Lissabon. Englands Presse huldigt Gnabry in höchsten Tönen. Der Deutsche erweist sich zunehmend als würdiger Nachfolger von Arjen Robben.

Serge Gnabry nahm Anlauf von rechts, er bog nach links ab, rannte am ersten, am zweiten und am dritten Gegenspieler vorbei, ein vierter und ein fünfter eilten hinzu – doch die kamen zu spät: Der Stürmer von Bayern München hatte schon Maß genommen, mit seinem linken Fuß feuerte er den Ball von der Strafraumgrenze ins Tor. Es war eine Szene, wie sie bei Spielen des deutschen Rekordmeisters in den vergangenen zehn Jahren häufig zu sehen war: von Arjen Robben.

Den ersten Treffer von Gnabry (18.) im Halbfinale der Champions League gegen Olympique Lyon (3:0) von Gnabry könne man „guten Gewissens als Weltklasse bezeichnen“, behauptete Vorstand Oliver Kahn. „Das sind Dinge, die er auch im Training oft macht“, erzählte Trainer Hansi Flick und ergänzte gewohnt unaufgeregt: „Serge hat uns mit einer Einzelleistung in Führung gebracht. Das hat uns Sicherheit gebracht.“

Gnabry und Lewandowski: Historisches Duo

Vor Gnabrys Beruhigungspille hatten die Münchner gerade eine ziemlich brenzlige Anfangsphase überstanden – inklusive eines Pfostenschusses von Karl Toko Ekambi 59 Sekunden zuvor. „Wir hatten am Anfang ein bisschen Glück, aber dann haben wir gut reingefunden“, berichtete Gnabry. Sein erster Treffer half bei der Selbstfindung entscheidend mit, sein zweiter (33.) aus der Kategorie „Abstauber“ machte den Weg frei ins Endspiel. Robert Lewandowski setzte den Schlusspunkt (88.).

Für Lewandowski war es bereits der 15. Treffer in dieser Champions-League-Saison, nur Cristiano Ronaldo war 2013/2014 erfolgreicher (17). Doch auch Gnabry hat nun schon neunmal getroffen in seinen neun Einsätzen und gemeinsam mit Lewandowski damit mehr Tore (24) in einer Saison erzielt als je ein Duo zuvor. In der Königsklasse habe Gnabry „viele Sahnetage“, sagte Flick und betonte: „Ich bin der festen Überzeugung, dass er noch lange nicht am Ende seiner Entwicklung ist.“

Gnabry wurde von Bromwich abgekanzelt

Eine Entwicklung, die noch vor vier Jahren nicht unbedingt abzusehen war. In der Saison 2015/2016 hatte der FC Arsenal Gnabry zu West Bromwich Albion ausgeliehen, nach fünf Monaten und einer Versetzung in die zweite Mannschaft schoben ihn die Baggies im Januar 2016 aber vorzeitig wieder ab. Der damalige Teammanager Tony Polis urteilte: „Serge ist hierhergekommen, um zu spielen, aber aus meiner Sicht hat er derzeit nicht das Niveau, um Spiele zu bestreiten.“

Der FC Arsenal transferierte Gnabry im Sommer 2016 für fünf Millionen Euro Ablöse zu Werder Bremen. Im Jahr darauf zahlte der FC Bayern acht Millionen für den gebürtigen Stuttgarter, ließ ihn eine Saison lang bei der TSG Hoffenheim reifen – und darf sich jetzt auf die Schultern klopfen.

Pressestimmen: Gnabry "wie ein Dietrich"

Auch Englands Presse huldigt Gnabry inzwischen längst in höchsten Tönen. Der "Mirror" etwa schrieb am Donnerstag von einer "rücksichtslosen Leistung von Serge Gnabry".

Der italienische "Corriere della Sera" würdigte Münchens Doppeltorschützen indes mit einem etwas weniger schmeichelfhat anmutenden Vergleich mit einem "herausragenden Frettchen".

Pressestimmen zu Bayern gegen Lyon (3:0)

Le Parisien (Frankreich)

„Am Mittwochabend gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht für den französischen Fußball. Die Schlechte ist das Ausscheiden von Lyon (...). Die gute Nachricht ist das, was uns erwartet - ein Fußballgipfel, eine Traumbesetzung, ein PSG gegen Bayern München am Sonntag in Lissabon.“

L'Équipe (Frankreich)

„Lyon hat zu viele gute Gelegenheiten verpasst, um den großen Favoriten der Champions League aus der Ruhe zu bringen. Auch wenn es kein rein französisches sein wird, wird das Finale am Sonntag im Luz-Stadion zwischen Bayern München und PSG jedoch ein "königliches" werden.“

