ein Projekt, um nicht verrückt zu werden“, sagt Günther. Dabei scheint dieses Unterfangen geradezu verrückt zu sein, da seine handwerkliche Begabung gen null geht. YouTube-Lehrvideos leisten die notwendige Abhilfe. Außerdem springt Günther gelegentlich als TV-Experte ein, bei der EM in Köln und Berlin im vergangenen September erfreuten sich seine Analysen wenig überraschend überwältigender Beliebtheit beim Publikum.

Basketball: Per Günther vermisst das Profidasein überhaupt nicht

Selbst gespielt hat Günther erst einmal wieder. An Silvester in einer Hobbytruppe des Eimsbütteler TV – gemeinsam mit Towers-Geschäftsführer Marvin Willoughby und mit ernüchternden Resultaten: „Der Wurf fällt ab und an noch, ansonsten war es schockierend, wie schnell die koordinativen Fähigkeiten verschwinden. Ich hatte das Gefühl, zwei Holzhände zu haben.“ Eine Beschäftigung bei den Wilhelmsburgern, die sich mit Sicherheit finden lassen würde, strebt Günther in absehbarer Zeit nicht an.

„Das Profidasein, diesen Sonnabend-zu-Sonnabend-Rhythmus, vermisse ich überhaupt nicht. Das Spiel allerdings schon, das Gerede, Laufen und Lachen. Und mir scheint das Niveau dabei egal zu sein, was ich von mir eigentlich gar nicht erwartet hätte.“ Also gut möglich, dass der wertvollste Akteur des All-Star-Spiels von 2016 demnächst die unteren Hamburger Ligen aufmischt.

Sich selbst nimmt Günther ohnehin nicht zu wichtig, fremdelt daher auch mit der Bezeichnung Legende: „Es gehört Fügung dazu, ein Gesicht der Liga zu werden. Wäre der Standort Ulm während meiner Zeit dort nicht gewachsen, wäre ich sicher zu einem besseren Club gewechselt. Das Gleiche gilt, wäre ich zehn bis 20 Prozent besser gewesen. Daher besitze ich auch nicht diesen höheren, moralischen Kompass, Spielerwechsel zu Topvereinen zu kritisieren. Die Jungs haben alle Ambitionen.“ Seine ist es, den Wert im Nichtstun zu entdecken.