Hamburg. Der Springreit-Bundestrainer über die Bedeutung der Global Champions Tour, die Lehren aus Tokio und die EM in Riesenbeck .

Auch wenn die Termindichte angesichts der wegen der Pandemie in den Herbst verschobenen Turniere immens ist, hat sich Otto Becker die Reise nach Hamburg nicht nehmen lassen. Im Derbypark Klein Flottbek will der 62-Jährige, seit 2009 Bundestrainer der deutschen Springreiter, anlässlich der elften Station der weltweit höchstdotierten Turnierserie Global Champions Tour Kontaktpflege betreiben, um seine Mannschaften für die anstehenden Großevents – EM in Riesenbeck in der kommenden Woche, CHIO in Aachen (10. bis 19. September) und Nationenpreis-Finale in Barcelona Anfang Oktober – optimal zusammenzustellen. Im Abendblatt zieht Otto Becker seine Bilanz der Olympischen Spiele und sagt, was daraus folgen muss.

Hamburger Abendblatt: Herr Becker, warum ist ein Turnier wie das in Hamburg trotz des erneuten Ausfalls des Derbys so wichtig?

Otto Becker: Seit dem Ausbruch der Pandemie hatten wir alle eine sehr schwierige Phase. Im vergangenen Jahr sind viele Turniere ausgefallen, dann kam Anfang des Jahres noch der Ausbruch des Herpesvirus hinzu, sodass es auch kaum eine Winter- und Weltcupsaison gab. Insofern ist jetzt jedes Turnier, das stattfindet, enorm wichtig für die Entwicklung von Reitern und Pferden, insbesondere dann, wenn wie in Hamburg Zuschauer zugelassen sind. Gerade die jungen und unerfahrenen Pferde kennen eine solche Atmosphäre nicht und brauchen sie, um sich daran zu gewöhnen, unter diesen Bedingungen Topleistungen abzurufen. Nur wer das kann, wird auf Championaten erfolgreich sein.

Sie haben als Bundestrainer bei den Olympischen Spielen gerade erleben müssen, dass mangelnde Erfahrung Erfolge kostet. Wie ordnen Sie mit etwas Abstand das Abschneiden in Japan mit Rang neun im Team und Daniel Deußers 18. Platz im Einzel ein?

Becker: Ich würde es so ausdrücken: Wir haben im Einzel Lehrgeld bezahlt. Wir wussten, dass wir mit einem Team antreten, dem es in der Breite an Erfahrungen in großen Championaten fehlte. Im Einzel hat sich nur Daniel fehlerfrei fürs Finale qualifiziert, aber die anderen beiden, André Thieme und Christian Kukuk, haben ja nicht enttäuscht, sie hatten halt einen Fehler, was für die Finalqualifikation nicht gereicht hat. Dann kam der Teamwettkampf, für den wir uns als Zweite fehlerfrei qualifizieren konnten. Da hatte ich gehofft, dass wir um die Medaillen mitkämpfen. Unterm Strich war der neunte Platz für uns enttäuschend, das will ich gar nicht verhehlen.

Der Weltranglistenerste Deußer ist Deutscher, in der Global Champions Tour stehen immerhin drei Deutsche in den Top 20. Warum ist Deutschland im Springreiten dennoch aktuell nicht in der Weltspitze?

Becker: Wir gehören nach wie vor zur Weltspitze, aber man muss die Fakten sehen. Es ist kein Geheimnis, dass die Weltspitze deutlich breiter geworden ist. Viele Nationen sind mittlerweile in der Lage, ganz vorn mitzuspringen. In Rio 2016 hatten wir bei den Olympischen Spielen fünf gestandene Weltklassepaare. Danach haben wir einen Neuaufbau gestartet, der bei der WM 2018 in den USA mit Gold für Simone Blum im Einzel und Bronze im Team vielversprechend gelang. Vor Tokio nun fehlten uns viele Turniere, um die Form zu überprüfen und eine angemessene Sichtung zu machen. Dazu kam, dass wir bei Simone Blum, Christian Ahlmann und auch Daniel Deußer mit Tobago drei Ausfälle von Toppferden für Tokio hatten, die Anwärter gewesen wären.

Was fehlt denn, um die Lücke nach ganz oben schnellstmöglich wieder zu schließen?

