Hamburg. Der neue Vorstandsvorsitzender des Hamburger Sportbundes spricht über Corona-Folgen, Mitgliederrückgänge und eine Olympiabewerbung.

Sein Herz gehört der Ultimate-Frisbee-Sparte der BG 74 Göttingen. „Dort werde ich für immer Mitglied bleiben“, sagt Daniel Knoblich, der dem Trendsport mit der Scheibe zuschreibt, „mir beigebracht zu haben, wie man respektvoll mit Niederlagen umgeht“.

Mit Haut und Haaren verschrieben hat sich der 42-Jährige seiner neuen Aufgabe. Seit Jahresbeginn ist der langjährige Geschäftsführer der Hamburger Sportjugend (HSJ) als Nachfolger Ralph Leh­nerts (62) hauptamtlicher Vorsitzender des Hamburger Sportbundes (HSB). Dem Abendblatt gab er nun sein erstes Interview.

Hamburger Abendblatt: Herr Knoblich, in der Regel erhalten Funktionäre eine 100-Tage-Frist, bevor sie eine erste Bilanz ziehen. Ihnen gewähren wir diese nicht, weil Sie nach Ihrer Tätigkeit in der Sportjugend vorgeprägt sind. Was konnten Sie aus der Zeit bei der HSJ mitnehmen, und was ist beim HSB für Sie neu?

Daniel Knoblich: Ich kenne alle Mitarbeitenden und die Spielregeln, nach denen das Haus intern funktioniert. Außerdem sind mir die Grundstrukturen der HSB-Arbeit ebenso bekannt wie das ehrenamtliche Personal, die in Verantwortung Stehenden bei unseren Mitgliedsverbänden und -vereinen und die Ansprechpersonen in der Politik. Inhaltlich gibt es einige Themen, die mir neu sind. Mit Sportinfrastruktur etwa kenne ich mich noch nicht so gut aus. Zum 1. April haben wir für dieses wichtige Aufgabenfeld eine neue Referatsleiterin eingestellt. Gleiches gilt für das Thema Leistungssport und die Frage, wie wir Talente sichten und in Anschlussförderung bringen.

Gibt es etwas, das Sie bereits mit Amtsantritt umgesetzt haben, um sich bewusst von Ihrem Vorgänger abzugrenzen? Und was haben Sie von Ralph Lehnert übernommen?

Knoblich: Übernommen habe ich einen hervorragenden Stab an Mitarbeitenden. Bewusst abgrenzen muss ich mich nicht, aber ich will versuchen, mich von den grauen Anzügen der männlichen Sportfunktionäre zu befreien. Ich möchte einen anderen Umgangston ausprobieren und hoffe, dass dieser gut ankommt. Ich werde einen engeren Austausch mit den Mitgliedsorganisationen führen, denn es gibt leider einige bekannte Interessenskonflikte und Gräben im HSB. Hier werde ich genauer hinsehen. Außerdem möchte ich den HSB und mich deutlicher in der Öffentlichkeit positionieren. Sie sehen: Es gibt es eine Menge zu tun.

Dann konkretisieren Sie bitte: Was sind die wichtigsten Ziele, die Sie in Ihrer ersten Amtszeit bis Ende 2026 erreichen wollen?

Knoblich: Ganz oben auf der Agenda steht die Sportinfrastruktur, dass der Bau von Sporthallen, -plätzen und Bewegungsräumen bei allen städtebaulichen Planungen immer mitgedacht werden muss, um die Stadt lebenswert zu gestalten. Das Thema Opferschutz und Gewaltprävention liegt mir sehr am Herzen, weil ich es aus meiner vorangegangenen Tätigkeit kenne, es aber natürlich nicht im Jugendbereich endet. Wir müssen auch an der Geschlechtergerechtigkeit arbeiten. Das ist ein Thema, an dem wir gesamtgesellschaftlich nicht vorbeikommen – und auch gar nicht vorbeikommen wollen, weil es sehr wichtig ist.

Da kann es helfen, dass es mit Katharina von Kodolitsch erstmals eine Präsidentin im HSB gibt. Verändert das Ihre Arbeit?

Knoblich: Ich bin es gewohnt, mit Frauen in Führungspositionen zu kooperieren. Wir haben ein sehr gutes Präsidium, frisches Blut schadet unserem Dachverband auf keinen Fall. Wir sind mit Katharina in vertrauten Gesprächen, alles, was sie vorhat, klingt gut. Sie ist freundlich, zugewandt, offen für Neues, was für eine Zusammenarbeit sehr wertvoll ist.

Sehr freundlich scheint uns der HSB in der Pandemie mit der Politik umgegangen zu sein. Die Belange des Sports wurden mit zu wenig Nachdruck vorgetragen, den monatelangen Lockdown mit schwerwiegenden sozialen und gesundheitlichen Konsequenzen insbesondere für Kinder und Jugendliche konnte Ihr Dachverband trotz argumentativer Unterstützung aus der Wissenschaft nicht abwenden. Müssen Sie lauter, diskursiver, fordernder werden?

