Hamburg. Jackson Mmari ist der erste Tansanier, der in Europa Volleyball spielt. Beim Eimsbütteler TV will er lernen und wachsen.

Manchmal, wenn er zur Ruhe kommt und sich seiner Situation bewusst wird, muss Jackson Mmari tief durchatmen. Weil er kaum glauben kann, was da gerade passiert. Und weil er die Verantwortung spürt, die auf seinen Schultern lastet. „Ich weiß, dass in meiner Heimat sehr viele Menschen verfolgen, was ich gerade tue. Der Druck, hier abliefern zu wollen, ist riesig. Aber ich bin sehr dankbar dafür, diese Chance zu haben“, sagt der 24-Jährige, der seit dieser Saison die Nordgruppe der Zweiten Volleyball-Bundesliga als Diagonalangreifer des Eimsbütteler TV bereichert.

Jackson Mmari ist Kapitän der Nationalmannschaft Tansanias. Er ist der beste Volleyballer aus dem ostafrikanischen Land, das in Deutschland vor allem dank seiner Naturparadiese, dem Serengeti- und dem Kilimandscharo-Nationalpark bekannt ist. Er ist der erste tansanische Volleyballer, der es nach Europa geschafft hat. Als er im ersten Saisonspiel Ende September beim 2:3 in Essen zum wertvollsten ETV-Akteur gewählt wurde, war das für sein Heimatland ein historischer Moment. „Es ist verrückt, wie viele Nachrichten ich danach bekommen habe“, sagt Jackson Mmari, der seine Erlebnisse über Instagram teilt, „ich habe das Gefühl, dass das ganze Land hinter mir steht.“

Jackson Mmari: „Meine Kindheit und Jugend waren nicht einfach"

Man muss die Lebensgeschichte des 1,98 Meter langen Athleten kennen, um ansatzweise ermessen zu können, in welch ein Gefühlskarussell er sich gewagt hat. Aufgewachsen mit sechs Geschwistern und getrennt lebenden Eltern in ärmlichen Verhältnissen in Moshi, einer 180.000-Einwohner-Stadt am Südhang des Kilimandscharo, musste er als Jugendlicher Fische verkaufen, um sich Geld für Nahrungsmittel zu beschaffen.

„Meine Kindheit und Jugend waren nicht einfach. Es ging jeden Tag nur darum, den nächsten Tag zu erleben“, sagt er. Der Wendepunkt kam, als er 15 Jahre alt war und bei einem Sichtungstraining einem Volleyballcoach auffiel. „Ich hatte mich bis dahin nicht auf einen Sport konzentriert, sondern in der Schule im Sportunterricht vieles ausprobiert. Aber der Coach sagte, im Volleyball hätte ich wegen meiner Größe das meiste Talent“, erinnert er sich.

Jackson Mmari konnte in Uganda studieren

Dank eines Sportstipendiums konnte Jackson Mmari an einer Universität im Nachbarland Uganda Marketing studieren und Volleyball spielen. Von da an ging es rasant nach oben. Mit 19 debütierte er im Nationalteam und begann, seinen Sport als Profi zu betreiben. Da es in Tansania, wo Fußball Nationalsport und Volleyball ein Nischensport ist, landesweit zwar rund 35 Vereine, aber keinen Ligenbetrieb gibt, tingelte er durch die Nachbarstaaten Kenia, Uganda, Burundi und Ruanda, verdiente dabei aber ausreichend Geld, um auch seine Familie zu unterstützen.

Den Traum, in Europa zu spielen, hegte er schon einige Jahre. Über seine Uni hatte er Kontakt nach Saudi-Arabien, von wo ein unterschriftsreifer Vertrag vorlag. Aber nach einem Probetraining in Hamburg im vergangenen Jahr, in dem der ETV noch in der Dritten Liga spielte, war Jackson Mmari sicher, es in Deutschland probieren zu wollen. Als im Sommer die Kontaktanfrage kam, zögerte er nicht, einen Einjahreskontrakt zu unterschreiben. Bei einem deutschen Freund in Hamburg, den er über ein Volleyballprojekt kennt, kann er wohnen – und lebt nun seit dem Sommer seinen Traum. Einen Traum, der ihn vor viele Herausforderungen stellt.

