Hamburg. Claas Henkel ist der erfolgreichste Hamburger Trainer der vergangenen zehn Jahre. Warum er als Coach der UHC-Hockeydamen aufhört.

Drei Spiele noch im besten Fall oder zwei im schlechtesten, dann endet bei den Bundesliga-Hockeydamen des Uhlenhorster HC eine Ära. Claas Henkel (41), seit Sommer 2013 Cheftrainer und in dieser Zeit verantwortlich für drei deutsche Meistertitel im Feld und zwei in der Halle, wird zur kommenden Saison Sportdirektor des Vereins. Es ist also kein Abschied im klassischen Sinn, aber eine Zäsur, die der gebürtige Potsdamer, der 2018 Hamburgs Trainer des Jahres war, mit der optimalen Ausbeute angehen möchte.

Heißt: Ein Sieg am Sonnabend (13 Uhr, Wesselblek) im zweiten Spiel der Best-of-3-Viertelfinalserie gegen Rot-Weiß Köln, der das Entscheidungsspiel am Sonntag (11.30 Uhr) überflüssig machen würde, und zwei weitere Erfolge im Halbfinale und Finale der Final-Four-Endrunde in Mannheim am 8./9. Mai.

Hamburger Abendblatt: Herr Henkel, mit 41 Jahren sind Sie in einem Alter, in dem Trainer normalerweise durchstarten. Warum also hören Sie auf?

Claas Henkel: Weil es einfach Zeit war, diesen Schritt zu gehen. Die Mädels haben nach acht gemeinsamen Jahren das Recht darauf, ein anderes Gesicht zu sehen und eine neue Ansprache zu hören.

Sie könnten doch aber weiterhin als Trainer arbeiten, haben als Co-Trainer beim UHC und bei der Nationalmannschaft auch bereits Erfahrung im Herrenbereich gesammelt. Warum war das kein Thema für Sie?

Henkel: War es schon. Als ich im Herbst 2019 unserem Präsidenten Horst Müller-Wieland die Entscheidung mitgeteilt habe, war ich überhaupt nicht festgelegt, was danach kommen würde. Ich wollte eine neue Herausforderung, und das hätte auch ein Trainerposten bei einem anderen Verein sein können. Aber weil ich dem UHC sehr verbunden bin, haben wir überlegt, wie es gemeinsam weitergehen könnte, und dann sind wir auf die Idee gekommen, dass ich Sportdirektor werden könnte.

Den Posten gab es bislang nicht im UHC. Warum braucht es ihn überhaupt? Nur, um Sie zu halten?

Henkel: Es wäre toll, das bejahen zu können. Aber ich werde ausreichend zu tun haben, um die Schaffung der Stelle zu rechtfertigen. Ich mache seit vergangenem Sommer ja schon Teile meiner neuen Arbeit und sehe, wie wichtig dieser Posten ist. Hockey ist in den vergangenen 15 Jahren, die ich als Cheftrainer in der Bundesliga arbeite, in den Strukturen auf dem Platz sehr viel professioneller geworden. Der nächste logische Schritt ist nun, dass wir auch die Strukturen um den Sport herum professionalisieren. Es gibt so viele unterschiedliche Schnittstellen in so einem Club wie dem UHC, die bislang alle für sich arbeiten. Diese zusammenzuführen und den Überblick zu behalten, das ist meine neue Aufgabe.

Fürchten Sie nicht, dass Ihnen der tägliche Umgang mit den Spielerinnen fehlen wird?

Henkel: Fürchten tue ich das nicht. Wenn es so ist, dann ist es okay, aber ich rechne nicht damit, weil ich weiterhin eng an den Damen, aber auch an allen anderen Mannschaften im Club dran sein werde. Außerdem werde ich als Jugendtrainer arbeiten, was ebenfalls eine tolle Herausforderung sein wird. Ich freue mich aber auch darauf, nach 15 Jahren mal wieder unter der Woche abends Zeit für andere Dinge zu haben und kein Leben zu leben, dessen Wochenenden von Spielplänen vorgegeben sind. Für mein Privatleben ist dieser Schritt eine Zäsur, wobei die Zäsur nicht das Ziel war.

