New York. An diesem Montag starten die US Open. Die Tennis-Szene beschäftigt sich derzeit aber vor allem mit ihrem Star Novak Djokovic.

Es muss eine merkwürdige Lektüre gewesen sein für die große Tennis-Familie, die Story, die am vorletzten Donnerstag in der „New York Times“ veröffentlicht wurde. Novak Djokovic, der Nummer-eins-Spieler der Welt, meldete sich da vor den US Open zu Wort, ein Korrespondent hatte via Videoschaltung mit ihm gesprochen. Djokovic sei auf der Terrasse seines angemieteten Hauses zu sehen gewesen, gerade sei er von einem Sonnenbad zurückgekommen, war zu lesen.

Und auch dieser Satz stand da schwarz auf weiß, Originalzitat Djokovic: „Die Bäume hier, die Ruhe, diese Umgebung ist ein Segen. Ich bin dankbar, weil ich das Hotel gesehen habe, in dem die Mehrheit der Spieler wohnt…Es ist hart für die Spieler, nicht ihr Fenster öffnen zu können, in einem kleinen Raum zu sein.“ Er wolle „ja nicht arrogant klingen“ bei alledem, sagte Djokovic. Doch er hätte wissen können oder sollen, wie solche „Ich will ja nicht“-Sätze empfunden werden.

Djokovics Putschversuch gegen die ATP

Man muss diese kleine Vorgeschichte kennen, um etwas umfassender auf das zu blicken, was sich an diesem letzten Wochenende vor dem New Yorker Grand Slam-Start ereignete. Und das war nichts anderes als eine von Multimillionär Djokovic maßgeblich mitinitiierte Revolte gegen die eigene Spielerorganisation ATP, eine Art Putsch gegen das bisherige System und Establishment.

Gemeinsam mit dem Kanadier Vasek Pospisil (ATP 92) und dem US-Riesen John Isner (ATP 21) rief der exklusive Hausbewohner Djokovic die Professional Tennis Players Association ins Leben, er und Pospisil, die ehernen Verfechter des Solidaritätsgedankens, erklärten sich schnell und ohne Umwege zu Gründungs-Copräsidenten. Besonders pikant und brisant: Djokovic und Pospisil waren zuvor Mitglieder im sogenannten Spielerrat der ATP gewesen, Djokovic war sogar der Chef der Interessenvertretung.

Ist der Zeitpunkt für Djokovics Pläne Kalkül?

Das Timing des Aufstands wirkte befremdlich, unmittelbar vor den ersten Ballwechseln des Geister-Grand Slams im Big Apple, in der kritischen Lage des Tennissports. Aber nicht wenige glaubten in der Branche an einen lange und sorgfältig geplanten Coup, und zwar keinesfalls zufällig in der Abwesenheit der Großmeister Roger Federer und Rafael Nadal.

Geraune und Gerüchte über die Gründung einer Art Spielergewerkschaft oder -vereinigung hatte es ja schon länger gegeben, aber um eine mögliche Abspaltung mit all ihren unabsehbaren Konsequenzen zu verhindern, waren Federer und Nadal als moderate Stimmen wieder dem Spielerrat beigetreten. In New York nun, im Corona-August 2020, nutzte Djokovic die Gunst der Stunde ohne Anwesenheit seiner schärfsten Gegenspieler aus – zweier Rivalen längst nicht mehr nur auf dem Centre Court.

Djokovic und Co. blies allerdings selten heftiger Gegenwind ins Gesicht, in einem gemeinsamen Statement aller Grand Slam-Turniere sowie der ATP, der WTA (Frauenorganisation) und des Weltverbandfs ITF wurde die „Einheit gerade jetzt und mehr denn je“ beschworen. Der Tennissport müsse in schwerer Zeit „zusammenkommen“, man unterstütze die ATP als Vertretung der männlichen Profis.

