Hamburg. Hamburger Fechtverband konnte während Corona kaum Training oder Wettkämpfe anbieten. Nun soll der Neustart erfolgen.

Fechten, denkt man, müsste in einer Pandemie doch ein Vorzeigesport sein. Abstand zueinander ist geboten, die Maske vorm Gesicht vorgeschrieben – sicherer geht es kaum. Falsch gedacht, sagt Lars Hagge. „Wir gelten als Kontaktsport, die Beschränkungen haben uns mit am härtesten getroffen.“

Der 53-Jährige ist Landestrainer im Hamburger Fecht-Verband (HFV) – und seit März 2020, als Corona die Welt überrollte, zur Untätigkeit verdonnert. Training war in den guten Monaten im Sommer 2020 maximal mit zehn Personen pro Gruppe möglich, in den weniger guten meist gar nicht. Wettkämpfe? Hagge lacht ein bitteres Lachen. „2020 sind alle ausgefallen, in diesem Jahr hoffen wir noch“, sagt er dann.

Hoffnung auf Öffnungsschritte

Tatsächlich ist die Hoffnung groß, dass die sinkenden Inzidenzwerte auch in Hamburg kurzfristig nennenswerte Öffnungsschritte ermöglichen. „Für uns steht und fällt alles damit, dass wir in einer Halle trainieren können, denn Fechten geht draußen nicht. Wenn das erlaubt wird, können wir den Betrieb schnell hochfahren“, sagt Hagge. Mit dem „Freien Fecht-Forum“, das vor der Pandemie unter dem Signum FFF jeden Freitagabend für alle Aktiven im HFV ein offenes Training in der Verbandshalle am Horner Weg bot, möchte HFV-Präsidentin Margit Budde-Cramer schnellstmöglich die Saison 2021 eröffnen.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Besonders am Herzen liegt der 68-Jährigen dies, weil es ein neues Angebot gibt, das seit Anfang des Jahres in den Startlöchern steht, aber bislang wegen Corona noch keinen Stich gesehen hat: Rollstuhlfechten. Seit ihrer Premiere 1960 ist dieser Inklusionssport Teil der Paralympischen Sommerspiele. In Hamburg gab es bislang jedoch kein entsprechendes Angebot. „Das wollen wir verändern, denn wer die Rasanz und Eleganz dieses Sports erlebt hat, der wird ihn sofort mögen“, sagt Margit Budde-Cramer.

Drei Handicap-Klassen

Beim Rollstuhlfechten werden die Aktiven, vergleichbar mit dem Rollstuhlbasketball, in drei Handicap-Klassen eingestuft, von A (vollständige Beweglichkeit im Rumpf und gute Balance) bis C (Behinderungen in allen Gliedmaßen). Gefochten wird im Rollstuhl sitzend, der nicht bewegt werden darf. Treffer vermeidet man durch Wegpendeln des Oberkörpers, der frei beweglich ist, da die Sportrollstühle keine Rückenlehne haben.

„Rollstuhlfechter sind oft deutlich reaktionsschneller als Fußgänger, die sich mehr auf ihre Beinarbeit verlassen, um Treffer zu vermeiden. Aber die ist im Rollstuhl eben nicht gefragt“, sagt Alexander Krause. Der 49-Jährige ist seit Mitte April Vizepräsident Breitensport im HFV und damit auch für die neue Rollstuhlsparte mitverantwortlich.

300 Aktive betreiben in Deutschland Rollstuhlfechten

Rund 300 Aktive betreiben in Deutschland Rollstuhlfechten, Anfang Juni sollen in München die deutschen Meister ermittelt werden. Wie hoch in Hamburg der Bedarf ist, können die Verantwortlichen noch nicht abschätzen. Vier feste Anmeldungen in der Altersspanne von 18 bis 52 Jahren gibt es, für die bereits vier Sportrollstühle angeschafft wurden. Zehn weitere Menschen haben zumindest ihr Interesse hinterlegt.

Weitere Informationen gibt es im Internet unter hamburger-fechtclub.de. Margit Budde-Cramer hofft, dass sich das Angebot herumsprechen wird, sobald sie endlich loslegen können. An fachmännischer Begleitung wird es den Neulingen zumindest nicht fehlen. Mit Aziz Ben Smida konnte der HFV einen langjährigen tunesischen Nationalfechter als Chefcoach verpflichten.

Optimales Umfeld beim HFV

Der 27-Jährige, der im November 2019 nach Hamburg kam, um seine deutsche Verlobte zu heiraten, hat keinerlei körperliche Einschränkungen, arbeitet auch als Trainer im Hamburger FC und leitet die Fecht-AG an der Stadtteilschule am Horner Weg. Das Rollstuhlfechten fasziniert ihn, „weil es eine neue Herausforderung ist. Ich möchte gern dabei mithelfen, diesen Sport in Hamburg aufzubauen“, sagt der studierte Sportlehrer, der trotz seiner nicht einmal zwei Jahre Aufenthalt in Hamburg fast perfekt Deutsch spricht.

Das Umfeld, das der HFV potenziellen und bereits aktiven Mitgliedern – von 820 vor Corona sind Stand heute 735 in 14 Vereinen geblieben – bieten kann, ist optimal. Die Dreifeldhalle am Horner Weg, in der der HFV seit November 2019 Kader- und Vereinstraining offeriert, zählt zu den modernsten in Deutschland und kann dank elektronischer Boden- und Wandmelder auf bis zu zwölf Bahnen auch für Turnierbetrieb genutzt werden. „Jetzt fehlt nur noch die Erlaubnis, die Halle wieder benutzen zu dürfen“, sagt Lars Hagge.

Sechs Talente stehen im Hamburger Landeskader

Der Landestrainer ist überzeugt davon, dass die eineinhalb Jahre Wettkampfpause eine immense Lücke in die Entwicklung vor allem der Jugendlichen reißen. Dennoch glaubt er, dass das Potenzial schnell wieder aktiviert werden könne.

„Die Vereine haben versucht, über Onlineangebote oder Athletiktraining im Freien ihre Talente in Bewegung zu halten“, sagt er. Im Landeskader, der sich im Aufbau befindet, stehen aktuell sechs hoffnungsvolle Sportlerinnen und Sportler. Zum Nachwuchs-Bundeskader zählt bislang lediglich die für TH Eilbeck startende Victoria Ratz (15), die in Tauberbischofsheim lebt und trainiert.

HFV hat sich viel auf die Agenda geschrieben

Im HFV wollen sie aber nicht nur nach vorn schauen, sondern auch vorankommen. „Ich möchte, dass der Leistungskader wächst. Dafür muss der Breitensport gute Arbeit leisten“, sagt Alexander Krause. Lars Hagge möchte spätestens nach den Sommerferien in den regulären Trainingsbetrieb zurückkehren, erste Turniere organisieren und „2022 eine normale Wettkampfsaison absolvieren“.

Und Margit Budde-Cramer setzt darauf, 2022 die Mitgliederzahl im HFV auf Vor-Corona-Niveau zurückzuführen, die im Mai 2022 geplante Senioren-EM zu einem Erfolg zu machen – und im Rollstuhlfechten ein Hamburger Team bei deutschen Meisterschaften an den Start zu bringen.

Nicht gerade wenig, was sich der HFV auf die Agenda geschrieben hat, um zumindest nach dem Ende der Pandemie zum Vorzeigesport zu werden. Aber untätig waren sie ja – erzwungenermaßen – lange genug.