Wenn Sie das Hockey von heute mit dem aus Ihrer Anfangszeit als Trainer vergleichen: Was hat sich verändert?

Henkel: Die Athletik, die Rasanz des Spiels hat brutal zugenommen. Das gilt besonders für die Damen. Ein Herrenspiel war auch vor zehn, 15 Jahren schon intensiver, athletischer Sport. Bei den Damen hat sich das in den vergangenen fünf Jahren deutlich verändert. Die Umfänge, die heute in der Damen-Bundesliga trainiert werden, unterscheiden sich kaum noch von den Herren oder den Nationalteams.

Wie haben Sie sich als Trainer über diese Zeit entwickelt? Was nehmen Sie mit aus diesen 15 Jahren?

Henkel: Die Professionalisierung im Damenhockey hat natürlich auch für uns Trainer mit sich gebracht, dass wir uns breiter aufstellen mussten. Als ich anfing, war ich mehr Teil der Truppe, da gab es Spielerinnen, die älter waren als ich. Heute bin ich Leiter eines großen Funktionsteams und nehme mich selbst von Jahr zu Jahr mehr als einen Beobachter wahr, der von außen auf das Ganze schaut. Insofern ist der Schritt in mein neues Amt eine logische Weiterentwicklung dessen.

Die Arbeit eines Trainers lässt sich an der Entwicklung seiner Teams ablesen und nach Titeln bewerten. Die menschliche Entwicklung ist nicht so offensichtlich. Wie hat Ihr Beruf Sie menschlich geprägt?

Henkel: Der Sport war und ist ein wichtiger Teil meines Lebens, aber meine menschliche Entwicklung ist vor allem durch mein Privatleben geprägt. Als ich Trainer wurde, war ich kinderlos, heute bin ich Vater von drei Kindern. Das prägt viel mehr als der Beruf.

Hockey ist ein Sport, der für seine Innovationsfreude bekannt ist. Dennoch hat er es bis heute nicht geschafft, aus der Nische des Randsports herauszufinden. Sehen Sie sich als Sportdirektor auch gefordert, die Professionalisierung voranzutreiben?

Henkel: Ich bin da zwiegespalten. Was die Professionalisierung von Trainingsmethoden oder des leistungs- und breitensportlichen Umfelds betrifft, würde ich die Frage uneingeschränkt bejahen. Aber es geht dabei nicht um eine Vergrößerung des Budgets, sondern darum, die Lebensqualität für unsere Mitglieder zu erhöhen. Bei der Funktionärsarbeit sehe ich mich aber nicht ganz vorn, die ist bei unserem Präsidenten in besten Händen. Die Entwicklung der Bundesliga in die Hände der Vereine zu legen, wie es mit dem Projekt Hockeyliga gerade passiert, ist sinnvoll. Aber ich teile nicht den Druck, den andere anscheinend verspüren, wenn es darum geht, Hockey unbedingt zu mehr Bekanntheit und Aufmerksamkeit zu verhelfen.

Haben Sie nie die Kollegen aus dem Fußball beneidet, die sehr viel Geld verdienen und viel mehr Aufmerksamkeit bekommen für ihre Arbeit und Erfolge als Sie?

Henkel: Ich habe mich in der Hockeyfamilie immer pudelwohl gefühlt. Ich stehe nicht in der U-Bahn und denke: ‚Schade, dass mich hier niemand erkennt.‘ Ich neide auch den Kollegen nicht ihr Gehalt, vor allem aber bin ich froh, dass wir im Hockey unabhängig von den Mechanismen sozialer Medien arbeiten können und zum Beispiel nicht gezwungen sind, Spieler einzusetzen, weil deren Berater auch Berater eines Spielers ist, den der Verein gern verpflichten würde. Wer über Professionalisierung im Sinne von mehr Geld im System spricht, muss sich im Klaren darüber sein, dass die positiven Aspekte immer auch negative mit sich ziehen. Ich für meinen Teil finde es angenehm, darauf im Hockey verzichten zu können.

Hockey ist also das paradiesische Biotop, in dem Trainer völlig ohne Druck ihre Arbeit machen können?

