Hamburg. Die 17 Jahre alte Gymnasiastin feiert erste internationale Medaille. Weiblicher Nachwuchs fehlt – und die Vorbilder.

Ihren Höhepunkt dieser durchkreuzten Pandemie-Saison hatte sich Marla Sigmund eigentlich Mitte Juli gesetzt. Bei den deutschen Jugendmeisterschaften wollte die 17-Jährige im Einzelzeitfahren der U-19-Juniorinnen angreifen, ihren 2019 errungenen Titel auch im ersten Jahr in der nächsthöheren Altersklasse bestätigen. „Doch da kam mir mein Sturz dazwischen“, sagt das Radsporttalent der RG Hamburg. In Führung liegend kam sie von der Strecke ab, brach sich das Schlüsselbein der Schulter, musste wochenlang pausieren.

„Umso schöner, dass ich die Chance, auf einen zweiten Höhepunkt hatte und diese mit meiner ersten internationalen Medaille krönen konnte. Ich bin super glücklich“, sagt Sigmund. Bei der Bahn-EM im italienischen Fiorenzuola d’Arda fuhr die Zwölftklässlerin des Helene-Lange-Gymnasiums mit der deutschen U-19-Equipe in der 4000-Meter-Mannschaftsverfolgung zu Bronze.

Marla Sigmund kommt – wie die Familie – vom Triathlon

Im Einzel über 2000 Meter war Sigmund als Sechste beste Deutsche. „Dass Marla nach ihrem Sturz noch mal so zurückkommt, zeigt ihr Können, aber vor allem ihren Ehrgeiz“, sagt Vereinstrainer Leonard Diekmann. Vom Kopf und der Einstellung sei sie ihren Altersgenossen voraus und damit Hamburgs größtes Radsporttalent – als Einzige unter lauter Jungen.

Dass es im Norden nahezu keine Mädchen gibt, die leistungsmäßig Radfahren, offenbart einen Teufelskreis, so Sigmund: Die Vorbilder fehlen. „Wenn die Freundinnen alle etwas anderes machen, dann will man nicht die Einzige sein, die allein zum Radsport geht.“

Finanzielle Förderung vor allem durch die Familie

Ihr eigener Weg taugt dabei zur Nachahmung. Sigmund kommt wie die Familie vom Triathlon, „irgendwann aber haben wir alle festgestellt, dass uns das Radfahren am meisten Spaß macht“. Mutter Kathi Sigmund (51) fährt vor allem Cross für den Heimverein FC St. Pauli, Bruder Malte (15) ging ans Radsport-Internat nach Kaiserslautern und Marla, die Hamburg bis zum Abitur im Frühjahr nächsten Jahres nicht verlassen wollte, wechselte zur RG Hamburg. Dort trainiert sie auf der Straße, Bahn und im Kraftraum bis zu fünfmal die Woche, in der Bundesliga fährt sie für das Team Maloja aus Bayern.

Finanziell gefördert wird sie im bescheidenen Rahmen der Möglichkeiten: vom Radsport-Verband Hamburg, vom Führungskräfte-Fahrradverein Club TdC und vom Hamburger Sportbund im Rahmen der Frauen- und Mädchenförderung. Aber natürlich ist vor allem Marlas Familie gefordert, um den Sport und die Reisen zu Wettkämpfen zu finanzieren. „Eine Radsportkarriere ist eine Option“, blickt Sigmund auf 2021 voraus. Nach der EM-Medaille jetzt stehen aber Ferien an. Die verbringt sie nur allzu gern im Land ihres Saisonhöhepunkts an der italienischen Iseosee.