Hamburg. Rothenbaum-Turnierdirektorin Sandra Reichel über die Zukunft des Traditions-Tennisstandorts und ihren Wunsch für das kommende Jahr.

Sie hatte große Pläne, als sie 2019 die Turnierdirektion am Hamburger Rothenbaum übernahm – und Sandra Reichel hat geliefert. In diesem Jahr spielten erstmals seit 1978 wieder Damen und Herren ein kombiniertes Tennisturnier am renommiertesten deutschen Standort. Dennoch ändert sich von 2024 an vieles. Im Abendblatt zieht die 51 Jahre alte Österreicherin Bilanz und blickt voraus.

Hamburger Abendblatt: Frau Reichel, Sie sind mit dem ersten kombinierten Damen- und Herrenturnier seit 1978 erheblich ins Risiko gegangen. Hat sich das ausgezahlt, sowohl finanziell als auch ideell?

Sandra Reichel: Finanziell kann ich es noch nicht abschließend beurteilen, wir sind immer noch in der Endabrechnung. Ich gehe aber davon aus, dass wir finanziell ein leichtes Plus erwirtschaftet haben, das allerdings die Investitionen, die wir seit unserem Einstieg 2019 getätigt haben, bei Weitem nicht aufwiegt. Ideell dagegen sind wir wirklich belohnt worden. Wenn mir jemand im Sommer 2019 gesagt hätte, dass wir drei Jahre später ein kombiniertes Turnier am Rothenbaum spielen würden, hätte ich das für fast unmöglich gehalten. Aber wir sind von der Stadt, den Partnern und Fans so toll aufgenommen worden, dass ich sagen kann: Es hat sich auf jeden Fall gelohnt, auch wenn wir über die Jahre finanziell doch ein erhebliches Minus verbucht haben.

Die Spielerfelder waren stark besetzt, der Zuspruch des Publikums war angesichts der Krisenzeit ebenfalls gut, die Reaktionen der Teilnehmenden waren durchweg positiv. Welche Reaktion hat Sie besonders gefreut?

Reichel: Ich habe einige Briefe zum Thema Inklusion bekommen, die mich sehr berührt haben. Wir haben diesen Bereich sehr ernst genommen, weil es uns allen eine Herzensangelegenheit ist, Rollstuhl-, Blinden- und Gehörlosentennis sowie Tennis für Menschen mit geistiger Behinderung stärker einzubinden. Als ich diese Briefe gelesen habe, wusste ich, warum es sich jeden Tag lohnt, diesen Aufwand zu betreiben. Grundsätzlich möchte ich sagen, dass die wirklich fast ausschließlich positiven Rückmeldungen mir, meinem Team und den Sponsoren sehr gut getan haben.

Nun hat der Deutsche Tennis-Bund als Lizenzinhaber des Herrenturniers trotzdem entschieden, von 2024 an mit einem neuen Partner zu arbeiten. Die schöne Idee des „Combined Events“ ist nach 2023 wieder passé. Haben Sie sich damit abgefunden?

Reichel: Wer uns über die Jahre kennengelernt hat, der weiß, dass wir mit sehr viel Leidenschaft und Herzblut unseren Plan verfolgt haben, wieder ein Damenturnier in Hamburg zu etablieren. Natürlich tut es mir leid, dass das kombinierte Turnier so schnell wieder Geschichte sein wird. Aber ich lasse mich von Entscheidungen, die bisweilen schwer nachzuvollziehen sind, nicht aus der Bahn werfen. Im Gegenteil, ich habe das beste Team der Welt, und gemeinsam werden wir nun alles dafür geben, dass wir das Damenturnier in Hamburg verankern und weiterentwickeln.

Das heißt einerseits, dass Sie die Lizenz für das WTA-Turnier, die Ihnen gehört, in Hamburg halten, aber andererseits auch, dass Sie das Thema Herrenturnier abgehakt haben?