Und Federer und Nadal wandten sich sogar in persönlichen Statements an die Tenniswelt, sprachen davon, es sei „nicht der Moment für Uneinigkeit“, für diese Abspaltung. Andy Murray, eine einflussreiche Figur, bemängelte zudem, dass die Frauen nicht an der Initiative beteiligt seien.

Wie Djokovic abseits des Platzes gegen Federer und Nadal kämpft

Die Verhältnisse im Profitennis sind seit jeher kompliziert, vor allem, weil die Profis Anteilseigner der gemeinsamen Firma ATP sind. Jeweils 50 Prozent der ATP gehören den Turnieren bzw. den Spielern. Das führte in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt zu Kontroversen, zuletzt aber immer öfter zu regelrechten Feindseligkeiten. Die Profis monierten, sie bekämen nicht genügend Einnahmen aus den Geldtöpfen. Sie warfen der ATP, namentlich dem bis Ende letzten Jahres amtierenden Boss Chris Kermode, vor, zu freundlich zu den Turnieren und deren Besitzern zu sein.

Kermode wurde gestürzt, unter sehr tätiger Mithilfe von Djokovic gegen den Willen von Federer und Nadal. Ein neuer Mann kam, der Ex-Profi Andrea Gaudenzi aus Italien, gehandelt als Spezi und Vertrauter von Djokovic. Jedenfalls als einer, der sich Wünschen von Spielerratschef Djokovic sehr offen gegenüber zeigt.

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Nun inszeniert ausgerechnet Djokovic mit dem Ränkespiel hinter den Kulissen die nächsten Schlagzeilen abseits des eigentlichen Sports. Der Serbe ist zwar der unangefochtene Topmann der Branche, ungeschlagen noch in dieser eigentümlichen Saison, er gewann ja am Samstag auch das Vorbereitungs-Masters in New York im Finale gegen den Kanadier Milos Raonic. Aber er hat das Tennis auch um diverse Eklats und Eskapaden in der Zeit der globalen Pandemie bereichert.

Im Frühjahr hatte der 33-Jährige zwar prinzipiell Gutes im Sinn mit seiner Adria Tour, aber was am Ende des völlig missglückten Experiments mit zu vielen Zuschauern und vielen Infektionen schwerer wog, der unglaubliche Leichtsinn oder die fatale Naivität, das war kaum auszumachen.

Lobbygruppe mit Novak Djokovic

Es war in jedem Fall der GAU für das Tennis in einem Moment, in dem überall um den Neustart gerungen wurde. Die dilettantische Organisationsleistung hielt Djokovic freilich später nicht davon ab, den US Open-Veranstaltern wieder und wieder die Frage zu stellen, ob man diese oder jene Vorschrift nicht aufheben könne. In der Londoner „Daily Mail“ wurde daraufhin beinahe Djokovics Geisteszustand infrage gestellt, schließlich habe er doch selbst die „schlimmste Turnierregie aller Zeiten“ innegehabt.

Und jetzt auch noch die ATP-Krise, die Gründung einer Lobbygruppe mit Djokovic als Drahtzieher. Untätig seien die ATP-Granden in den letzten Monaten gewesen, nichts habe man getan, um Events auf die Beine zu stellen. Außerdem habe es keinen Gehaltsverzicht der Bosse gegeben, heißt es aus dem Kreis der Abtrünnigen. Was sie genau anders oder besser machen wollen, wie sie ihre Interessen durchsetzen wollen, ist bisher nicht schlüssig zu erkennen.

Am Sonnabend posierten die Mitglieder der neuen PTPA-Gruppe auf dem Gelände der US Open für ein gemeinsames Foto, es waren gut 60 Spieler. Gaudenzi, der ATP-Chef, reagierte derweil scharf, warnte, die neue Interessenvertretung könne nicht erwarten, von den Turnieren anerkannt zu werden: „Die Konsequenzen sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen.“ Für die ATP bedeute das Vorgehen Djokovics und seiner Mitstreiter eine „existenzielle Bedrohung.“