Hamburg. Die Nationalmannschaftskapitänin spricht vor dem Start der EM über ihre Führungsrolle im DHB-Team und ihren Wechsel nach Budapest.

Wenn sich die Handball-Nationalmannschaft der Frauen am Montag in Großwallstadt versammelt, bricht auch für Emily Bölk die finale Phase vor der Europameisterschaft in Slowenien, Nordmazedonien und Montenegro (4. bis 20. November) an.

Für die Rückraumspielerin, die in ihrer Heimatstadt Buxtehude einst mit 16 Jahren Bundesligaprofi wurde und seit zwei Jahren beim ungarischen Spitzenclub Ferencváros Budapest spielt, ist es das zweite Turnier als Kapitänin.

Hamburger Abendblatt: Frau Bölk, die EM wird bereits das siebte Großereignis sein, das Sie mit der A-Nationalmannschaft bestreiten. Ist so ein Turnier für Sie mit 24 Jahren schon zur Routine geworden?

Emily Bölk: Nein, eine EM oder eine WM zu spielen ist immer wieder ein Traum, den man sich jedes Jahr erfüllen will. Was sich über die Jahre aber verändert hat, sind meine Erfahrung und die Rolle, die ich in der Mannschaft spiele. Ich hoffe, dass ich der Mannschaft in diesem Jahr noch ein Stück mehr von mir geben kann und wir ein richtig gutes Ergebnis mit nach Hause bringen.

Die Aufregung vor Ihrer ersten EM im Jahr 2016 dürfte aber noch ein bisschen größer gewesen sein als heute, oder?

Bölk: Ja, auf jeden Fall. Damals war es nicht einmal sicher, dass ich im Kader stehen würde. Ich wusste überhaupt nicht, wie so ein Turnier abläuft, habe erst mal oft gestaunt. Ich habe anfangs zwar meist auf der Bank gesessen, musste aber immer bereit sein, um eingewechselt zu werden. Ein Knackpunkt war wahrscheinlich die EM 2018 in Frankreich. Viele ältere Spielerinnen hatten ihre Karrieren nach der Heim-WM 2017 beendet, wir waren ein sehr junges Team. Das war das erste Turnier, bei dem ich eine größere Rolle gespielt habe. Mittlerweile gehe ich im Angriff und in der Abwehr voran und übernehme viel mehr Verantwortung.

Wie fühlt es sich für Sie gegenüber älteren Spielerinnen im Kader an, so selbstverständlich voranzugehen?

Bölk: Ich kenne das gar nicht anders. Schon in der Jugend habe ich immer als jüngere Spielerin bei Mannschaften älterer Jahrgänge mitgespielt. Ich muss zwar heute nicht mehr die Bälle schleppen und auf das Harz aufpassen, bin bei Trainingsspielen zwischen Team „Alt“ und Team „Jung“ aber immer noch bei Team „Jung“ dabei. Mit der Leistung und dem Auftreten innerhalb der Mannschaft entwickelt sich so eine Führungsrolle automatisch. Es ist aber auch nicht so, dass ich die einzige Führungsspielerin bin, meine Co-Kapitänin Alina Grijseels, Xenia Smits oder Meike Schmelzer kann man da genauso nennen.

Inwiefern hat Sie auch Ihr Wechsel nach Budapest weitergebracht?

Bölk: Der Schritt raus aus der Komfortzone hat auf jeden Fall geholfen. Hier habe ich viele Spielanteile auf einem sehr hohen Niveau, sammle viel Erfahrung in der Champions League. Ich bin auch nicht mehr überrascht, wenn ich mit der Nationalmannschaft auf starke Gegner treffe, sondern erlebe dieses Niveau jede Woche. Es hilft unserer Nationalmannschaft, dass viele Spielerinnen mittlerweile international unterwegs sind. Auch, dass Bietigheim in der Champions League einen super Job macht, bringt uns weiter.

Bietigheim ist ein gutes Stichwort, der neue Bundestrainer Markus Gaugisch ist gleichzeitig auch Trainer dort. Wie nehmen Sie ihn seit seinem Amtsantritt im April wahr?

