Hamburg. Die gebürtige Herforderin war Deutschlands beste Hallenvolleyballerin. Nun will sie in Hamburg auf neuem Untergrund angreifen.

Noch während sie diesen Satz sagt, kann man an Louisa Lippmanns Gesicht ablesen, wie sie versucht zu ergründen, ob das Gefühl wirklich real ist. Ob sie sich trauen soll, das zu glauben, was ihr Bauch ihr sagt, obwohl es doch eigentlich immer ihr Kopf ist, der entscheidet. Das Strahlen, das sie dem Satz hinterherschickt, ist die Antwort auf jeden Zweifel.

„Es fühlt sich absolut richtig an“, das hatte Louisa Lippmann als Fazit der ersten fünf Wochen ihres neuen Lebens zu Protokoll gegeben. Und weil es auch ganz anders hätte aussehen können, hinterlässt die 27-Jährige an diesem leicht verregneten Sommermittag im Beachcenter in Dulsberg den Eindruck einer jungen Frau, die mit der Wendung, die sie ihrer Karriere gegeben hat, glücklich zu werden scheint.

Beachvolleyball: Lippmann sorgte für großes Aufsehen

Ende Mai hatte sie mit ihrer Entscheidung, vom Hallen- zum Beachvolleyball an den Bundesstützpunkt Hamburg zu wechseln, für großes Aufsehen im deutschen Leistungssport gesorgt. Schließlich ging da nicht irgendwer den Weg, den schon viele vor ihr nahmen, sondern die fünfmalige deutsche Volleyballerin des Jahres.

Die Diagonalangreiferin, die nach Auslandsstationen in Italien, China und Russland die aktuell bekannteste Hallenspielerin der Nation war, und die dank ihrer Erfolge und mit 162 Länderspielen auch finanziell zu den wenigen deutschen Athletinnen zählte, die von ihrem Sport auskömmlich leben können.

Warum sie diesen Teil ihrer Karriere hinter sich lassen wollte, beantwortet Louisa Lippmann mit erstaunlicher Offenheit. „Ich habe mich einfach nicht mehr im Volleyball gesehen“, sagt sie. Das Hamsterrad mit pausenlosen Einsätzen auf internationalem Topniveau, ob im Verein oder über den Sommer im Nationalteam, hörte während der für alle herausfordernden Zeit der Pandemie auf, sich zu drehen, egal, wie kräftig sie darin strampelte. „Vor allem hat mich gestört, dass die Individualität fehlte. Dass an mir ein Preisschild hing, für das ich eine gewisse Leistung erbringen musste“, sagt sie. Zu oft habe sie sich gefragt, ob sie das so noch wolle. „Ich konnte mich damit einfach nicht mehr identifizieren.“

Darum beendete Lippmann ihre Hallenkarriere

Als sie im Frühjahr ihren Rücktritt verkündete, begründete sie diesen mit einer mentalen Leere. „Die war tatsächlich da, auch ein Karriereende war eine Option“, sagt sie. Dazu fehlte indes der Plan B, nachdem sie ihr 2014 begonnenes Studium, Marketing und Kommunikation, zwei Jahre später unterbrochen hatte, um alles auf die Karte Profisport zu setzen. Nach mehreren Gesprächen eröffnete sich die Perspektive, es im Sand zu versuchen, anstatt den Kopf darin zu versenken.

Sofort zuzugreifen hätte indes nicht ihrer Persönlichkeit entsprochen. „Ich bin sehr neugierig, aber auch eine Schissbuxe, die sich viele Gedanken über den Worst Case macht“, sagt sie in dem Slang, der ihre Geburtsstadt Herford heraushören lässt. Allerdings kannte sie das Grundübel, dass ihre Vorstellung und die Realität sich meist verhalten wie Feuer und Wasser, schon von vorangegangenen Entscheidungen. „Ich habe immer Angst davor, meine Komfortzone zu verlassen, habe es letztlich aber nie bereut“, sagt sie.

Beachvolleyball: Kompletter Neustart in Hamburg

Deshalb also Hamburg, der Sprung in den kalten Sand. Immerhin, anders als im Ausland, mit Hannes Lindt (35) an ihrer Seite, ihrem Ehemann, der früher hochklassig Handball spielte, deshalb das Leistungssportlerdenken teilt und für den Sportartikelhersteller Asics auch aus Hamburg arbeiten kann. Es ist ein kompletter Neustart, und genau das genießt Louisa Lippmann. Auch wenn das bedeutet, dass sie gerade die beiden Dinge am nötigsten braucht, die sie eigentlich nicht hat: Ruhe und Geduld.

