Hamburg. Ralph Lehnert, Vorstandsvorsitzender des Hamburger Sportbundes, fordert ein Ende der Verbote, um bleibende Schäden zu verhindern.

Die Resolution, die der Hauptausschuss des Hamburger Sportbundes (HSB) in der vergangenen Woche verabschiedete, hat für Aufsehen gesorgt. Die wichtigste Forderung lautete: „Keine unbegründeten Einschränkungen mehr für Hamburgs Sport!“

Im Abendblatt-Gespräch erläutert Ralph Lehnert (61), Vorstandsvorsitzender des HSB, welche Schritte notwendig sind, um bleibenden Schaden von den Vereinen und den Sporttreibenden abzuwenden.

Hamburger Abendblatt: Herr Lehnert, welche Note geben Sie dem Hamburger Senat für die Behandlung des Sports seit Ausbruch der Corona-Pandemie?

Ralph Lehnert: In Zeugnissen werden heutzutage ja differenzierte Bewertungen eingefordert. Eine sehr gute Note verdient der Senat dafür, dass er den Sport in seinen finanziellen Hilfsangeboten von Anfang an mitgedacht hat. Das war nicht selbstverständlich. Abgesehen davon hat der Sport in den ersten Monaten sehr viel Verständnis für alle Maßnahmen aufgebracht, die die Eindämmung der Pandemie zum Ziel hatten. Wir sind mit der Innenbehörde und dem Landessportamt gut vernetzt, werden dort gehört. Inwieweit diese sich dann im Gesamtsenat durchsetzen, können wir nicht beeinflussen. Ich wünschte, dass grundsätzlich mehr auf den Sport eingegangen und er als Teil der Lösung gesehen wird.

Der HSB hat lange stillgehalten, obwohl Hamburg die Ausübung von Sport sehr re­striktiv handhabt. Die Stadt war das letzte Bundesland, das Landeskadern den Trainingsbetrieb gestattet hat, es durfte kein Tennis gespielt werden, während in anderen Bundesländern sogar Hallen geöffnet waren. Hätte der HSB nicht früher laut werden müssen? Warum erst jetzt diese Resolution?

Lehnert: Wir waren stets im Gespräch mit dem Sportamt und wussten, dass dort mehr gewollt wurde, als durchgesetzt werden konnte. Wenn wir der Auffassung sind, den Senat angreifen zu müssen, dann tun wir das auch. Einen Großteil der Einschränkungen in 2020 haben wir mitgetragen. Aber jetzt ist mit den Regelungen zum Bundes-Lockdown ein Punkt erreicht, an dem wir sagen: Es muss etwas geschehen, was dem Sport ermöglicht, seine gesellschaftlichen Aufgaben zu erfüllen und als Teil der Lösung zur Pandemiebekämpfung beizutragen.

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  • Welche Lösung fordern Sie?

    Lehnert: Sport im Freien muss schnellstmöglich freigegeben werden, und zwar in deutlich größeren Gruppenstärken als die aktuell erlaubten fünf Personen. Und das nicht nur für Kinder und Jugendliche, die natürlich besonders im Fokus stehen, sondern für alle Altersgruppen. Die Erkenntnisse der Aerosolforschung sind eindeutig, Sport im Freien birgt ein zu vernachlässigendes Infektionsrisiko. Dem muss Rechnung getragen werden. Die Diskussion um eine Freigabe von Geimpften, Genesenen, Getesteten muss auch im Sport Berücksichtigung finden.

    Haben Sie auf diese Kernforderung der Resolution eine Reaktion des Senats erhalten?

    Lehnert: Keine direkte. Aber Sportsenator Andy Grote hat in einer Sitzung Ende der vergangenen Woche die Trainingserlaubnis für Landeskader auf alle olympischen und paralympischen Sportarten ausgeweitet, was ein überfälliger Schritt war. Außerdem sollen Modellprojekte ermöglicht werden, um den Sportbetrieb wieder in Schwung zu bringen. In Schleswig-Holstein gab es dafür bereits wenige Tage, nachdem Ende März diese Modellprojekte durch Beschluss der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder in Aussicht gestellt wurden, eine öffentliche Ausschreibung. In Hamburg warten wir darauf noch immer. Da ist wertvolle Zeit vertan worden.