Bölk: Ich habe bisher nur eine Woche mit ihm erlebt, war aber von seiner Herangehensweise begeistert. Er hat klare Vorstellungen und viel Vertrauen in uns. Er ist sehr kommunikativ, wir telefonieren häufig und sind im Austausch. Damit wir uns alle schnell kennenlernen, ist es enorm wichtig, dass wir auch die Zeit außerhalb der Lehrgänge nutzen. Bei den Testspielen gegen Frankreich vor ein paar Wochen (34:31 und 30:29, d. Red.) haben wir schon viel Gutes gezeigt, obwohl wir zuvor kaum gemeinsam trainiert haben. Trotzdem haben wir auch gesehen, dass gegen solche Weltklassegegner Details und die letzte Cleverness entscheidend sind. Daran müssen wir noch arbeiten.

Was macht Markus Gaugisch anders als sein Vorgänger Henk Groener?

Bölk: Die Unterschiede sind gar nicht so groß, auch Henk war immer sehr kommunikativ. In der Abwehr ist ihre taktische Herangehensweise ähnlich, im Angriff gibt es kleine Unterschiede. Markus will grundsätzlich simplen Handball, diesen aber sehr variabel spielen. Seine Ideen passen gut zu unseren Spielerinnentypen. In den vergangenen Jahren haben wir offensiv nicht immer unser Potenzial ausgeschöpft, deshalb hoffe ich, dass wir uns dort verbessern können.

Ist es für die Bietigheimerinnen Jenny Behrend, Julia Maidhof, Xenia Smits und Antje Döll nicht ein komisches Gefühl, den Vereinstrainer auch als Bundestrainer zu haben?

Bölk: Tatsächlich habe ich bei ihnen auch einmal nachgefragt, ob es für sie nicht komisch ist, mit dem Trainer zusammen anzureisen und immer mit demselben Trainer zu arbeiten. Ich persönlich finde es erfrischend, auch mal vom Club wegzukommen und neuen Input von anderen Trainern zu bekommen. Die vier stört das aber überhaupt nicht. Es ist auch nicht so, dass er Spielerinnen bevorzugen würde. Für uns ist es eher ein Vorteil, dass manche Spielerinnen seine taktischen Vorstellungen schon genau kennen.

Im Sommer hat ein anderes Trainerthema den deutschen Handball enorm beschäftigt, die Nationalspielerinnen Mia Zschocke und Amelie Berger haben bei Borussia Dortmund wegen Trainer André Fuhr fristlos gekündigt und die Anlaufstelle gegen Gewalt und Missbrauch im Spitzensport eingeschaltet, Fuhr wurde daraufhin vom BVB freigestellt. Wie haben Sie diese Nachrichten in Budapest verfolgt?

Bölk: Wenn man im Handball aktiv ist, bekommt man das natürlich auch durch die umfangreiche mediale Berichterstattung mit. Wichtig ist, dass dieses Thema jetzt genau untersucht wird, um das aufzuklären.

Mia Zschocke hat mit Storhamar Handball Elite in Norwegen direkt einen neuen Topclub gefunden, ist jetzt auch für die EM nominiert worden, Amelie Berger ist nach ihrem Kreuzbandriss noch nicht wieder fit, hat mit der HSG Bensheim/Auerbach seit drei Wochen aber immerhin einen neuen Arbeitgeber. Beeinflussen die Vorwürfe gegen André Fuhr die Arbeit bei der Nationalmannschaft im Hinblick auf die EM?

Bölk: Nein, mittlerweile nicht mehr. Beide haben ja neue Vereine gefunden. Für Amelie ist es wichtig, dass sie nach ihrer Verletzung wieder schnell reinfindet, wir werden sie bei der EM allerdings schmerzlich vermissen.

Welches Ziel haben Sie sich als Mannschaft für die EM gesetzt?

Bölk: Das genaue Ziel werden wir festlegen, wenn wir am Montag in Großwallstadt zur finalen Vorbereitungsphase zusammenkommen. Der erste Schritt beim Turnier muss das Erreichen der Hauptrunde sein. Danach ist dann vieles möglich. Wir haben in diesem Jahr gezeigt, dass wir mit Topteams sehr gut mithalten können. Wenn wir manche Fehler abstellen und etwas cleverer werden, kann es richtig gut werden.

Rekord-Nationalspielerin Grit Jurack hat in ihrer Karriere 14 Turniere mit der A-Nationalmannschaft gespielt. Wann gedenken Sie eigentlich, diesen Rekord einzustellen?

Bölk: Wenn es gut läuft, dann wäre das vielleicht irgendwann möglich … (lacht) Solche Rekorde sind mir aber nicht wichtig. Ich plane jedenfalls, noch ein paar Jahre Handball zu spielen. Und dann schauen wir mal, wie lange ich noch gut genug bin.