Hamburg. Steve Simon, Chef der Damentennisorganisation, spricht über den Standort Hamburg, Equal Pay, Kombi-Turniere und die breite Spitze.

Nein, wie ein moderner Robin Hood oder die 2022er-Kopie eines Mahatma Gandhi kommt der Mann, der seit 2015 die Damentennisorganisation WTA anführt, nicht daher. Unscheinbar ist ein Adjektiv, mit dem Steve Simons Äußeres adäquat beschrieben wäre. Doch spätestens seit der 67 Jahre alte US-Amerikaner im vergangenen Jahr im Fall der chinesischen Spitzenspielerin Peng Shuai (36) hart blieb und dem Land, dessen Führung sich weigerte, Shuais Vorwürfe des Missbrauchs durch ein ehemaliges Regierungsmitglied zu untersuchen und sie stattdessen unter Arrest stellte, alle Damenturniere entzog, gilt Steve Simon als Vorkämpfer für Menschenrechte.

Auch in der Causa des russischen Angriffskriegs in der Ukraine hat die WTA unter der Führung des früheren College-Tennisspielers klare Ansichten formuliert. Weil russische und belarussische Athletinnen vom Grand-Slam-Turnier in Wimbledon und den drei in England ausgetragenen Vorbereitungsturnieren ausgeschlossen waren, hatte die WTA Geldstrafen in Höhe von einer Million US-Dollar gegen den britischen Verband und die Wimbledon-Organisatoren ausgesprochen. Sie steht auf dem Standpunkt, dass keine Berufsverbote gegen Einzelne verhängt werden dürfen, um damit Regierungshandlungen zu sanktionieren.

Tennis: Auftakt des Kombi-Turniers am Rothenbaum

Im Gespräch mit dem Abendblatt zum Auftakt des kombinierten Damen- und Herrenturniers am Rothenbaum, das an diesem Sonnabend (10 Uhr) mit der Qualifikation beginnt, bat Simon darum, keine politischen Fragen beantworten zu müssen. Aber auch zu sportpolitischen Themen hatte er genug zu sagen.

Hamburger Abendblatt: Herr Simon, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ überschrieb im vergangenen Jahr einen Text über Sie so: Menschenrechte sind ihm wichtiger als Geld. Kann jemand, der so tickt, wirtschaftlich erfolgreich eine Profisportorganisation führen?

Steve Simon: Keine Frage, das Business diktiert viele Dinge, die Menschen in Entscheiderfunktion tun. Aber es gibt meiner Ansicht nach Dinge, bei denen man keine Kompromisse machen kann. Man muss seine eigenen Überzeugungen verteidigen. Wir als WTA werden deshalb immer für unsere Werte einstehen, und unsere erste Priorität lautet stets, unsere Athletinnen zu schützen. Danach versuche ich immer zu handeln.

Während der Pandemie gab es Kritik daran, dass es für Damen weniger Turniere als für Herren gab, auch unterschiedliche Preisgelder sind ein Thema. Wie stehen Sie dazu?

Simon: Unser Kampf für gleiche Bezahlung ist uns sehr wichtig. Equal Pay ist in vielen Sportarten ein Thema, das die Diskussionen beherrscht. Wir als WTA müssen deshalb daran arbeiten, unsere Turniere einem noch breiteren Publikum zugänglich zu machen, um entsprechend mehr Finanzmittel generieren zu können. Wir erreichen weltweit bis zu 900 Millionen Menschen, das ist eine enorme Zahl, aber da ist noch Luft nach oben. Dass die WTA weniger Turniere hatte als die Herrentennisorganisation ATP, ist nur bedingt richtig. Die ATP ist für die Challengerserie, also das Level unterhalb der Profitour, zuständig. Bei den Damen macht das der Weltverband ITF. Der Vergleich hinkt also.

Wie schwer hat die WTA denn noch an den Corona-Folgen zu tragen?

Simon: Ich bin zuversichtlich, dass wir in diesem Jahr das Niveau erreichen, das wir vor der Pandemie hatten. Asien ist leider immer noch sehr restriktiv, da müssen wir sehen, wie wir das kompensieren. Aber Corona hat die ganze Welt angehalten. Ich glaube, dass wir einen guten Job gemacht haben, um den Betrieb am Leben zu erhalten.

Sprechen wir über das, was diese Woche in Hamburg passiert. Zum ersten Mal seit 1978 findet am Rothenbaum wieder ein kombiniertes Damen- und Herrenturnier statt. Sind diese Events die Zukunft, oder sorgen Sie sich, dass die Damen im Vergleich mit den Herren zu wenig Aufmerksamkeit bekommen?

