Hamburg. Bis heute wird der Menstruationszyklus von Spitzenathletinnen nur selten im Training berücksichtigt. Welche Folgen das hat.

Die Möglichkeiten der Datenanalyse im Profisport? Unbegrenzt, möchte man meinen, wenn man Ruth Spelmeyer-Preuß zuhört, die am anderen Ende der Leitung gerade die Monitoring-App auf ihrem Smartphone öffnet. „Welchen Puls habe ich heute, wie viele Stunden hab ich geschlafen, wie ist mein Stresslevel“, zählt die Leichtathletin auf. Zu einem Themenbereich gibt es allerdings nur allgemeine Fragen: zu ihrem Menstruationszyklus. „Im Grunde wäre das doch ein Leichtes, hier viel differenzierter und überhaupt auch flächendeckend alle Athletinnen in Deutschland zu fragen“, sagt Spelmeyer-Preuß.

Dass dies nicht passiert, dass bis heute weder eine sportgynäkologische Betreuung noch eine systematische Datenerfassung zum Menstruationszyklus deutscher Spitzensportlerinnen stattfindet, ist im Grunde schwer vorstellbar – und doch die Realität. Athletinnen wie Spelmeyer-Preuß kennen es nicht anders, sie sind in einem System großgeworden, das sich kaum für ihre Tage interessiert. „Und das darf natürlich nicht so bleiben“, sagt die Sprinterin. „Unser Hormonzyklus hat Auswirkungen auf unsere Leistungsfähigkeit, unser Schmerzempfinden.“ Mit anderen Sportlerinnen tritt sie für eine Enttabuisierung des Themas ein.

Menstruation im Leistungssport: Wie Frauen für Bewusstsein kämpfen

Unterstützt werden sie dabei vom Institut für Angewandte Trainingswissenschaft in Leipzig, das 2021 einen gynäkologischen Fragebogen von Leistungssportlerinnen erarbeitet hat. Denn der Mangel an Wissen ist nicht nur für die sportmedizinische Betreuung der Athletinnen ein Problem. Er kann auch, wie im Fall von Ruth Spelmeyer-Preuß, konkrete Folgen für die Karriere haben.

Es war im Jahr 2018, als sich die Sprinterin entschloss, von der Pille auf eine Hormonspirale umzusteigen. Die Vorteile lagen auf der Hand: „Wenn man seine Tage ohnehin nicht stark bekommt, bleiben sie bei einer Spirale möglicherweise ganz aus, was für einen Wettkampf ein klarer Vorteil ist“, erklärt die 31-Jährige. Ihr Gynäkologe stimmte zu. „Was er leider nicht wusste: dass eine Spirale bei Leistungssportlerinnen anders wirkt, bei mir hat sie den Östrogenhaushalt komplett auf den Kopf gestellt.“ Zwei Ermüdungsbrüche in kürzester Zeit waren die Folge. „Es war der größte Fehler, den ich machen konnte. Er hat mich zwei Jahre meiner leistungssportlichen Karriere gekostet.“

Weibliche Periode ist hochkomplexer Prozess

Unter dem weiblichen Zy­klus versteht man die wiederkehrenden Veränderungen der Gebärmutterschleimhaut und das gleichzeitige Heranreifen einer Eizelle. Ein hochkomplexer, von hormonellen Veränderungen gesteuerter Prozess, der mit der Regelblutung beginnt und der sogenannten Lutealphase endet – die Zeit zwischen Eisprung und dem ersten Tag der Menstruation.

Während zu Beginn des Zyklus der Östrogenspiegel stark ansteigt, wird in der Lutealphase nur noch wenig produziert – wodurch die Verletzungsgefahr steigt, da Östrogene die Festigkeit des Knochengewebes beeinflussen. Ein Wissen, das sich die Sportlerinnen im schlimmsten Fall selbst aneignen müssen. Eine systematische Beratung gibt es nicht – der Fachbereich Gynäkologie ist in der Sportmedizin nicht besetzt.

Verhütung spielt eine große Rolle im Leistungssport

Dabei ist gerade das Thema Verhütung unter Leistungssportlerinnen groß. Viele passen ihren Zyklus dem Trainings- und Wettkampfkalender an: Sie nehmen die Pille durchgängig und legen nicht, wie eigentlich vorgesehen, nach drei Wochen eine siebentägige Pillenpause ein – durch die eine so- genannte „Entzugsblutung“ ausgelöst wird. Doch weil es für viele Frauen unmöglich ist, während einer Blutung an ihre Leistungsgrenze zu gehen (oder darüber hinaus), verzichtet ein Großteil der Sportlerinnen darauf.

Die ersten Auswertungen der Fragebögen der Sportlerinnen, die am IAT sportmedizinisch betreut werden, weisen darauf hin, dass je nach Sportart bis zu 50 Prozent der Athletinnen pathologische Störungen des Menstruationszyklus haben. „In den Ausdauersportarten war es sogar jede zweite Athletin, die da Probleme hatte“, sagt Elisabeth Kirschbaum, selbst Hockeyspielerin und Sportwissenschaftlerin am IAT. „Und da sprechen wir nicht von Kleinigkeiten, sondern von medizinischen Problemen, zum Beispiel der Amenorrhoe, also dem kompletten Ausbleiben der Periode über Monate hinweg. Manchmal hatten sie die befragten Athletinnen sogar noch nie bekommen.“ Ein Zustand, der sich zum Beispiel auch auf einen späteren Kinderwunsch der Frauen auswirken kann.

Themengruppe widmet sich dem Tabuthema

Die Themengruppe „Frauen im Leistungssport“, die Anfang des Jahres am IAT gegründet wurde, wird sich dem Tabuthema Menstruationszyklus fortan wissenschaftlich widmen. Es ist ein Anfang. Weitere Daten müssen erhoben, Leitfäden für die Trainerausbildung erstellt werden, die Trainerakademie in Köln und „Athleten Deutschland“ konnte als Kooperationspartner gewonnen werden. Die dünne Datenlage bezeichnet Kirschbaum als „gravierend“. Manche Krankheiten seien noch nie in den Fokus der Sportmedizin geraten, wie etwa die Endometriose, eine der häufigsten weiblichen Unterleibserkrankungen.

Bei dieser Krankheit wuchert Gewebe außerhalb der Gebärmutter und kann zu starken Schmerzen führen, ohne dass die Ursache erkannt wird – manchmal über Jahre. Die deutsche Karateka Sophie Wachter (29) machte ihre Endometriose-Erkrankung vor wenigen Wochen öffentlich – und wählte dafür den Weg über die sozialen Medien. „Ich habe hin- und herüberlegt, ob ich das hier erzählen soll, weil das Thema ja nicht jeden betrifft“, sagte sie in einem Videobeitrag ihres Instagram-Kanals – und korrigierte sich lächelnd: „Wobei doch, immerhin rund 50 Prozent der Weltbevölkerung.“