Le Figaro (Frankreich)

„OL verlässt Lissabon nicht ohne Bedauern und Enttäuschung. Aber auch mit Stolz. Es passiert nicht jeden Tag, dass sie (Lyon) zwei große Namen aus dem Rennen werfen, um das Halbfinale zu erreichen und dann sogar einen FC Bayern München zum Zittern zu bringen, der 19 Siege in Folge verbucht hat.“

TuttoSport (Italien)

„Bayern ist eine Gnabry-Schau! Die Bayern haben von Beginn der Partie an versucht, Druck auszuüben, doch nicht immer schienen sie die Situation völlig unter Kontrolle zu haben.“

Gazzetta dello Sport (Italien)

„Lewandowski ist eine Torjäger-Maschine. Im Finale geht es um den Rekord von CR7. (...) Der Bayern-Mittelstürmer steht bei 15 Toren in dieser Champions League (55 in der Saison): Cristianos Rekord (17 in 2013/14) ist in Gefahr. Und das Duo mit Gnabry ist schon jetzt das effektivste, das je in einer Wettbewerbsausgabe agierte.“

Corriere della Sera (Italien)

„Bayern skrupellos auf dem Weg ins Finale“„Er hat weder die Qualität von Neymar noch die Kraft von Mbappé, aber Serge Gnabry (...) ist wie eine Art Dietrich (...). Er ist wie ein herausragendes Frettchen...“

Mirror (Großbritannien)

„Die deutschen Giganten haben Lyon mit einer rücksichtslosen Leistung von Serge Gnabry für ihre Verschwendung bestraft.“

Guardian (Großbritannien)

„Die Bayern-München-Maschine rollt weiter. Lyon hatte seine Momente, vor allem am Anfang, und sie durften das Gefühl bekommen, ein paar Bayern-Angriffe gut abgewehrt zu haben. (...) Aber wenn die Gefahr aus allen Winkeln kommt, ist es eine große Herausforderung, alles abzuwehren. Eine zu große Herausforderung. Gegen diese Bayern-Mannschaft ist es unvermeidlich, dass jemand durchkommt, und es war Serge Gnabry, der Lyon einen Schritt vor dem ersten europäischen Finale besiegte.“

BBC Sport (Großbritannien)

„Es ist schwer, für diese Bayern-Mannschaft neue Superlative zu finden. (...) Die deutschen Giganten haben am Anfang Glück gehabt, aber sobald sie in Führung gegangen sind, war klar, dass die Partie nur noch in eine Richtung läuft.“

The Independent (Großbritannien)

„Sie sind aus so vielen Perspektiven nahezu perfekt. Niemand hat jemals ein Champions-League-Finale in besserer Form erreicht ... wenn man es überhaupt so nennen kann. Das fühlt sich an, als würde es über die Form hinausgehen. So gut ist dieses Team einfach.“

Pravo (Tschechien)

„Die Walze von München hat Lyon überrollt.“

MF Dnes (Tschechien)

„Bayern bleibt dominant und hungrig auf Erfolge. Die Münchner greifen nach dem Triple und neuen Rekorden.“

Lidove noviny (Tschechien)

„Der Held des Spiels war Serge Gnabry. Der flinke und geschickte Flügelspieler schoss zwei Tore und entschied das Halbfinale damit praktisch bereits vor der Halbzeit.“

LaLibre (Belgien)

„Die Maschine läuft. Wild. Gefräßig. Entschlossen, nichts auf der Strecke zu lassen. Vor allem nicht die Vorstellung eines Triples, die im November noch völlig albern war, aber seitdem ein Ziel geworden ist, das nach jedem Spiel der Bayern, die 28 ihrer 29 letzten Begegnungen gewonnen haben, näher kommt.“

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Umbruch mit Gnabry, Kimmich und Goretzka

„Gnabry spielt bei mir immer“, sagt Bundestrainer Joachim Löw über den Stürmer, der in 13 Länderspielen schon 13-mal getroffen hat. Und Kahn betont: „Er ist ein Spieler, der sich in den letzten Monaten weiterentwickelt hat. Seine Leistungskurve geht von Jahr zu Jahr nach oben.“

Beim FC Bayern steht Gnabry stellvertretend mit anderen Spielern des Jahrgangs 1995 wie Kumpel Joshua Kimmich oder Leon Goretzka für einen gut gelingenden Umbruch. Ein Jahr hat er in München noch mit Robben zusammengespielt (2018/19), er erzielte in 30 Bundesligaspielen zehn Treffer. Nun erweist er sich zunehmend als würdiger Nachfolger. Den „Robben“ hat Gnabry auch schon drauf.