Hamburg. Andreas Grieß und Benjamin Franke sehen Potenzial für ihren Sport, aber den Hamburger Verband nicht professionell genug aufgestellt.

Das Ergebnis wird noch einige Wochen auf sich warten lassen. Aber wenn alles so gelaufen ist wie erhofft, dann wird der Hamburger Leichtathletik-Verband (HLV) künftig ein in­ter­essantes Alleinstellungsmerkmal vorweisen können. Mit Andreas Grieß und Benjamin Franke, die am vergangenen Wochenende an der Universität von Frankfurt am Main ihre Abschlussprüfung des Trainerlehrgangs absolvierten, hat die olympische Kernsportart in Hamburg nicht nur endlich zwei A-Lizenztrainer im Disziplinblock Lauf, sondern auch zwei von maximal einer Handvoll höchstqualifizierter Leichtathletik-Coaches in Deutschland, die ihr Amt nicht hauptberuflich ausüben.

„Wir sind mit der Prüfung in Vorleistung getreten, weil wir einerseits ein bisschen verrückt sind, andererseits aber an das Potenzial in Hamburg glauben und uns auf den Weg machen wollen, es zu heben“, sagt Andreas Grieß. Der 34-Jährige, der aus Kevelaer am Niederrhein stammt und nach dem Studium des Onlinejournalismus in Darmstadt 2012 aus privaten und beruflichen Gründen nach Hamburg kam, ist im Hauptberuf Chefredakteur des einmal monatlich erscheinenden Fachmagazins „Leichtathletik Training“. Benjamin Franke (32) arbeitet in Vollzeit bei Airbus.

Leichtathletik ist für beide seit vielen Jahren mehr als nur ein Hobby. Grieß, der als Jugendlicher im Bundeskader für die 400- und 800-Meter-Distanzen stand, war nach seinem Intermezzo beim HSV 2016 Mitgründer des Vereins Hamburg Running, er trainiert dort aktuell eine rund 20 Personen starke Gruppe auf der Mittel- und Langstrecke. Franke, amtierender Hamburger Marathonmeister, coacht beim Laufteam Haspa Marathon, dem er auch als Athlet angehört, rund 15 Halbmarathon- und Marathonläufer.

HLV ist finanziell und personell nicht gut aufstellt

Die beiden eint der Glaube an das Potenzial in Hamburg, aber auch der Verdruss darüber, dass der HLV in seinen Strukturen aktuell bundesweit kaum konkurrenzfähig ist. „Der HLV ist finanziell und personell chronisch unterversorgt“, sagt Andreas Grieß, der für diese These reichlich Beispiele anführen kann. So ist aktuell die Stelle des Landestrainers Lauf nicht besetzt. Der leitende Landestrainer Jann Folkers müsse sich, da auf der Geschäftsstelle nur eine Person arbeite, mit zu vielen administrativen Aufgaben herumplagen. Die wenigen Bundeskaderathleten wandern, wie zuletzt Mittelstrecklerin Lisa Hausdorf (20) zu dieser Saison von der AG Hamburg-West zu Eintracht Frankfurt, regelmäßig ab. „Angesichts der Angebote, die sie bekommen, wären sie auch verrückt, wenn sie es nicht täten“, sagt Grieß.

Dass Aushängeschilder wie die Sprinter Lucas Ansah-Peprah (22) und Owen Ansah (21), die am Bundesstützpunkt in Mannheim trainieren, immerhin weiter für den HSV starten, sieht er ebenso zwiegespalten wie die „Insellösung“ für den aus Eritrea geflüchteten Marathonläufer Haftom Welday (31) vom Hamburger Laufladen e. V., über den das Abendblatt mehrfach berichtet hatte. „Eine Sogwirkung solch namhafter Athleten für das Marketing kann zwar allen helfen. Die Gefahr ist allerdings, dass solche Leuchttürme strukturell dem Nachwuchs nicht nutzen und verdecken, welche Baustellen wir in der Hamburger Leichtathletik haben“, sagt er.

Jahnkampfbahn im Stadpark ist oft überlaufen

Neben der verban dsinternen Strukturschwäche sei besonders die Trainingsinfrastruktur besorgniserregend. Die Jahnkampfbahn im Stadtpark als Hauptstandort sei für den Leistungssport regelmäßig zu überlaufen, weil man sie sich mit Breiten- und Betriebssportlern teilen müsse. Das Stadion am Hammer Park, einst Austragungsstätte internationaler Meetings, ist ebenso renovierungsbedürftig wie die Anlagen der TSG Bergedorf und der Hausbruch-Neugrabener Turnerschaft. „Und am Bramfelder See gibt es eine super Anlage, die verfällt, weil Geld für die Renovierung fehlt. Das tut weh“, sagt Andreas Grieß.

Seine Kritik will er nicht als persönliche Attacke auf den HLV, von dessen 65 Mitgliedsvereinen lediglich eine Handvoll Hochleistungssport anbieten, verstanden wissen. Mit dem früheren 400-Meter-Vizewelt- und Europameister Ingo Schultz (46) sei ein sehr engagierter Vizepräsident Leistungssport im Amt, „die wenigen hauptamtlichen Mitarbeitenden machen alle viele Überstunden, und gemessen an den Umständen ist vieles sehr ordentlich“, sagt er. Aber die Möglichkeiten seien deutlich besser als der Status quo. „Wir brauchen Perspektiven, ein größeres Miteinander unter den Vereinen und ein Grundverständnis einer gemeinsamen Philosophie. Hamburg sollte den Anspruch haben, als Leistungsstandort wahrgenommen zu werden. Wir haben keine Lust, ständig mit dem Messer zur Schießerei zu kommen. Aufopfern tut man sich auf Dauer nur, wenn es sich auch lohnt“, sagt er. Mit dem Erwerb der A-Lizenz haben Franke und er ein Zeichen gesetzt. Nun hoffen sie, dass viele nachziehen.