Hamburg. Der deutsche Rekordmeister verliert trotz einer Siebentoreführung mit 28:29 im Final-Four-Halbfinale in Hamburg.

Hendrik Pekeler konnte es nicht fassen, als am frühen Donnerstagabend die Schlusssirene in der Hamburger Barclaycard Arena ertönte. Während die Spieler des TBV Lemgo laut schreiend auf ihren Keeper Peter Johannesson zu sprinteten, vergrub der Nationalspieler des THW Kiel sein Gesicht beschämt in seinem Trikot.

Es war ihm nicht zu verdenken. Wenige Sekunden zuvor hatte der deutsche Rekordmeister nach einer 18:11-Halbzeitführung eine peinliche 28:29-Niederlage vor 2000 Fans im ersten Halbfinale des Final Four im DHB-Pokal kassiert. Kiels Superstar Sander Sagosen saß mit gesenktem Kopf auf der Ersatzbank, während der Lemgoer Fanblock in der Arena tobte.

"Von diesem Spiel werden wir noch lange sprechen"

„Ich muss das erstmal sacken lassen. Von diesem Spiel werden wir noch lange sprechen“, sagte der überwältigte TBV-Coach Florian Kehrmann, „wir sind aber noch nicht fertig.“ Im Finale trifft Lemgo an diesem Freitag (17.30 Uhr/ARD und Sky) auf den Sieger der Partie zwischen der MT Melsungen und der TSV Hannover-Burgdorf (bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht beendet).

Beim THW hatte es Kreisläufer Patrick Wiencek erstmals wieder in den Kader geschafft. Nur eine dünne schwarze Bandage erinnerte noch an den vor rund drei Wochen erlittenen Wadenbeinbruch im rechten Bein. Dennoch begann wie erwartet zunächst Wienceks Nationalmannschaftskollege Pekeler am Kreis.

Das Spiel schien bereits entschieden

Zu Spielbeginn konnte der deutsche Rekordmeister die Kräfteverhältnisse im Duell mit dem Bundesliga-Tabellenelften kaum deutlich machen. Obwohl sich der TBV im Angriff einige unnötige Ballverluste leistete, die Kiels Domagoj Duvnjak zweimal eiskalt im Tempogegenstoß bestrafte, kam Lemgo nach einem zwischenzeitlichen Zweitorerückstand wieder heran (4:4/12.). Danach konnten weder Keeper Johannesson trotz einiger spektakulärer Paraden noch eine Lemgoer Auszeit verhindern, dass sich Kiel kontinuierlich absetzte.

Als Superstar Sagosen nach einem weiteren Lemgoer Ballverlust geistesgegenwärtig ins leere Tor traf (14:8/25.), brüllte der Kieler seine Freude in Richtung des schwarz-weißen Fanblocks heraus. „In der ersten Halbzeit hatten wir noch sehr viel Respekt und Angst vor Kiel“, sagte Kehrmann. Bis zum 18:11-Halbzeitstand wurde THW-Keeper Niklas Landin zum entscheidenden Faktor. Der dänische Weltklassetorwart brachte es bis zur Pause auf acht Paraden und eine beeindruckende Quote von rund 42 Prozent gehaltener Bälle. „Wir haben in der ersten Halbzeit sehr aktiv verteidigt und Lemgo vor viele Probleme gestellt“, sagte THW-Trainer Filip Jicha.

Das Spiel schien bereits entschieden. Nur Lemgo hatte offenbar keine Lust, sich weiter abschießen zu lassen. „In der Halbzeit war es wichtig, die Jungs wiederaufzubauen. Wir wollten die Lockerheit wieder reinbekommen. Mit jeder guten Aktion wächst dann der Glaube“, sagte Lemgos Kehrmann. Zu Beginn des zweiten Durchgangs warf sich der TBV – auch dank einer Zweiminutenstrafe gegen Kiels Oskar Sunnefeldt - schnell wieder auf vier Tore heran (18:14/34.).

Superstar Sagosen unterlief ein technischer Fehler

Der THW schien beeindruckt, trotz einer Auszeit von Trainer Jicha hatte Kiel den Faden komplett verloren. Als selbst Superstar Sagosen ein ungewohnter technischer Fehler unterlief, brachte Gedeon Guardiola Lemgo Mitte der zweiten Halbzeit wieder auf zwei Tore heran (24:22/46.). „So einen Leistungsabfall darf man sich nicht erlauben. Das ist nicht unser Anspruch“, sagte der sichtlich angefressene Jicha. Nach einer weiteren Johannesson-Parade saß niemand mehr im ausgelassen feiernden TBV-Fanblock. Auch der in der ersten Halbzeit überragende Niklas Landin bekam plötzlich keine Hand mehr an den Ball, verbuchte in der gesamten zweiten Hälfte lediglich eine magere Parade.

Kiel zitterte, Lemgo bekam die zweite Luft. Nach einem weiteren Sagosen-Fehlpass und einer Parade von Lemgos Johannesson glich Dani Baijens erstmals seit der zwölften Spielminute aus (27:27/54.). Filip Jicha stand wie versteinert an der Seitenlinie. Schrittfehler Steffen Weinhold, Führung Lemgo (27:28/57.). Nachdem erst Miha Zarabec (57.) und kurze Zeit später Patrick Wiencek (59.) nur den Pfosten trafen, rettete Lemgo seine knappe Führung bis zum letzten Kieler Angriff. Als Johannesson den letzten Wurf mit seiner vierzehnten Parade (Quote 33 Prozent) parierte, war die Sensation perfekt.

„Die zweite Halbzeit war desolat von uns. Jeder Spieler hat eine Verantwortung für unser Spiel. So etwas gehört sich nicht“, schimpfte Jicha. Auf der anderen Seite war Lemgos Björki Mar Ellison (mit sechs Toren neben Bobby Schlagen bester TBV-Werfer) einfach nur stolz. „Nach der ersten Halbzeit waren wir tot, Kiel hat uns kaputtgemacht. In der zweiten Halbzeit haben wir dann jeden Fehler bestraft. Wir haben es wirklich überragend gemacht.“