Knoblich: Ihre Beobachtungen kann ich teilweise nachvollziehen. Ich denke, dass man dem organisierten Sport in seiner Gesamtheit vorhalten kann, dass er zu leise und staatstragend war, als es darum ging, die gravierenden Folgen des Sportverbots zu thematisieren. Ich gebe aber zu bedenken, dass wir alle unsicher waren, wie gefährlich diese Pandemie werden würde und wie lange sie andauern könnte. Niemand wollte Pandemietreiber sein, deshalb waren wir bewusst vorsichtig. Dass sich dieser Zustand über zwei Jahre hinziehen würde, hat anfangs niemand glauben wollen. Ob der HSB lauter, fordernder werden muss? An der einen oder anderen Stelle sicherlich. Aber ich habe deutlich bessere Erfahrungen damit gemacht, auf den Dialog zu setzen, um gemeinsam Lösungen zu finden, anstatt die Konfrontation zu suchen und neue Gräben auszuheben. Zum Dialog müssen allerdings beide Seiten bereit sein. Deshalb sage ich gern: Man kann das eine tun, ohne das andere zu lassen.

Der HSB ist die größte Personenorganisation der Stadt mit fast 500.000 Mitgliedschaften in rund 820 Vereinen. Diese Bedeutung spürt man sowohl politisch als auch im gesellschaftlichen Kontext noch zu selten, zum Beispiel beim Thema Zuschauerzahlen im Profisport. Machen Sie sich Sorgen über die fehlende Lobby des Sports in Hamburg?

Knoblich: Diese fehlende Lobby, die Sie beklagen, betrifft aktuell vorrangig die im Profisport engagierten Veranstalter oder Vereine. Das ist nicht meine Zuständigkeit. Was unsere Mitgliedsorganisationen angeht, haben wir es durchaus geschafft, Gehör zu finden, wenn auch in der Pandemie bedauerlicherweise nicht bei allen Senatorinnen und Senatoren. Die neue Active-City-Strategie des Sportsenators, auf deren finale Version wir jetzt warten, bietet aber viele gute Ansätze. Der Wille, dem Sport eine angemessene Bedeutung zu geben, ihn als Querschnittsaufgabe für alle Behörden und Lebensbereiche zu sehen, ist offenbar vorhanden. Ein Papier ist jedoch das eine, danach zu handeln, das andere. Setzt der Senat das um, was im Entwurf auch in Abstimmung mit uns aufgeschrieben wurde, wird der Sport in Hamburg größere Bedeutung als bisher erlangen.

Dass Sport den Zusammenhalt der Gesellschaft fördert und der Gesundheit dient, ist hinlänglich bekannt. Sportsenator Andy Grote lässt gerade eine weitere Studie dazu in Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Eppendorf erstellen. Dennoch ist Sport das erste Fach, das im Schulunterricht ausfällt. Zudem durften Kinder und Jugendliche monatelang im Verein keinen Sport treiben. Es muss Sie doch verrückt machen, dass so oft wider wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse gehandelt wird!

Knoblich: Das hat der Sport nicht exklusiv, das passiert leider in vielen Bereichen, wenn wir an den Klimawandel oder den Umgang mit der Pandemie denken. Wir haben aber begründete Hoffnung, dass die positiven Effekte des Sports im Senat erkannt werden und künftig auch danach gehandelt wird. Es wird unsere Aufgabe sein, auf diese Querschnittsthemen immer wieder hinzuweisen. Und was das Thema Schulsport betrifft, müssen wir eine Diskussion darüber anstoßen, was Schulsport überhaupt bewirken soll.

Die Auswirkungen der Pandemie auf Kinder und Jugendliche sind bekannt, ganze Jahrgänge drohen den Anschluss zu verlieren. Aber wie sieht es mit den Vereinen und Verbänden im HSB aus? Wie schwer hat es Ihre Mitglieder getroffen?

Knoblich: Wir werden dazu am 17. Februar im Sportausschuss der Bürgerschaft Aussagen machen. Was ich vorwegnehmen kann: Tennis, Segeln, Golf und Kanu sind die Gewinner, was die Mitgliederentwicklung angeht. Dagegen haben wir überproportional weibliche Mitglieder verloren. Die Gründe dafür untersuchen wir, einer dürfte sein, dass vor allem Gesundheitssport indoor kaum möglich war, und der wird nun mal vorrangig von Frauen betrieben.

Extrem ist der Aderlass im Ehrenamt. Wie können Sie dem entgegenwirken?

Knoblich: Indem wir Übungsleitende in den Fokus rücken. Schon vor der Pandemie hieß es, dass mehr Trainerinnen und Trainer gebraucht würden. Dem müssen wir jetzt Rechnung tragen, darüber sind wir im Sportausschuss im Gespräch. Meine Idee ist es, eine staatlich geförderte Qualifizierungsoffensive zu starten und zudem über ein explizites „Dankeschön“ zum Beispiel in finanzieller Form für alle Übungsleitenden, die auch während der Pandemie weitergekämpft haben, mit der Stadt zu verhandeln.

