Hamburg. Der Neuseeländer Kirk Pitman will das Nationalteam im Beachvolleyball Tillmann/Müller zur Olympiamedaille führen.

Die Quarantäne zählt mit Gewissheit zu den Dingen, die grundsätzlich niemand vermissen wird, sobald die Welt die Pandemie hinter sich gelassen hat. Dass sie aber auch ihre guten Seiten hat, davon können sie im Hamburger Beachvolleyball-Bundesstützpunkt berichten. Denn einer, der das neue Trainerteam in Dulsberg bereichert, wäre wohl nicht da, hätte es das Virus nicht gegeben.

Kirk Pitman hatte bei den Olympischen Sommerspielen im August vergangenen Jahres in Tokio den größten Erfolg seiner Trainerlaufbahn gefeiert, als er das australische Duo Taliqua Clancy/Mariafe Artacho zur Silbermedaille führte. Um nach Australien zurückreisen zu können, musste der Neuseeländer zwei Wochen in die Isolation. „In dieser Zeit habe ich viel darüber nachgedacht, warum ich meinen Job mache und was ich erreichen will. Und weil ich Herausforderungen liebe, wurde mir klar, dass ich eine neue brauchte“, sagt der 40-Jährige.

Beachvolleyball: Kirk Pitman trainiert das Team Tillmann/Müller

Was ihm nicht klar war: Worin diese Herausforderung bestehen würde. Doch wie es der Zufall wollte, erhielt Pitman just in jener Phase der Selbstbespiegelung einen Anruf von Niclas Hildebrand. Der Sportdirektor der Strandsparte im Deutschen Volleyball-Verband offerierte dem früheren Profi die Aufgabe, das neue Nationalteam Cinja Tillmann (30) und Svenja Müller (21) zu übernehmen. Für Kirk Pitman, der schon in seiner Zeit als Spieler (2001 bis 2012) mehrfach in Hamburg trainiert hatte, war schnell klar: „Das will ich machen! Die Stadt hat mir immer schon gefallen. Die Geschichte des deutschen Beachvolleyballs ist großartig, und die Möglichkeit, dort zu lernen, zu wachsen und Veränderungen anzuschieben, hat mich sofort gereizt.“

Seit Anfang November ist Kirk Pitman also nun Wahlhamburger, worüber sich auch seine Ehefrau sehr freut. Die Britin Zara Dampney (35) lernte er auf der Profitour kennen, und weil Hamburg deutlich näher an ihrer Heimat liegt als Australien, hat die Familie ihren Lebensmittelpunkt nach Bournemouth verlegt. „Dort lebt die gesamte Familie meiner Frau, für uns ist mein neuer Job also quasi wie Nachhausekommen“, sagt Kirk Pitman, der seine Frau und die Kinder Florence (5) und Otto (3) regelmäßig in Südengland besucht. Doch auch wenn die Familie für ihn an erster Stelle steht – sein Herz schlägt für seinen Sport, und er zeigt es in jeder Trainingseinheit.

Teile der Maori-Kultur in Arbeitsweise übernommen

Ingrid Unkelbach, Leiterin des Olympiastützpunktes Hamburg/Schleswig-Holstein und als sehr kritische Beobachterin bekannt, sagt: „Kirk ist ein richtig guter Typ. Einer, der immer positiv ist, genau weiß, was er will, und bereit ist, diese Einstellung vorzuleben.“ Kirk Pitman freut sich, als er von dieser Einschätzung erfährt, schließlich will er genau diesen Vorbildcharakter verkörpern. „Ich bin ein Mensch, der das Leben liebt und Spaß daran hat. Gleichzeitig bin ich sehr fokussiert und versuche, niemals in Problemen zu denken, sondern nur in Lösungen“, sagt er.

Als geschichtsbewusster Mensch, der die Tradition der Ureinwohner Neuseelands schätzt, hatte er mit seinem langjährigen Partner Jason Lochhead vor manch wichtigem Spiel den Haka aufgeführt; den Tanz der Maori, mit dem Gegner eingeschüchtert werden sollen. Teile dieser Kultur habe er in seine Arbeitsweise als Trainer übernommen. „Ich möchte meine Spielerinnen in allen Belangen bereit machen, in eine Schlacht zu ziehen und diese zu gewinnen“, sagt er. Dabei dürfe die Rolle des Martialischen nicht überhöht werden. „Ein Krieger ist in meinen Augen jemand, der Frieden bringen will. Dieser Einstellung fühle ich mich verpflichtet.“ Ein Ansatz ist das, der ihm besonders in der Arbeit mit weiblichen Duos helfe. Pitman hat auch Männer trainiert, „aber mit Frauen habe ich mehr Erfolg“, sagt er – und meint das rein sportlich. „Frauen brauchen eine besondere Ansprache, sie sind harmoniebedürftiger, können mit Direktheit nicht immer gut umgehen.“

Kirk Pitman: „Ich bin hier sehr frei und darf gestalten“

Wie gut Tillmann/Müller mit der klaren Ansage umzugehen wissen, die ihr neuer Coach bezüglich des sportlichen Ziels ausgegeben hat, muss sich in den kommenden Monaten weisen. „Wir werden gemeinsam versuchen, das Beste herauszuholen, und das ist eine Medaille bei Olympia 2024 in Paris“, sagt Kirk Pitman. Die sportlichen Anlagen dazu sehe er zweifelsohne. „Die Mischung im Team ist toll. Cinja ist sehr erfahren und jetzt auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, Svenja hat unglaubliches Potenzial“, sagt er.

Dieses auszuschöpfen, darum wird es im Olympiazyklus bis Paris – so lange läuft Pitmans Vertrag – gehen. Im Trainingslager in Teneriffa erarbeiten sie aktuell die Grundlagen, im März sollen diese in Mexiko erstmals auf der World Tour angewandt werden. „Ich versuche herauszufinden, was ich einbringen kann, um den deutschen Beachvolleyball nach vorn zu bringen“, sagt Kirk Pitman, der sich besonders darüber freut, dass sein neuer Job längst nicht so strategisch und starr ausgerichtet ist, wie das deutsche System von außen betrachtet auf ihn gewirkt hatte. „Ich bin hier sehr frei und darf gestalten. Das liebe ich“, sagt er. Es ist die Herausforderung, die Kirk Pitman gesucht hat, als er in der Quarantäne sein Leben unter die Lupe legte.