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    Teilen Sie den Eindruck, dass dem Sport in Hamburg die Lobby fehlt?

    Lehnert: Nein. Wenn man bedenkt, in welchem Maß Einschränkungen auch für die Kultur gelten, dann würde ich nicht von fehlender Lobby sprechen. Das Problem ist vielmehr, dass zu wenig in Lösungen gedacht wird. Der Sport hat seit Ausbruch der Pandemie intensiv versucht, alle Maßnahmen umzusetzen. Unsere Vereine haben mit großer Kreativität Angebote gemacht und Teststrategien entwickelt. Wir müssen das aber wahrscheinlich noch deutlicher und vernehmbarer kommunizieren.

    Vor allem braucht es nicht vorrangig Geldhilfen, sondern die Rückkehr der Menschen in den Sportbetrieb.

    Lehnert: Unsere größte Sorge während der ersten Monate der Pandemie war tatsächlich, dass Vereine finanziell zugrunde gehen könnten. Bis heute haben wir noch keine Pleite zu verzeichnen. Aber die Gürtel werden deutlich enger geschnallt, vor allem große Vereine können mit den geleisteten Finanzhilfen nicht ihre Ausfälle kompensieren. Wir erhalten nun deutliche Alarmzeichen, dass der Schaden in 2021 höher ausfällt als 2020. Dringend notwendige Sanierungen werden abgesagt, weil Rücklagen aufgebraucht sind. Manche Vereine bitten darum, ihre Darlehenstilgung auszusetzen, andere melden Liquiditätsprobleme. Dennoch haben Sie recht, dass die Rückkehr in den Sportbetrieb nun Priorität haben muss, denn die Vereine und Aktiven brauchen eine Perspektive. Da sind zuletzt Beschränkungen erlassen worden, die nicht nachzuvollziehen sind und deren Auswirkungen uns Sorgen bereiten. Wie Sportvereine existieren können, wenn sie keine Angebote machen dürfen, diskutieren wir intensiv mit der Politik.

    Die Folgen der Bewegungslosigkeit werden uns Jahre beschäftigen.
    Die Folgen der Bewegungslosigkeit werden uns Jahre beschäftigen. © Witters

    Welche Auswirkungen der verordneten Bewegungslosigkeit zeichnen sich ab, welche fürchten Sie am meisten?

    Lehnert: Dass Kinder und Jugendliche seit mehr als einem Jahr keinen Zugang zum Sport haben, ist fatal. Sport ist für die soziale und gesundheitliche Entwicklung einer Gesellschaft essenziell. Die Folgen dessen, dass Kinder in einem Alter, in dem in erheblichem Maß Prägung erfolgt, diese Möglichkeiten nicht haben und stattdessen ins Digitale abwandern, werden uns über Jahre beschäftigen. Das Gleiche gilt im Leistungssport, wo ein Jahr der Entwicklung wegfällt. Die Auswirkungen zeigen sich noch nicht so drastisch wie in der Wirtschaft, wo man sie an Zahlen ablesen kann. Aber sie werden schwere Folgeschäden hinterlassen, gegen die wir dringend ankämpfen müssen.

    Gibt es denn auch etwas, das Sie positiv stimmt, das Hoffnung macht?

    Lehnert: Ich wage die Prognose, dass es innerhalb angemessener Zeit gelingen wird, viele Menschen in den Sport zurückzuholen, weil der Wunsch nach Bewegung und sozialen Kontakten sehr groß ist. Ich hoffe, dass der Sommer eine deutliche Öffnung des Sportbetriebs zumindest im Freien ermöglicht, und dass wir im Winter dank Impfkampagne und Hygienekonzepten auch im Indoor-Sport in Richtung Normalität steuern. Wir verfügen über die nötigen Werkzeuge und können das mit der Unterstützung der Politik schaffen.

    Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:

    • Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
    • Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
    • Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
    • Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
    • Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).