Megève. Namhafte Profis klagen über gravierende Sicherheitsmängel. Ein deutscher Topfahrer wird von einem Auto abgeräumt.

Belgiens Wunderknabe Remco Evenepoel flog in der Lombardei kopfüber von einer Brücke, Maximilian Schachmann wurde von einem Auto über den Haufen gefahren, Emanuel Buchmann landete nach einem Massencrash bei der Tour-Generalprobe im Krankenhaus: Zehn Tage nach dem Horrorunfall von Fabio Jakobsen erschüttern wieder schlimme Stürze den Profi-Radsport, der im Fall von Jakobsens Teamkollegen Evenepoel erneut an einer Tragödie vorbeischlitterte. Der erste Profisieg von Buchmann-Helfer Lennard Kämna bei der Dauphine geriet da in den Hintergrund.

„Durch Emus Sturz ist das ein bittersüßer Erfolg für mich. Ich hoffe, dass er okay ist – wir brauchen ihn für die Tour“, sagte der 23 Jahre alte Kämna, der bei der schweren Bergankunft in Megeve für seinen Kapitän Buchmann in die Bresche sprang und als Solist triumphierte: „Eigentlich sollte ich die Relaisstation für Emu sein. Er sollte am vorletzten Anstieg angreifen.“

Emanuel Buchmann (M.) vom Team von Bora-hansgrohe ist nach einem Sturz auf der vierten Etappe aus der Dauphiné-Rundfahrt ausgestiegen.
Emanuel Buchmann (M.) vom Team von Bora-hansgrohe ist nach einem Sturz auf der vierten Etappe aus der Dauphiné-Rundfahrt ausgestiegen. © dpa | Anne-Christine Poujoulat

Dazu kam es nicht: Buchmann war nach 29 km bei der grenzwertigen Abfahrt vom Col de Plain Bois gestürzt und musste aufgeben. Im Krankenhaus gab es für die deutsche Tour-Hoffnung Entwarnung: Nichts ist gebrochen. „Emanuel hat jedoch starke Prellungen im Rücken- und Gesäßbereich. Er kann kaum laufen“, sagte der sportliche Leiter Enrico Poitschke

Schachmann wird von Autofahrerin geschnitten

Bei der Tour (ab 29. August) muss Buchmann eventuell auf einen Tophelfer verzichten: Der zuletzt bärenstarke Schachmann erlitt bei der vom Dänen Jakub Fuglsang gewonnenen Lombardei-Rundfahrt einen Schlüsselbeinbruch. Der Tourstart ist für den Paris-Nizza-Sieger in großer Gefahr, auch wenn Schachmann nicht operiert werden muss. „Zum Glück ist es 'nur' das Schlüsselbein. Es gibt Tage, da hat man sein Schicksal nicht selbst in der Hand“, sagte Schachmann mit Blick auf groteske Sicherheitsmängel beim Traditionsrennen.

Eine Autofahrerin war kurz vor dem Ziel vor Schachmann auf die Strecke gefahren und hatte den Berliner rücksichtslos abgeräumt. Schachmann quälte sich schimpfend und als Siebter ins Ziel, die Polizei ermittelt.

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Noch schlimmer erwischte es Senkrechtstarter Evenepoel, dem bei seinem lebensgefährlichen Abflug alle Schutzengel beistanden. Der 20-Jährige, der sein erstes Radsport-Monument bestritt, rammte auf der tückischen Abfahrt vom Muro di Sormano den ungesicherten Vorsprung einer Brückenmauer und stürzte fast zehn Meter tief in eine Schlucht. Nach bangen Minuten wurde Evenepoel geborgen – mit einem Beckenbruch kam er noch glimpflich und vor allem lebendig davon.

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„Remco hat sich bei mir entschuldigt. Ich sagte: Halt die Klappe! Du bist am Leben, nur das zählt“, meinte Quick-Step-Teamchef Patrick Lefevere: „Ich habe mehrmals dem Weltverband klarmachen wollen, dass solche Abfahrten einfach nicht möglich sind, aber nichts ändert sich.“

Der Schock nach dem Zielsprint-Drama um den niederländischen Meister Jakobsen, der am 5. August bei der Polen-Rundfahrt in die Absperrung geknallt war, steckte Lefevere noch in den Knochen: „Wir hätten zwei tote Fahrer haben können, da denkst du nicht mehr über Rennen und Siege nach.“

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Die Geschehnisse lassen alle Alarmglocken schrillen. Bei der Dauphiné-Abfahrt, die Buchmann zum Verhängnis wurde, stürzte auch Jumbo-Visma-Star Steven Kruijswijk schwer, wenig später erwischte es seinen Kapitän Primoz Roglic heftig. Kruijswijk gab mit ausgekugelter Schulter auf, Tour-Favorit Roglic trat trotz Gesamtführung am Sonntag nicht mehr an.

Profis nehmen aus Protest Beine hoch

Ihre Teamkollegen schäumten angesichts der Sicherheitsmängel bei der vom Tour-Veranstalter A.S.O. organisierten Dauphiné. „Die Abfahrt war lebensgefährlich, ein Ziegenpfad mit Schotter. Eine Schande, dass so was im modernen Radsport möglich ist“, schimpfte Ex-Giro-Sieger Tom Dumoulin. Der deutsche Routinier Tony Martin fragte: „Was muss noch alles passieren, bis sich etwas ändert?“

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Auch Sprint-Routinier André Greipel ärgerte sich: "Das ist von den Organisatoren respektlos gegenüber all den Fahrern. Die Gesundheit zu riskieren, um am Ende der Abfahrt das Ergebnis zu haben, dass zwei Kandidaten für das Gesamtklassement raus sind", schrieb der 38-Jährige bei Twitter.

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Am Sonntag gab es, wie von Greipel gefordert, erste Konsequenzen bei der Dauphiné: Die Profis legten aus Protest die ersten zehn Abfahrtskilometer nach dem Start neutralisiert zurück, weil das Renntempo zu gefährlich gewesen wäre – auch hier war es ein „Ziegenpfad“.

Weltverband UCI kündigt Untersuchung an

Eigentlich sollte die fünftägige Tour-Generalprobe etwas Klarheit bringen, doch plötzlich ist die Favoritenfrage für die Tour de France offener denn je. Ausgerechnet Titelverteidiger Egan Bernal aus Kolumbien, der vor der vierten Etappe am Samstag wegen leichter Rückenprobleme ausgestiegen war, könnte nach dem Aus von Roglic und Buchmann nun plötzlich der große Gewinner sein.

Die UCI kündigte Untersuchungen an. "Veranstaltungen der UCI WorldTour erfordern geschlossene Straßen an der gesamten Strecke", hieß es vom Weltverband, der eine Beschwerde gegen den Veranstalter erwägt. "Mehr Pech kann man nicht haben. Wer rechnet schon damit, dass bei einem WorldTour-Rennen auf einmal ein Auto auf der Strecke auftaucht. Trotz allem ist Max sehr gefasst und zuversichtlich", sagte Zemke. Schachmann sollte bei der am 29. August in Nizza beginnenden Frankreich-Rundfahrt eigentlich ein wichtiger Helfer für Teamkapitän Emanuel Buchmann sein.