Hamburg. Berti Rauth, einer der anerkanntesten Trainer im Hockey, erklärt, welche positiven Wirkungen die Corona-Krise haben kann.

Hallensaison? Abgesagt. Training im Freien mit der Mannschaft? Untersagt. Für die mehr als 10.000 aktiven Hockeyspielerinnen und -spieler in Hamburg ist im zweiten Lockdown Verzicht angesagt. Vor allem Kinder und Jugendliche leiden darunter, sich nicht gemeinsam nach Regeln austoben zu können. Berti Rauth (62) plädiert dennoch für Gelassenheit im Umgang mit den Corona-Beschränkungen.

Warum, das erklärt der Ex-Bundestrainer, der beim Club an der Alster seit 2007 als Talententwickler arbeitet und als einer der anerkanntesten Techniktrainer der Hockeywelt gilt, im Abendblatt-Interview.

Herr Rauth, aus vielen Ecken im Sport hört man die Klage, Corona sorge besonders im Nachwuchs für eine verlorene Generation. Würden Sie dem zustimmen?

Berti Rauth: Wenn dieser Lockdown zwei oder drei Jahre dauern würde, dann schon, denn eine so lange Phase ohne Perspektive würde dazu führen, dass wir erdrutschartig Talente verlieren. Aber die Phase, die wir aktuell erleben, macht mir keine Angst davor, dass uns nachhaltige Verluste drohen. Das überragende Talent bahnt sich seinen Weg wie Wasser im Gebirge.

Das heißt, Sie sehen nicht die Gefahr, dass Kinder, die über Monate ihren Sport nicht ausüben dürfen, sich dauerhaft andere Beschäftigung suchen?

Natürlich gibt es diese Gefahr. Vor allem im motorisch wichtigsten Lernzeitraum, zwischen acht und zwölf Jahren, schadet eine fehlende Trainingsintensität. Was man dort anbahnt, davon profitieren Kinder bis ins Erwachsenenalter, und wenn es dort keine Kontinuität gibt, ist das Verfestigen von Mustern schwierig. Aber da sind wir Trainer gefordert gegenzusteuern.

Wie macht man das?

Wie viele andere auch, biete ich Einheiten per Zoom im Internet an. Ich habe aber gemerkt, dass ich dort wegkommen muss vom verschulten Erklären, denn davon haben die Kinder in der Schule schon genug. Deshalb verwende ich nur etwa ein Viertel jeder Zoom-Einheit darauf, technische Grundlagen zu erklären, und den Rest, die Kinder zu Eigenständigkeit anzuleiten und sie zu animieren, über kleine Aufgaben, die übers Internet zu lösen sind, gemeinsam in der Gruppe zu agieren. Das, was ihnen am meisten fehlt, ist das gemeinsame Erleben, das Sich-Messen in der Gemeinschaft. Deshalb ist es wichtig, ihnen zu zeigen, dass diese Gruppe noch da ist, auch wenn sie physisch gerade nicht beisammen sein darf.

Im ersten Lockdown eine interessante Beobachtung gemacht

Aber lebt nicht gerade Ihr Techniktraining davon, dass Sie Dinge vormachen, kontrollieren, vergleichen? Das fällt doch alles weg, wenn man sich nicht treffen darf.

Das ist richtig, und ich will gar nicht verhehlen, dass mir das fehlt und den Kindern sicherlich noch etwas mehr. Aber ich habe im ersten Lockdown eine interessante Beobachtung gemacht. Kinder und Jugendliche haben wieder angefangen, das freie Spielen für sich zu entdecken. Die haben geschaut: Was habe ich für Möglichkeiten, und was lässt sich daraus machen? Wir haben doch heute in vielen Vereinen einen Zustand der Überorganisation. Für alles ist gesorgt, alles wird vorgegeben. Das fällt jetzt weg und sorgt dafür, dass es eine Rückbesinnung auf das gibt, was Sport ursprünglich ausmacht: den Drang, sich zu bewegen, und die Lust, sich zu messen. Und das geht, zumindest für eine gewisse Zeit, auch mit Abstand.

In der Hamburger Hockeygesellschaft trifft es die wenigsten existenziell

Aber gibt es nicht auch viele Kinder, die dazu nicht mehr in der Lage sind? Die Animation brauchen und denen jetzt die Grund­lage dafür genommen wurde?

Ich würde es so formulieren: Es trifft, gerade in der Hamburger Hockeygesellschaft, die wenigsten existenziell. Was den Kindern genommen wird, ist ihre Komfortzone. Wenn das dazu führt, dass sie ihre Kreativität neu entdecken, dann ist das ein wichtiger Schritt zurück zu der Spielkultur, die die Vorstufe des organisierten Sports ist. Schauen Sie: Ich habe das Schlenzen früher nicht allein im Training gelernt, sondern weil ich es im Hinterhof mit meinen Freunden immer und immer wieder geübt habe. Und Kinder heute sind nicht anders, die machen die Tricks, die sie im Fernsehen bei ihren Stars sehen, egal in welcher Sportart, auch zu Hause nach. Dieser Drang, etwas zu lernen, kann auch im Lockdown umgesetzt werden.

Klingt fast so, als hielten Sie den Lockdown für etwas Gutes.

Das wäre vollkommen vermessen. Ich versuche nur, das Positive zu sehen. Nach dem ersten Lockdown habe ich festgestellt, dass der Hunger auf das Training viel größer war. Die Kinder haben gespürt, was ihnen gefehlt hat, und waren richtig froh, als es wieder möglich war. Dieser Motivationsschub ist etwas, das einen die Demut lehrt, um schätzen zu können, was wir in normalen Zeiten in unserer westlichen Welt alles haben. Der Leistungssport ist heute oft weit weg vom Ideal des Sports, der Begeisterung für Bewegung. Diese Begeisterung ist aber das, was man niemals verlieren darf. Die Rahmenbedingungen kann man oft nicht beeinflussen, aber wer daran zu sehr knabbert, geht kaputt. Wer Akzeptanz übt, schindet seine Seele weniger.

Was versuchen Sie persönlich aus dieser ungewöhnlichen Zeit zu lernen?

Dass es wichtig ist, eine gemeinsame Anstrengung zu unternehmen und gesellschaftliche Disziplin zu üben. Ich bewundere asiatische Kulturen, in denen die Gemeinschaft im Vordergrund steht und nicht so sehr das Individuum. Diesen Gemeinschaftssinn brauchen wir jetzt. Von uns allen fordert diese Pandemie eine Umstellung im Lernprozess, die ihre Zeit braucht. Wir müssen neue Wege suchen, um uns darauf einzustellen. Das ist ein schwieriger Prozess, der aber das große Ganze nicht zu Fall bringen, sondern der nur ein Umweg sein wird.