Henkel: Ganz und gar nicht. Druck entsteht ja nicht durch die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, sondern durch Konkurrenz und den Ehrgeiz, den wir alle in uns tragen. Der Druck in der Bundesliga ist hoch, für uns zum Beispiel aktuell, weil wir uns zum zwölften Mal in Folge für die Endrunde qualifizieren können und unbedingt wollen. Aber im Hockey hängen an sportlichem Erfolg oder Misserfolg nicht so viele Existenzen wie im Fußball oder anderen Profisportarten. Das macht es für uns sicher erträglicher.

Ärgern Sie sich nie darüber, dass Ihre Erfolge zu wenig wahrgenommen wurden?

Henkel: Ich hatte dieses Gefühl nie. Im Gegenteil, in Hamburg hat Hockey einen Bekanntheitsgrad, den ich sehr angenehm finde. Ich war vorher Trainer beim Münchner SC. Wer sagt, Hockey wird in Hamburg nicht wahrgenommen, weiß nicht, was in München los ist. Wir bekommen hier Aufmerksamkeit und haben ein sehr informiertes und expertisenreiches Publikum.

Gab es Ihrerseits Überlegungen, komplett aus dem Sport auszuscheiden und etwas ganz anderes zu machen?

Henkel: Nein, ich wollte unbedingt im Vereinsleben bleiben, und eine Hockeypause brauche ich nicht. Seit vielen Jahren schaffe ich mir neben meinem Hauptberuf Platz für Projekte, die zeitlich begrenzt sind und eine Herausforderung und einen Ausgleich darstellen. Aber mein Privileg ist, dass ein Großteil meines Berufslebens dort stattfindet, wo meine Familie und viele meiner Freunde ihre Freizeit verbringen.

Gibt es einen Moment aus acht Jahren als UHC-Cheftrainer, den Sie als Ihr Highlight bezeichnen würden?

Henkel: Ich bin randvoll mit Erinnerungen an sportliche Erlebnisse, für die ich extrem dankbar bin. Aber es gibt einen Moment, in dem alles, was den Trainerberuf in einem Verein wie dem UHC so interessant macht, kumulierte. Vor ein paar Jahren waren wir beim Europapokal in Minsk. In der ersten Nacht verstarb die Großmutter einer Spielerin. Die war völlig aufgelöst, vor allem, weil sie nicht schnell zu ihrer Familie konnte. Erst haben die Mädels sie über den Tag hinweg aufgefangen, dann bin ich abends mit ein paar Bier zu ihr gegangen und wir haben auf dem Balkon über Minsk geschaut und die halbe Nacht über ihre Oma gesprochen. Wir haben die Trauerarbeit geleistet, die sonst ihre Familie erledigt hätte. Das war ein Moment, in dem ich wusste: Hier bist du richtig.

Vom Sommer an sind dafür andere zuständig. Ihr Nachfolger steht bereits fest, es ist Ihr aktueller Co-Trainer Johannes Persoon, 28 Jahre alt und selbst noch Bundesligaspieler in Großflottbek. Was spricht für ihn?

Henkel: Neben der Tatsache, dass er mich menschlich und fachlich überzeugt hat, ist viel wichtiger, dass ihm das in hohem Maße auch mit der Mannschaft gelungen ist. Die hat vehement eingefordert, mit ihm zu arbeiten. Er spielt schon jetzt eine maßgebliche Rolle.

Dann können Sie ja beruhigt abtreten. Haben Sie ein Bild im Kopf davon, wie Sie sich Ihren Abschied wünschen?

Henkel: Nein. Was ich in dem Moment, in dem es vorbei ist, fühlen werde, weiß ich nicht. Aber das ist auch nicht wichtig. Wichtig ist, dass sich die Mannschaft belohnt. Ich bin einfach nur froh, dass ich mich überhaupt auf dem Platz verabschieden kann. Im vergangenen Sommer war es ein realistisches Szenario, dass ich bei geschlossener Anlage das Trainerdasein beende. Diese Vorstellung hat mich irre gemacht. Deshalb bin ich heilfroh, dass ich diese Saison mit der Mannschaft zu Ende bringen kann. Hoffentlich zu einem maximal erfolgreichen Ende.