Becker: Die Reiter dazu haben wir, aber wir brauchen die Pferde. Ich habe vor Tokio gesagt, dass die Schweden die einzige Nation sind, die drei absolute Weltklassepaare hat. Das haben sie mit ihrem Olympiasieg im Team nachgewiesen. Wir haben nicht die finanziellen Möglichkeiten, um alle Spitzenpferde auch in Deutschland zu halten. Im Ausland wird deutlich mehr Geld bewegt. Ich weiß, dass unsere Reiter alles tun, um Pferde auszubilden, mit denen wir ganz oben angreifen können. Aber wir müssen in Richtung Paris einige neue Pferde aufbauen, und das braucht Zeit.

Die man meist nicht hat. Nächste Woche ist bereits die EM in Riesenbeck …

Becker: … bei der ich mir erhoffe, dass die Erfahrungen von Tokio helfen, um ein gutes Ergebnis zu erzielen und eine Medaille zu gewinnen. Aber wichtig ist danach auch das CHIO in Aachen und das Nationenpreis-Finale Anfang Oktober in Barcelona, denn der Letzte dort steigt in die B-Division ab. Wir werden die Teams in diesem Jahr dafür recht kurzfristig nominieren, nach Riesenbeck erst für Aachen und nach Aachen für Barcelona, denn wir müssen auch die Belastungen für Reiter und Pferd steuern.

Auf die Nationenpreise legen Sie traditionell großen Wert, weil dort das Teambuilding eine wichtige Rolle spielt. Ist Ihnen die Global Champions Tour, die mit hohen Preisgeldern lockt, aber mit ihren vielen Stationen, 15 in diesem Jahr, den Kalender dominiert, weiter ein Dorn im Auge?

Becker: Nein, weil ich einerseits sehe, wie ernst unsere Reiter die Nationenpreise, die für das Teamgefühl wichtig sind, noch immer nehmen. Sie stehen dafür nahezu uneingeschränkt zur Verfügung. Andererseits weiß ich auch, dass es unerlässlich ist, sich regelmäßig auf dem höchsten Niveau mit der Konkurrenz zu messen. Deshalb empfehle ich mittlerweile allen, die die Chance haben, auf der Global Tour zu starten, dies zu tun. Es muss nur eine gute Planung gemacht und die Pferde nicht überfordert werden.

Hans-Dieter Dreher gewinnt DKB-Preis
Seine lange Anreise aus dem Süden Baden-Württembergs hat sich gelohnt. Hans-Dieter Dreher aus Rheinfelden hat am Freitagnachmittag den Preis der Deutschen Kreditbank gewonnen. Auf dem zwölf Jahre alten Wallach Vestmalle Des Cotis siegte der 49-Jährige fehlerfrei in 71,10 Sekunden und strich dafür 13.750 Euro Preisgeld ein. Das Hauptspringen des Freitags war zugleich die erste Runde für den Teamwettbewerb der Global Champions League, in der 15 Teams à zwei Reiter sowie zehn Einzelreiter starteten, zu denen Dreher zählte. Die zweite Runde ist am Sonnabend (10.10 Uhr) der Mercedes-Benz-Preis, in dem auch die 35 Starter für die Einzelwertung der Global Champions Tour ermittelt werden. Das mit 300.000 Euro dotierte Hauptspringen des Wochenendes findet am Sonnabend um 14 Uhr statt, der NDR überträgt live. Am Sonntag (14 Uhr) geht es im Idee Kaffee Championat von Hamburg um 95.000 Euro Preisgeld.

Nach Tokio wurden auch Diskussionen um Ihre Person geführt. Welche Fehler haben Sie sich anzukreiden, und stehen Sie für den nächsten Olympiazyklus bis Paris 2024 zur Verfügung?

Becker: Tatsächlich habe ich diese Diskussionen nicht wahrgenommen. Aber ich nehme mich nicht so wichtig, ich bin auch Dienstleister. Meine Entscheidungen hinterfrage ich nicht nur nach, sondern schon vor großen Turnieren. In der Kommunikation und Organisation gibt es immer Dinge zu verbessern, grundsätzlich sind wir aber gut vorbereitet und in guter Form nach Tokio gefahren. Mein Vertrag läuft bis Jahresende. Nun bringen wir erst einmal Riesenbeck, Aachen und Barcelona hinter uns, dann werden Gespräche geführt.