Reichel: Selbstverständlich interessiert es mich, wie es mit der Herrenlizenz von 2024 an in Hamburg weitergeht. Aber natürlich liegt unser langfristiger Fokus deutlich auf der Fortentwicklung des Damentennis in Hamburg. Wir planen auf jeden Fall, damit langfristig in der Stadt zu bleiben. Auch wenn ich über die Entwicklungen enttäuscht war, sehe ich jetzt die Chance, etwas Neues zu schaffen. Wir haben gezeigt, dass wir es hier am Standort können, und das wollen wir weiterhin tun.

Sollte sich der DTB mit Hamburg für ein Herrenmasters bewerben, könnte das weitreichende Konsequenzen für den Termin, den Platzbelag und viele weitere Dinge haben. Was ist denn Ihr Wunschszenario für das Damenturnier von 2024 an?

Reichel: Vorrangig ist ein Upgrade des Turnierstatus von der 250er- auf die 500er-Serie. Mit der Damentennisorganisation WTA sind wir in informellen Gesprächen darüber, und ich bin überzeugt, dass wir zumindest ein aussichtsreicher Kandidat für so eine Aufwertung sind. Die WTA hat mehrmals bestätigt, wie wichtig Deutschland im Allgemeinen und Hamburg im Speziellen als Standort für sie ist. Zu allem anderen kann ich aktuell nichts sagen, da ist vieles in Bewegung – bei der Herrentennisorganisation ATP und bei der WTA.

Wie werden Sie in das letzte Jahr gehen? Kann und will man noch einmal mit vollem Einsatz ein Turnier organisieren, von dem man weiß, dass es das letzte ist?

Reichel: Ich sehe es überhaupt nicht so, dass es das letzte Turnier ist. Wir wollen und werden ja mit den Damen weitermachen. Außerdem hat sich für uns niemals die Frage gestellt, etwas mit halber Kraft zu machen. Zunächst einmal erwarten wir noch am 19. Oktober auf dem Board Meeting der ATP die Entscheidung, ob wir wieder ein „Combined Event“ genehmigt bekommen. Wenn wir das erhoffte Go erhalten, dann wollen wir hier mit dem bestmöglichen kombinierten Turnier rausgehen. Erst danach rückt für uns die Fortentwicklung des Damenturniers in den Vordergrund. Wir fühlen uns sehr wohl in der WTA und möchten mithelfen, Frauensport in seiner Bedeutung zu stärken.

Wie kann es gelingen, das Damenturnier weiter zu verbessern?

Reichel: Ein ganz wichtiger Baustein auf diesem Weg ist unsere Turnierbotschafterin An­drea Petkovic. Sie wird nach ihrem Karriereende, das sie ja bei den US Open bekannt gegeben hat, eine noch wichtigere Rolle spielen. Meine Hoffnung ist, dass die nächste Generation des Damentennis in Deutschland von einer starken Hamburger Fraktion getragen wird. Mit der deutschen Hallenmeisterin Eva Lys und den Toptalenten Noma Noha Akugue und Ella Seidel, die alle für den Club an der Alster aufschlagen, gibt es ein Trio, das für die Zukunft des Turniers wichtig sein kann. Und Tamara Korpatsch, eine weitere Alsteranerin, die mit 27 schon zu den etablierten Spielerinnen gehört, hat gerade erstmals die Top 100 geknackt.

Wie kann das kombinierte Event 2023 noch besser werden als in diesem Jahr?

Reichel: Sportlich wird es schwer zu toppen sein, wenn man bedenkt, dass wir mit Carlos Alcaraz und Turniersieger Lorenzo Musetti zwei Topstars der neuen Generation im Finale hatten. Aber es gibt immer Optimierungspotenzial. Wir werden zum Beispiel die Zugänge zu einigen Außenplätzen verbessern, wollen auch das kulturelle Rahmenprogramm erweitern.

Welchen Wunsch würden Sie 2023 gern noch erfüllt bekommen? Ein Comeback von Alexander Zverev in seiner Heimat?

Reichel: Wenn das finanziell darstellbar wäre, würden wir uns sehr freuen, wenn er hier spielt. Auch Dominic Thiem würde ich gern noch einmal am Rothenbaum präsentieren. Aber mein Wunsch? Dass eine deutsche Spielerin das Turnier gewinnt. Das wäre ein ganz starkes Zeichen.