Hamburg. Trotz Corona lief bei den Hamburg European Open alles glatt. Nur das Happy End fehlte. Doch es gab noch eine frohe Botschaft.

Es gehört zum Wesen dieses wunderbaren Tennissports, dass spektakuläre Matches ein völlig unspektakuläres Ende haben können. Dass also der Grieche Stefanos Tsitsipas das Finale der Hamburg European Open am Sonntagnachmittag vor 2000 Zuschauern auf dem Center Court am Rothenbaum dadurch entschied, dass er seinem russischen Kontrahenten Andrej Rubljow bei dessen 6:4, 3:6, 7:5-Sieg den Titel mit einem Doppelfehler servierte, passte gar nicht in das Bild einer Turnierwoche, die unter besonderen Bedingungen gestartet war und mit dem besten Endspiel endete, das es hätte geben können.

Auf dem roten Sand standen nicht nur der amtierende ATP-Weltmeister Tsitsipas und der in der Weltrangliste acht Ränge hinter ihm auf Platz 14 geführte Vorjahresfinalist, die angesichts ihrer Positionen die aus Ansetzungssicht betrachtete beste Finalpaarung seit 2008 ermöglichten. Damals, im letzten Jahr Hamburgs mit Mastersstatus, hatten sich die beiden Branchenbesten Roger Federer (39/Schweiz) und Rafael Nadal (34/Spanien) duelliert.

Nein, es waren auch diejenigen Akteure ins Finale eingezogen, die über die gesamte Woche gesehen nachgewiesen hatten, dass ihnen der Titel am Rothenbaum wirklich etwas bedeuten würde. Die gezeigt hatten, dass sie trotz der nahenden French Open, die am Sonntag in Paris begannen, gewillt waren, in jedem Match um jeden Punktgewinn zu kämpfen.

Die zwei Seiten des Andrej Rubljow

Dass es nicht der Publikumsliebling war, der nach 2:19 Stunden den letzten Punkt machte, war nicht einmal ein Schönheitsfehler, denn mit Rubljow als Titelträger konnten sich die Hamburger Tennisfreunde ebenso arrangieren wie Turnierdirektorin Sandra Reichel, die dem Russen nach dessen Finalniederlage 2019 gegen den Georgier Nikolos Bassi­laschwili noch gewünscht hatte, er möge 2020 mehr Glück haben. Daran erinnerte der Sieger in seiner Dankesrede auf dem Platz mit einem schelmischen Lachen.

Es ist nicht ganz einfach, die beiden Bilder zusammenzubringen, die Andrej Rubljow, der im Halbfinale am Sonnabend den Norweger Casper Ruud (21/Nr. 30) 6:4, 6:2 abfertigte, in dieser Woche abgab. Da ist einerseits dieser schüchterne Junge, der in Pressegesprächen mit seiner – soll man es wirklich Frisur nennen? Nun ja, der mit seinem Wuschelkopf so wirkt wie ein Teenager, der nach vorm Computer durchgezockter Nacht um 14 Uhr zum verspäteten Sonntagsfrühstück schleicht.

Und dann ist da dieser Wirbelwind, der auf dem Platz seine Emotionen herausschreit und mit seinen gnadenlosen Vorhand-Peitschenhieben die Statik eines Tennismatches zerbröselt. Der zwar nicht das Herz, aber das Blut eines Boxers in sich trägt und mit seiner Gewalt von der Grundlinie zeigt, dass die Schlaghärte seines Vaters, der Faustkämpfer war, in der Familie geblieben ist.

Tsitsipas kündigt Rückkehr für 2021 an

Tsitsipas, der sich im Halbfinale 7:5, 3:6, 6:4 gegen den Chilenen Cristian Garin (24/Nr. 22) durchgesetzt hatte, hatte vor dem Endspiel gesagt, derjenige würde den Titel holen, der härter arbeite. Als er 5:3 führte im dritten Satz, schien ihm genau jene Entschlossenheit verloren zu gehen, die ihn bis dato durchs Turnier getragen hatte. „In unserem Sport geht es ums Kämpfen. Das hat Andrej bis zum Ende getan, also hat er verdient gewonnen“, sagte der Unterlegene.

„Ich hatte beim Stand von 3:5 nichts mehr zu verlieren, das hat es mir leichter gemacht. Aber es war erst der Anfang unserer Rivalität. Wir werden noch einige Schlachten haben, und ich hoffe, dass ich auch noch einige davon gewinnen kann“, sagte der neue Champion. Es war sein fünfter Titel auf der ATP-Tour, aber der erste bei einem 500er-Turnier, der ihn um 500 Weltranglistenpunkte und rund 79.000 Euro Preisgeld reicher macht. Zeit, diesen Triumph zu genießen, blieb keine. Noch am Nachmittag flog Rubljow nach Paris. „Aber mir ist das lieber, als wenn ich hier früh verloren und viel Zeit gehabt hätte“, sagte er.

ATP-Weltmeister Stefanos Tsitsipas steht die Enttäuschung über die Finalniederlage am Rothenbaum ins Gesicht geschrieben.
ATP-Weltmeister Stefanos Tsitsipas steht die Enttäuschung über die Finalniederlage am Rothenbaum ins Gesicht geschrieben. © dpa | Daniel Bockwoldt

Ohne Frage wird es das Duell der beiden noch öfter geben. Sie sind beide 22 Jahre alt und zählen zu der Generation, die sich warmläuft, um nach der Ära der Federers, Nadals und Novak Djokovics (33/Serbien) Grand-Slam-Titel zu gewinnen. Am Rothenbaum standen in diesem Jahr erstmals seit 2002 drei Spieler im Halbfinale, die jünger als 23 waren. Sandra Reichel sagte deshalb, sie wolle auch künftig dem Hamburger Publikum die Stars der Zukunft präsentieren. „Eine Lehre aus der Corona-Zeit ist, dass das Wesentliche zählt. Also mehr Sport und weniger Event“, sagte sie. Tsitsipas und Rubljow erklärten bereits, 2021 wieder am Rothenbaum aufschlagen zu wollen.

Der Russe könnte dann auch in Augenschein nehmen, was er am Sonntag noch nicht beantworten konnte. Das Logo der Hamburg European Open, das auch den Siegerpokal verziert, verändert sich von Jahr zu Jahr, es zeigt immer in einer stilisierten gelben Linie den Weg der Filzkugel im letzten Ballwechsel. Wie es nach einem Doppelfehler aussehen wird, ist eine der vielen Fragen, die für 2021 noch offen sind.