Wer soll dieses Dankeschön erhalten, und welchen Umfang soll es haben?

Knoblich: Diese Fragen müssen wir mit der Stadt diskutieren. Anerkennung und Wertschätzung sind extrem wichtig, und da müssen wir eine Schippe drauflegen.

Wie können Sie verlorene Mitglieder zurückgewinnen? Die Gutscheinkampagne der Stadt, 80 Euro für jeden Neueintritt, hat immerhin Wirkung gezeigt. Aber der Trend, über Onlinekurse vorm Laptop daheim Sport zu treiben statt im Studio oder der Turnhalle, ist unverkennbar.

Knoblich: Solche Trends können wir kaum aufhalten, müssen wir aber auch nicht. Vielmehr sollten wir uns der Debatte stellen und schauen, wie wir wo eigene Anreize setzen können. Was sind die großen Vorteile des Sports im Verein? Gemeinschaft und Wettkampf! Der Wunsch, Dinge wieder gemeinsam zu erleben, sich mit anderen zu messen, wird nach der Pandemie riesig sein, das haben wir im vergangenen Sommer schon erlebt. Um konkurrenzfähig zu bleiben, müssen Vereine sicherlich auch qualifizierte digitale Angebote entwickeln, mit denen sie ihre Mitglieder erreichen und binden. Dazu sind die Clubs in der Lage, das haben sie in der Pandemie mit viel Kreativität eindrucksvoll bewiesen. Das Ziel muss es sein, dass die Vereine und der organisierte Sport die Trends setzen, nicht nur die kommerziellen Anbieter. In der neuen Welt des Sports wird auch das Digitale seinen Platz haben. Darauf haben wir uns alle einzustellen.

Was uns zum Thema E-Sports bringt. Sie diskutieren wieder, ob und wie E-Sports als gemeinnützig einzustufen sein könnte, was auch im Koalitionsvertrag der Berliner Ampel-Parteien als Ziel für diese Legislaturperiode formuliert wird. Ohne die Diskussion zu führen, ob E-Sports Sport ist oder nicht: Warum kann er für Vereine wichtig sein?

Knoblich: Alles, was Vereinen hilft, ein zusätzliches Angebot zu schaffen, über das sie Mitglieder gewinnen und binden können, sollte Gegenstand von Überlegungen sein. Der organisierte Sport muss eine Meinung dazu haben, wie E-Sports eingebunden werden soll. Wir werden im HSB unsere Position dazu weiterentwickeln. Grundsätzlich ist es die Aufgabe von Sportentwicklung, Trends zu erkennen und Lösungen anzubieten. Wir als HSB versuchen, als Trendscout für die Vereine Dinge aufzuarbeiten. Wir brauchen dafür aber engere Kooperationen mit Fachverbänden oder Institutionen wie dem Freiburger Kreis (bundesweiter Zusammenschluss von derzeit 170 Großvereinen, die Red.).

In Hamburg gibt es rund 130.000 Menschen mit Behinderung. Viele von ihnen brauchen Unterstützung, um den Weg zum Sportverein zu schaffen. Wie können Sie da helfen?

Knoblich: Im Behindertensport verzeichnen wir Mitgliederzuwächse. Ich möchte diese Gruppe aber nicht besonders behandeln, weil diese Menschen das gar nicht wollen. Wir werden uns der Aufgabe stellen, dass alle, die es wollen, in von ihnen selbst gewählten Gruppen Sport treiben können, also auch mit Nicht-Behinderten. Das ist das, was über allem steht. Das ist Inklusion.

Sie sprechen mehr als Ihre Vorgänger über Leistungssport und über dessen Wert in der Wechselwirkung mit dem Breitensport, dem sich der HSB hauptsächlich verpflichtet sieht. Wie stehen Sie zur ultimativen Leistungssport-Schau Olympia, den Winterspielen in Peking und einer möglichen erneuten Bewerbung Hamburgs für Olympische und Paralympische Sommerspiele?

Knoblich: Was Peking angeht: Menschenrechte dürfen nicht verhandelbar sein, insofern war die Vergabe an China eine Farce – ebenso wie die Ausrichtung einer Fußball-WM in Katar. Eine erneute Bewerbung Hamburgs halte ich für kein Thema, solange Sportgroßveranstaltungen so aufgesetzt sind, wie sie es aktuell sind. Wenn das IOC sich wirklich öffnet, wenn es wegkommt vom Gigantismus, den Ausrichtern und Aktiven mehr Möglichkeiten der Teilhabe und Mitsprache einräumt, dann könnte eine neue Bewerbung Hamburgs möglich sein. Darüber hinaus halte ich die Beantwortung der Frage, welchen Stellenwert der Leistungssport in unserer Gesellschaft haben soll und welche Konsequenzen sich daraus ergeben, für eine der zentralen Aufgaben des Deutschen Olympischen Sportbundes in den nächsten Jahren.