„In Tansania geht es vor allem um Schlaghärte"

Nicht nur, dass er sich in einem fremden Land mit einer völlig anderen Kultur, einem ungewohnten Klima und einer Sprache, die er erst in diesem Monat zu lernen beginnt, zurechtfinden muss. Auch sportlich ist alles vollkommen anders, als er es bislang gewohnt war. „In Tansania geht es vor allem um Schlaghärte und körperliche Power. In Deutschland ist alles viel technischer und taktischer“, sagt er. Zu beobachten ist Mmaris Schlingerkurs in jedem Spiel. Er bringt eine ansteckende Energie aufs Feld, feiert jeden gelungenen Ballwechsel wie einen Titelgewinn und hat eine Sprunghöhe, mit der niemand im Team mithalten kann.

„Aber dann macht er plötzlich wilde Dinge auf dem Feld, die das Team durcheinanderbringen“, sagt ETV-Chefcoach Werner Kernebeck, „daran müssen wir noch arbeiten. Aber Jackson ist ein Spieler, der lernen will und uns bereichern kann, wenn er sich an unser System gewöhnt hat.“ Ein paar Wochen werde das noch dauern, glaubt Jackson Mmari, dessen Muttersprache Suaheli ist, in seinem sehr guten Universitäts-Englisch, „aber dann kann ich hoffentlich all das zeigen, was in mir steckt. Ich bekomme so viel Unterstützung aus der Mannschaft, das will ich bald zurückzahlen.“

„Ich habe noch nie Schnee gesehen"

Gleichzeitig versucht der tiefgläubige Christ, sich in seiner neuen Wahlheimat zurechtzufinden. Um sich das tansanische Nationalgericht Wali Maharage – Reis mit speziellen schwarzen Bohnen – zuzubereiten, versorgt er sich in Hamburger Afro-Shops. Ansonsten fehle ihm vor allem die Wärme, sagt Jackson Mmari, der zum ersten Mal in seinem Leben eine Daunenjacke trägt – und dennoch hofft, dass es noch viel kälter wird. „Ich habe noch nie Schnee gesehen. Ein kalter Winter wäre toll“, sagt er.

Weil der ETV ein semiprofessionelles Team ist, wird nur abends trainiert, was Jackson Mmari bislang auch nicht kannte. Die freien Stunden vor dem Training nutzt er von der kommenden Woche an, um als Fahrradkurier auf 20-Stunden-Basis zu jobben. Vom Frühjahr an möchte er an der Uni Hamburg sein Marketingstudium weiterführen.

„Es gibt so viele Vorurteile übereinander"

Wie lange er in Deutschland bleiben wird, weiß er noch nicht. Aber dass die Erfahrungen, die er hier macht, für immer bleiben werden, davon ist er überzeugt. Seit seinem Wechsel nach Hamburg hat er einen direkten Draht zum Sportminister Tansanias, der ihm zusagte, mehr Geld in den Volleyball zu investieren. Wann immer es ihm möglich ist – zuletzt Ende Oktober, als er zur Hochzeit seiner Schwester nach Daressalam, die größte Stadt Tansanias, reiste –, trainiert er in der Heimat mit Jugendlichen.

Er setzt sich für Gleichberechtigung der Geschlechter ein und hat mithilfe professioneller Organisationen einen deutsch-tansanischen Jugendaustausch organisiert, der erstmals im Juli dieses Jahres junge Tansanier nach Hamburg brachte. „Es gibt so viele Vorurteile übereinander, ich möchte mit dem Austausch dabei mithelfen, diese abzubauen. Afrikaner und Europäer müssen mehr Verständnis füreinander entwickeln“, sagt Mmari, der Botschafter für einen ganzen Kontinent sein möchte.

Jackson Mmari geht zum Bundesligaspiel des HSV Hamburg

Um sein Verständnis für den Sport in Deutschland weiter zu stärken, hat Jackson Mmari an diesem Sonntag einen besonderen Termin. Weil die ETV-Männer spielfrei sind, kann er zum Bundesligaspiel des HSV Hamburg gegen die Rhein-Neckar Löwen in die Barclays Arena gehen. „Ich liebe Handball, habe aber noch nie ein Spiel live gesehen. Es ist ein Traum, das zu erleben“, sagt er. Ganz schön viele Träume, die gerade in Erfüllung gehen für ihn. Aber Jackson Mmari hat eine Menge weitere davon, und er gibt alles dafür, um sie zu leben.