Hamburg. Der Sportwissenschaftler Ingo Froböse erklärt, warum ältere Athleten zurzeit so erfolgreich sind – und wie der Körper regeneriert.

Es sind wahrhaftig keine Teenager mehr, die da gerade bei den Olympischen Winterspielen von sich reden machen: Athleten wie die der deutsche Goldrodler Johannes Ludwig (35) oder Österreichs Skispringer Manuel Fettner, der mit 36 Jahren zum ersten Mal überhaupt in seiner Karriere eine Medaille gewann; ganz zu schweigen von Eisschnellläuferin Claudia Pechstein: Sie scheidet, mit 49 vollendeten Lebensjahren, in der Kategorie Teenager völlig aus. Aber warum sind ausgerechnet die älteren Sportler bei diesen Spielen so präsent und erfolgreich? Das Abendblatt hat jemanden gefragt, der es wissen muss: Sportwissenschaftler Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule in Köln.

Claudia Pechstein startet mit 49 Jahren bei Olympia, der Franzose Johan Clarey holt mit 41 Jahren Silber in der Abfahrt – ist es Zufall oder ein Trend, dass in Peking so viele ältere Leistungssportler Erfolge feiern?

Ingo Froböse: Es ist so, dass wir im Wintersport grundsätzlich viele Aktivitäten haben, bei denen es um die Ausdauerfähigkeit geht, wie im Skilanglauf, Biathlon oder Eisschnelllauf. Die Funktionen, die für diese Sportarten gebraucht werden, vor allem die hohe Herz-Kreislauf-Fähigkeit, kann man relativ lange aufrechterhalten. In den Schnellkraftsportarten wie Sprint oder Snowboardcross tummeln sich dann eher die Jüngeren. Man sagt in der Sportwissenschaft: Ausdauersportler werden gemacht, Schnelligkeitssportler werden geboren.

Wo ordnen Sie da die Silbermedaille von Clarey ein?

Skirennläufer kombinieren Schnellkraft mit Ausdauerkomponenten. Dabei geht es aber nicht nur um die Schnelligkeit an sich, sondern auch um Erfahrung und langjährige Trainingsumfänge. Insofern sind gerade im Abfahrtslauf auch die älteren Sportlerinnen und Sportler sehr erfolgreich, da sie besser mit der mentalen Belastung umgehen können, die das Risiko eines Abfahrtsrennens mit sich bringt. Im Gegensatz zu den Jüngeren haben sie sich in all den Jahren für alle neuen Situationen ein großes Repertoire an Lösungsmöglichkeiten erarbeitet.

Welche goldenen Regeln beachten also Ausdauersportler wie Claudia Pechstein?

Je älter diese Athletinnen und Athleten werden, desto disziplinierter und vernünftiger werden sie. Sie wissen mit ihren Kräften zu haushalten, regenerieren aber auch gut. Dabei werden sie von einem Betreuerteam unterstützt, das heute sicher viel differenzierter arbeitet als noch vor einigen Jahren. Es gibt Datenanalytiker, Ernährungsberater, Mentaltrainer, die alle nach individuellem Bedürfnis eine Optimierung der Leistungsfähigkeit gewährleisten.

Im Januar staunte die Sportwelt über Rafael Nadal (35), der bei den Australian Open in einem epischen Finale den Russen Daniil Medwedew (25) schlug, ein Tennismatch für die Geschichtsbücher. Dabei wurde man das Gefühl nicht los, dass es für die ganz großen Dramen auch ein gewisses Alter braucht.

Beim Tennis kommen in der Tat einige Faktoren zusammen. Rafael Nadal, Roger Federer (40), Novak Djokovic (34) sind bislang relativ verletzungsfrei durch ihre Karriere gekommen, parallel verfügen sie über eine wahnsinnig gute Technik und ein exorbitant hohes Leistungsniveau. Wobei: Nadal braucht inzwischen schon mal längere Pausen, ist aber nahezu unbezwingbar, wenn er zurückkommt. Und er lässt er sich nicht mehr so leicht aus der Ruhe bringen, macht weniger Fehler, das hat man in Melbourne gesehen. Und diese Ruhe und Konstanz, die Gelassenheit, das Wissen, 21 Grand-Slam-Turniere gewonnen zu haben – das ist unersetzbar. Das macht diese Athleten so stark. Es ist eine unschlagbare Kombination aus mentaler Stärke, Training, Routine und einer bewusst gesteuerten, guten Regeneration.

Nun ist Leistungssport aber nur bedingt gesund. Betreibt Claudia Pechstein nicht auch seit Jahren Raubbau am eigenen Körper?

Auf jeden Fall. Spitzensport ist immer auch „Materialraub“. Viele Systeme des Körpers, die Knochen, Gelenke, Bänder, Sehnen, die Knorpelstrukturen werden stark überbelastet. Die genetische-anatomische Ausstattung des menschlichen Körpers ist eben auch entscheidend für die Länge einer Karriere. Wer verletzungsanfällig ist wie ein Marco Reus, wird es nie ganz in die Spitze schaffen.

Und doch inspirieren sie uns irgendwie, diese älteren Sportler.

Das stimmt, und wir dürfen eines nicht vergessen: Unser Körper ist viel besser, als wir glauben. Es gibt in unserem Körper einen Reparaturmechanismus, die Zellteilung, die dafür sorgt, dass wir in regelmäßigen Abständen immer komplett neu sind. Dreimal im Jahr das Blut. Alle 15 Jahre der Knochen. Der Darm alle zwei bis vier Wochen, die Haut alle 30 bis 50 Tage. Das heißt: Jeder von uns hat Ressourcen, die jugendlich-kindlich sind. Das größte Problem ist, dass wir sie nicht nutzen. Aber: In jedem Alter können wir sie uns wieder erarbeiten.