Hamburg. Sonnele Öztürk, Björn Kammann und Julia Mrozinski starten bei der Schwimm-EM in Rom. Eine Kampfansage verkneifen sie sich.

Ein kleines Stück Wehmut mischt sich dann doch in die Vorfreude auf seinen Saisonhöhepunkt. Dass die Schwimm-EM auf der 50-Meter-Langbahn kommenden Donnerstag in Rom beginnt, während just am selben Tag in München die European Championships eröffnet werden, die kontinentale Titelkämpfe in zehn verschiedenen Sportarten vereinen, findet Björn Kammann schade. Schließlich ist sein Bruder Marc (25/Hamburger und Germania RC) als Mitglied des Vierers ohne Steuermann im Rudern auf Medaillenjagd in der bayerischen Landeshauptstadt unterwegs. „Aber es gibt kaum ein Becken, das so schön ist wie das in Rom. Deshalb freue ich mich sehr auf meine Wettkämpfe dort“, sagt er.

Der 21 Jahre alte Schmetterlingsspezialist, der im Einzel über die 100 Meter und zusätzlich in den Staffeln über 4x100 Meter Freistil und Lagen eingeplant ist, ist Teil eines Trios, das den Hamburger Bundesstützpunkt in Italiens Hauptstadt vertritt. Mit ihm wurden auch die auf die 200 Meter Rücken spezialisierte Sonnele Öztürk (24) und Freistil-Ass Julia Mrozinski (22), die über 200 und 400 Meter im Einzel sowie in der 4x200-Meter-Freistilstaffel nominiert ist, in das 30 Aktive umfassende Beckenteam des Deutschen Schwimmverbands (DSV) berufen. Wobei streng genommen nur Sonnele Öztürk als Hamburger Vertreterin durchgeht.

Julia Mrozinski und Björn Kammann studieren in den USA

Julia Mrozinski und Björn Kammann waren im Verlauf der vergangenen zwölf Monate den Weg gegangen, der sich unter DSV-Athletinnen und -Athleten hoher Beliebtheit erfreut. Die beiden studieren und trainieren an der University of Tennessee in Knoxville (USA), Mrozinski seit vergangenem Sommer Grundschullehramt, Kammann seit Januar Bauingenieurwesen. Für die EM-Vorbereitung waren sie Ende Mai an den Olympiastützpunkt in Dulsberg zurückgekehrt, um mit ihrem langjährigen Landestrainer Tobias Müller zu arbeiten. Der 32-Jährige, seit Anfang dieser Woche zum Bundesstützpunkttrainer aufgestiegen, freute sich sehr über den prominenten Besuch.

„Die beiden sind nicht nur großartige Athleten, die das Niveau der Trainingsgruppe anheben, sondern auch tolle Menschen, die für gute Stimmung sorgen. Deshalb war ich sehr froh, sie über die vergangenen Wochen hier zu haben“, sagt Tobias Müller, der das EM-Trio in der Lage sieht, in Rom seine persönlichen Bestzeiten zu unterbieten. Ihm sei wichtig, den temporär in die USA abgewanderten Spitzenkräften zu zeigen, „dass sie in Hamburg nicht nur stets willkommen sind, sondern wir ihnen hier auch weiterhin vernünftige Trainingsbedingungen bieten können.“

In den Staaten dominiert der Wettkampfcharakter

Dem stimmen beide zu. Dennoch habe sich für sie im Trainingsalltag durch den Wechsel einiges verändert. „Ich absolviere in den USA weniger Umfänge, schwimme aber viel öfter schnell. Außerdem habe ich drüben 40 Trainingspartner auf Augenhöhe, mit denen ich mich täglich messen kann, und nicht nur zwei oder drei“, sagt Björn Kammann. Julia Mrozinski kann diese Erfahrungen bestätigen. „Der Umfang an hohen Intensitäten im Training hat sich deutlich erhöht. Wir machen jeden Tag Einheiten mit maximaler Geschwindigkeit, das war ich nicht gewohnt. Dafür sind im Kraftraum die Intensitäten niedriger, es wird mehr mit dem eigenen Körpergewicht gearbeitet“, sagt sie.

Als größte Veränderung beschreiben beide allerdings den Wettkampfcharakter, der das Training in den Staaten dominiert. „Im ersten Halbjahr hatten wir an jedem Wochenende entweder intern oder gegen eine andere Uni Vergleichswettkämpfe. Es geht immer darum, Rennen zu gewinnen. Das schult die Wettkampfhärte“, sagt Björn Kammann. Tobias Müller hat festgestellt, dass sich zwar nicht die Einstellung seiner Spitzenkräfte verändert habe, wohl aber ihr Siegeswille. „Durch die Vergleichswettkämpfe gegen andere Universitäten werden sie gefordert, ihren Siegeswillen immer wieder zu zeigen“, sagt er. Wozu das bei der EM reichen kann?

EM-Starter: Eine Kampfansage verkneifen sich die drei

Eine Kampfansage an die Konkurrenz verkneifen sich die drei aus gutem Grund. Julia Mrozinski möchte über 200 Meter Freistil ins Finale, hat aber in den USA gelernt, sich nicht mehr zu sehr unter Druck zu setzen – auch weil sie weiß, dass ihr Körper ihr schon zu oft übel mitgespielt hat. Die Olympiaqualifikation für Tokio 2021 verpasste sie wegen der Nachwirkungen einer Corona-Infektion, in diesem Jahr konnte sie im April die WM-Norm für Budapest im Juni nicht abrufen, weil eine Lebensmittelvergiftung sie lahmlegte.

Björn Kammann, der im November und Dezember mit Pfeifferschem Drüsenfieber ausgefallen war und deshalb ohne Grundlagentraining in die USA ging, hat sich das Halbfinale im Einzel und Finalteilnahmen mit den Staffeln vorgenommen. Er hat besonders an seiner Spritzigkeit gearbeitet und ebenfalls gelernt, „mental gelassener zu sein, wenn ich schnell schwimmen muss“. Und Sonnele Öztürk, die vor acht Jahren als 16-Jährige in Berlin ihr EM-Debüt gab, setzt auf eine Halbfinalteilnahme und persönliche Bestzeit, weil sie in der Vorbereitung viel an der Renneinteilung gefeilt hat. „Sie ist viel klarer in ihrer Vorstellung, wie sie ihr Rennen schwimmen will, und hat verstanden, dass sie auf den ersten 100 Metern aktiver sein muss“, sagt Coach Müller.

Bei den deutschen Meisterschaften Ende Juni in Berlin, die das Trio aus dem Training heraus schwamm, bewiesen die Titelgewinne von Öztürk (200 Meter Rücken) und Mrozinski (100, 200 und 400 Meter Freistil), dass die Richtung stimmt. In Rom gilt es, Hamburg auch international wieder in die Erfolgsspur zu bringen.