Hamburg. Vom beispiellosen Niedergang des einstigen Serienmeisters, bei dem die Veolia Towers Hamburg heute gastieren.

Raoul Korner bemühte den Vergleich des „verletzten Raubtiers“. Doch das brauchte der Cheftrainer der Veolia Towers Hamburg nicht. Brose Bamberg, wo die Wilhelmsburger Basketballer an diesem Freitag (18.30 Uhr/MagentaSport) antreten, wirkt mittlerweile eher wie ein bemitleidenswerter alter Löwe, der einst die Savanne beherrschte, inzwischen aber kaum noch seine Nahrung selbst erlegen kann.

Einst gab es in der Bundesliga die „drei großen B“: Berlin, Bayern und eben Bamberg. Es scheint Zeitalter her zu sein – und doch liegt die letzte der sieben Meisterschaften, die die Franken in den 2010er-Jahren feierten, erst fünf Jahre zurück. In der EuroLeague wurden mitreißende Erfolge vor leidenschaftlichem Publikum gefeiert. In dieser Saison ist das in vier Bundesligaspielen sieglose Bamberg Tabellenvorletzter, scheiterte in der Qualifikation zur drittklassigen Champions League und tritt nun im Europe Cup an.

Früher waren es fast 7000 Zuschauende, jetzt nur knapp über 2000

Dort heißen die Gegner nicht mehr Real Madrid oder Fenerbahçe Istanbul, sondern unter anderem KB Ylli. Und gegen diesen Viertletzten der kosovarischen Liga, die nun wirklich niemand in Europa auf dem Schirm hat, unterlag Brose am Mittwochabend daheim mit 78:81. Der vorläufige Tiefpunkt eines Absturzes, dessen Rasanz nahezu vergleichslos ist.

Tickets für die 6800 Zuschauer fassende Brose Arena waren früher kaum zu ergattern. Ein Hexenkessel, vor dem sich jeder Gast fürchtete. Bamberg war wegen seiner verrückten Fans als „Freak City“ bekannt. Am Mittwoch verloren sich gerade einmal noch 2302 Personen in die Halle. Die Shuttlebusse, die das Publikum normalerweise aus der Innenstadt zur Spielstätte im Randgebiet fahren, fielen aus – sie fahren erst ab 2500 Zuschauern. „Die Shuttlebusse fallen nur manchmal aus. Eure Spieler schon seit Jahren“, schrieb ein verärgerter Fan in den sozialen Medien. Wie konnte es so weit kommen?

Stoschek soll sich stets in Sportgeschäfte eingemischt haben

Aufstieg und Fall des Bamberger Basketballs stehen in enger Verbindung mit einem Mann: Michael Stoschek. Der Vorsitzende der Brose Fahrzeugteile ist ein großer Förderer des Sports in seiner Heimatregion. Die neun Meisterschaften und fünf Pokalsiege zwischen 2005 und 2019 wären ohne das Engagement des 74-Jährigen unmöglich gewesen. Stoschek, dessen Vermögen auf rund 3,8 Milliarden US-Dollar geschätzt wird, polarisiert, gilt als impulsiv und mischte sich vor allem in der Vergangenheit leidenschaftlich ins sportliche Geschehen ein.

Den vierfachen Meister- und späteren Bundestrainer Chris Fleming soll er unmittelbar vor einer Partie in Bonn einmal angerufen haben, um ihm mitzuteilen, dass er im Fall einer Niederlage die Kündigungspapiere erhalten werde.

Korner: „Dort ist massiv Dampf auf dem Kessel"

Zusammenfallend mit den wirtschaftlichen Problemen in der Automobilbranche reduzierte Stoschek jedoch zunehmend seine finanzielle Unterstützung. Der einst ligaführende Etat von rund 15 Millionen Euro schrumpfte auf nun noch knapp sieben Millionen zusammen. Das große Problem: Die Ansprüche blieben die gleichen. Geschäftsführer und vor allem Trainer kamen und gingen. Der Israeli Oren Amiel ist der sechste Übungsleiter seit 2018. Fast beachtlich, dass es ihm gelungen ist, sich in eine zweite Saison zu retten. Selbstredend auch, dass der 50-Jährige am Donnerstag öffentlich von der Geschäftsführung infrage gestellt wurde.

„Dort ist massiv Dampf auf dem Kessel. Die Fans sind so leidenschaftlich, dass der Heimvorteil bei einer schlechten Leistung aufs Gästeteam übergehen kann“, sagt Korner – nach sechs Jahren in Bayreuth Frankenexperte. Den Niedergang des Ex-Vorzeigeclubs beobachtete er aus nächster Nähe: „In der Wirtschaft würde man von Basiseffekten sprechen, da das Ausgangslevel extrem hoch war. Das Down­sizing eines Unternehmens ist sehr schwierig, wenn der Etat reduziert werden muss, ohne das Kerngeschäft anzugreifen.“

"Niemand arbeitet gern bei Organisation auf dem Weg nach unten"

Doch das geschah in Bamberg, wo die Fixkosten des spielenden Personals massiv gekürzt wurden. „Wenn die Ansprüche nicht so schnell fallen wie das Budget, ist das eine gefährliche Mischung und den freien Fall aufzuhalten schwierig. Niemand arbeitet gern bei einer Organisation auf dem Weg nach unten“, sagt Korner. Seinen Kollegen Amiel kann er vermutlich mit einem Hamburger Sieg von diesem Schicksal erlösen.