Simon: Ich bin großer Befürworter dieser kombinierten Turniere, weil ich glaube, dass sie das Beste für die Fans sind. Und für die Fans machen wir täglich alle unseren Job. Tennis ist eine der wenigen Sportarten, wo auf der ganz großen Bühne, auf Weltklasseniveau, Damen und Herren gemeinsam auftreten. Für das Damentennis empfinde ich das überhaupt nicht als Nachteil. Wirtschaftlich ist es sehr wichtig, denn es bringt uns mehr Aufmerksamkeit. Und gesellschaftlich ist es ein wichtiges Zeichen des Miteinanders, das wir aussenden.

ATP und WTA arbeiten seit einiger Zeit deutlich intensiver zusammen, es wurde sogar schon über eine Zusammenlegung gemutmaßt. Wie sehen Sie das Verhältnis der beiden Organisationen?

Simon: Ich sehe uns weiterhin als unabhängig voneinander, aber je mehr wir zusammenarbeiten, desto besser werden wir. Unser Arbeitsverhältnis ist besser als jemals zuvor. Wir haben gerade unsere Marketingabteilungen zusammengelegt, haben eine gemeinsame App entwickelt, damit die Tennisfans an einem Ort alle relevanten Informationen finden. Unser Bestreben ist, es unseren Fans so einfach wie möglich zu machen.

Der Deutsche Tennis-Bund als Lizenzin­haber des Herrenturniers spielt mit dem Gedanken, die Hamburger Lizenz mit der des Rasenturniers in Halle zusammenzulegen und sich um ein Masters zu bewerben. Das könnte das schnelle Aus für das kombinierte Turnier am Rothenbaum bedeuten. Wie denken Sie darüber?

Simon: In derlei Gedankenspiele bin ich nicht eingebunden, ich kenne die Pläne des deutschen Verbands nicht. Unsere Präferenz ist, dass Hamburg Standort eines kombinierten Turniers bleibt.

Was, wenn der DTB aber doch das Herrenturnier abzieht? Bliebe Hamburg Standort für ein WTA-Turnier?

Simon: Das hinge davon ab, was die Familie Reichel als Lizenzinhaber plant. Peter-Michael Reichel ist seit vielen Jahren ein geschätztes Mitglied in unserem Board of Directors. Wir haben großes Vertrauen, dass er und seine Tochter Sandra Hamburg als Standort erhalten wollen. Wenn nicht als kombiniertes Turnier, dann als Einzelevent. Wir wären dazu bereit.

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Welches Potenzial sehen Sie in Hamburg als WTA-Standort?

Simon: Ein sehr großes. Hamburg hat eine riesige Tradition, eine tolle Historie. Damentennis wurde dort über viele Jahre groß gemacht, und wir freuen uns sehr, dass die Reichels das Thema nun weiterentwickeln wollen. Ich selbst plane, mir spätestens im kommenden Jahr persönlich ein Bild zu machen.

Wie wichtig ist der deutsche Markt generell für Sie? Mit Bad Homburg, Berlin, Hamburg und Karlsruhe sind über die vergangenen Jahre einige neue WTA-Standorte dazugekommen. Warum?

Simon: Weil Deutschland seit vielen, vielen Jahren ein führender Tennismarkt ist. Sicher gab es nach den großen Zeiten einer Steffi Graf auch mal Tiefen, aber grundsätzlich hatte und hat Deutschland immer tolle Spielerinnen. Zudem ist die Fanbase sehr gewachsen und treu, die Geschichte unseres Sports lebt hier. Wenn man all das zusammenträgt, wird die Wichtigkeit des deutschen Marktes schnell deutlich.

Nachdem China als Markt weggebrochen und auch Russland problematisch geworden ist: Wo sehen Sie für die Zukunft Wachstumschancen?

Simon: Aktuell ist Thailand ein sehr interessantes Land. Generell sehe ich, wenn Corona keine Einschränkungen mehr erfordert, Südostasien als aufstrebenden Markt.

Um weltweit Märkte zu erobern, braucht es Stars, die global interessieren. Im Damentennis gab es nach dem Ende der Dominanz von Serena Williams eine große Gruppe an Spielerinnen, die Grand-Slam-Turniere gewinnen konnten. Nun scheint mit der Polin Iga Swiatek eine neue Dominatorin zu erwachsen. Was ist Ihnen lieber: die Dominanz einer kleinen Gruppe wie bei den Herren oder eine breite, vielfältige Spitze?

Simon: Iga hat für ihre Leistungen in den vergangenen Monaten allen Respekt verdient, es ist unglaublich, wie sie sich entwickelt hat. Persönlich glaube ich aber, dass es für unser Produkt besser ist, wenn wir eine breite Spitze haben. Die Fans lieben Rivalitäten, und je mehr klassische Rivalitäten es gibt, desto interessanter wird es. Wir brauchen die Breite an Topspielerinnen, um uns weltweit zu entwickeln. Deshalb glaube ich, dass das Damentennis auf einem sehr guten Weg ist.