Hamburg. Die Hamburgerin gilt als herausragend. Seit ihrer Einbürgerung kann die gebürtige Ägypterin international für Deutschland starten.

Viel hat nicht gefehlt, und ihre Karriere wäre beendet gewesen, bevor sie richtig begonnen hatte. Es war Anfang vergangenen Jahres, als Reem Khamis große Zweifel beschlichen, ob sich der Aufwand, den sie in ihren Sport steckte, noch lohnen würde. Zwar war sie vom Deutschen Karate-Verband mehrfach zu Lehrgängen des Nationalkaders eingeladen worden.

Das Problem: Während ihre nationalen Konkurrentinnen nach und nach auf internationalen Wettkämpfen reüssierten, musste die 19-Jährige zuschauen. Für eine, deren Einstellung zum Sport und zum Leben lautet, dass gut erst dann gut genug ist, wenn sie die Beste ist, war das kaum zu ertragen. Und so war der Gedanke, den Sport aufzugeben, sehr präsent.

Kampfsport: Reem Khamis in Ägypten geboren

Um die Hintergründe ihres Frusts zu verstehen, muss man wissen, dass Reem Khamis 2002 in Ägyptens Hauptstadt Kairo zur Welt kam. 2013 zog sie mit ihrer Mutter und den beiden jüngeren Brüdern dem in Deutschland arbeitenden Vater hinterher – und landete im Hamburger Stadtteil Harburg. In einer fremden Kultur, einem Land, dessen Sprache sie nicht konnte.

Es war der Sport, der ihre Brücke in die Gesellschaft wurde. Beim Harburger Turnerbund nahm sie nach einem Jahr Sportpause („Ich hatte mich wegen der Sprachbarriere nicht in einen Verein getraut“) das Karatetraining, das sie schon in Kairo geliebt hatte, wieder auf. Allerdings nicht im Formenlauf (Kata), sondern in der Vollkontaktvariante Kumite, die sie wegen ihrer Rasanz und Eleganz liebt.

Heimtrainer Ralf Becker erkannte ihr Talent

Ihr Talent wurde von ihrem Heimtrainer Ralf Becker schnell erkannt. 2016 wurde sie vom deutschen Verband erstmals für die U-16-EM nominiert. Weil aber die erhoffte schnelle Einbürgerung scheiterte, konnte sie dort nicht starten – und dieser Zustand hielt bis zum eingangs beschriebenen Zeitpunkt an. „Ich hätte für Ägypten antreten können, dafür hätte ich aber am dortigen Qualifikationsprozess teilnehmen müssen, und das kam aus zeitlichen Gründen nicht infrage“, sagt sie.

Also hieß es: Warten auf den deutschen Pass. Der Unterstützung ihres Athletiktrainer Brandon Beisker verdanke sie, nicht aufgegeben zu haben. Ende Juni 2021 ging es plötzlich ganz schnell. „Montags bekam ich den Anruf, ob ich am Donnerstag meinen Pass empfangen könne“, sagt sie.

„Aber natürlich war ich glücklich"

Die ägyptische Staatsbürgerschaft abzugeben sei ihr schwergefallen, die Verbindungen zu Freunden und Familie in Kairo seien noch immer intensiv. „Aber natürlich war ich glücklich, jetzt für Deutschland starten zu dürfen. Das bedeutet mir sehr viel“, sagt die Muslima, die mit ihrer Familie zu Hause weiterhin ihre Heimatsprache pflegt und alle religiösen Feiertage zelebriert. In dem Moment, in dem sie vom Verband das Wettkampfoutfit geschickt bekam, sei ihr bewusst geworden, „dass es ab jetzt sportlich keine Limits mehr für mich gibt“. Ihr Ziel, in der Gewichtsklasse bis 61 Kilogramm die beste Kämpferin der Welt zu werden, kann sie nun endlich verfolgen.

Wobei das mit den fehlenden Limits nur bedingt stimmt. Finanziell ist die Teilnahme an internationalen Wettkämpfen ein Kraftakt, der mit dem auf der Kampfmatte kaum zu vergleichen ist. Mehrere Nebenjobs muss Reem Khamis stemmen, um über die Runden zu kommen. Wenn man weiß, dass sie nach dem Abitur, das sie mit 1,4 bestand, auch noch ein Studium des allgemeinen Ingenieurwesens an der TU Harburg aufgenommen hat, um sich für die berufliche Zukunft zu wappnen, ist der Aufwand, den sie mit zwei täglichen Trainingseinheiten betreibt, kaum hoch genug zu bewerten. „Ich bin dringend auf der Suche nach Unterstützern und freue mich über jede Aufmerksamkeit“, sagt sie.

Kampfsport: Khamis gilt als großes Talent

Was sie zu bieten hat, ist die Perspektive, von den Bundestrainern als eins der größten deutschen Talente eingestuft zu werden. Bei der U-21-EM in Prag gewann sie in diesem Jahr Bronze, Ende Oktober steht mit der U-21-WM in der Türkei ihr Saisonhöhepunkt an. In der kommenden Woche startet Reem Khamis in Baku (Aserbaidschan) zudem erstmals im Erwachsenenbereich in der Premier League, um Punkte für die Weltrangliste zu sammeln.

„Ich glaube fest daran, die Beste werden zu können“, sagt sie, „aber ich muss Schritt für Schritt gehen.“ Dass es auch Rückschläge geben wird, weiß sie. Aber nicht aufzugeben, auch wenn die Zeiten hart sind, das hat sie gelernt.