„Ich muss wirklich alles neu lernen“, sagt sie nach den ersten Wochen unter Anleitung ihrer neuen Trainerin Helke Claasen (45). Ihre bisherige Erfahrung mit der Strandsparte reduziert sich auf ein paar Spaßturniere in der Jugend und einen kurzen Ausflug im Corona-Sommer 2020. „Aber ich habe noch nie Annahme gespielt, auch Zuspiel ist völliges Neuland“, sagt sie. Die Athletik, die sie in der Halle auszeichnete, könne sie auch nur bedingt transferieren. „Im Sand kann ich nicht so springen wie in der Halle. Einige Abläufe muss ich umstellen, aus gewohnten Mustern ausbrechen. Es ist wie eine neue Sportart“, sagt sie.

Lippmann muss sich auf neuem Untergrund umstellen

Die größte Herausforderung allerdings sei zu akzeptieren, dass nicht alles von jetzt auf gleich umsetzbar ist, und gleichzeitig nicht zu überdrehen. „Es ist neu für mich, dass ich nicht ausgewechselt werden kann, wenn es mal nicht so läuft. Die Intensität ist enorm, das macht es vor allem auch mental so anstrengend. Das Anforderungsprofil für den Kopf ist ein ganz anderes. Aber es ist genau das, was ich mir erhofft hatte“, sagt sie.

Viel war schon vor und spätestens nach ihrem Wechsel geredet und geschrieben worden über ein mögliches neues Traumduo: Louisa Lippmann und Laura Ludwig (36). Die weltbeste Abwehrspielerin, 2016 in Rio de Janeiro Olympiasiegerin an der Seite von Kira Walkenhorst, erholt sich gerade von der Geburt ihres zweiten Sohnes, hat aber angekündigt, in Paris 2024 noch einmal auf Goldjagd gehen zu wollen. Eine Teampartnerin hat sie noch nicht, die Duos für die Saison 2022 sind längst im Spielbetrieb. „Natürlich wäre es ein Traum und eine Riesenehre, mit so einer Spielerin wie Laura anzutreten. Aber das war und ist nicht Teil meiner Gedanken, ich gehe diesen Schritt erst einmal nur für mich“, sagt Lippmann.

Bei der EM tritt Lippmann dank einer Wildcard an

Weil sie keine Ranglistenpunkte hat, muss sie darauf hoffen, über Wildcards an internationalen Turnieren teilnehmen zu können, sobald das Trainerteam sein Okay dafür gibt. Bei der EM in München (15. bis 21. August) soll es spätestens so weit sein, dort tritt sie dank eines Freitickets mit der Essenerin Walkenhorst (31) an. Auf eine Wildcard für das Elite-16-Turnier am Rothenbaum (11. bis 14. August) hoffen sie noch. Dass beide eher Blockspezialistinnen sind, stört sie nicht. „Es ist super spannend, das mit Kira auszuprobieren. Ich mag auch Abwehr gern, vielleicht wird das ja was. Mir ist absolut bewusst, dass ich noch nichts kann und alles lernen will“, sagt sie.

Erstaunliche Worte sind das für eine Spielerin ihres Kalibers, und wie viel Understatement in ihnen steckt, ist schwer zu ergründen. Aus dem Verband heißt es, man wolle Louisa Lippmann die Zeit geben, die sie benötige, um anzukommen. Ob es für die Weltspitze reiche, könne niemand vorhersagen. Die Hamburgerin Margareta Kozuch (35), die 2017 ebenfalls als Hallen-Star zum Strand wechselte, schaffte es mit Ludwig in Tokio 2021 immerhin ins Olympia-Viertelfinale; Weltspitze war sie im Sand nie, ihre Karriere hat sie bis auf Weiteres unterbrochen.

Louisa Lippmann sagt, dass das Erreichen von Weltklasseniveau nicht unbedingt die Voraussetzung dafür sei, um am Ende glücklich mit dem Wechsel sein zu können. „Mir geht es darum, Zufriedenheit zu erlangen“, sagt sie, „ich will sagen können, auf meinem höchsten Niveau alles investiert zu haben, was in mir steckt.“ Paris 2024 sei deshalb auch keine Deadline. Zum Ende des Gesprächs sagt sie jedoch etwas, das verrät, wo sie wirklich hinmöchte. „Perfektion kriegt man nicht jeden Tag hin, aber es ist mein Ziel, sie zu erreichen, und ich habe riesiges Vertrauen in den Prozess.“ Louisa Lippmann hat sich nicht auf den Weg gemacht, um ihn einfach nur auszuprobieren. Sondern um anzukommen.