Hamburg. Training mit Abstand ist in Corona-Zeiten das Gebot. Verband und Vereine in Hamburg hoffen auf baldige Lockerungen.

Sollten sie beim TH Eilbeck angesichts der Corona-Krise nach Einsparpotenzial suchen: Das Reinigungspersonal für die Judohalle an der Ritterstraße dürfte auf der Streichliste ganz oben stehen. Immer wieder fordert Slavko Tekic an diesem heißen Juninachmittag, an dem das Abendblatt Trainingsgast ist, die 14 Mitglieder seiner U-12-Trainingsgruppe dazu auf, Fußfeger anzusetzen. „Fegen, fegen, fegen“, ruft der 50 Jahre alte Serbe, der sowohl beim THE als auch im Hamburger Judoverband (HJV) als Cheftrainer angestellt ist. Und dann wird gefegt, mit dem linken Fuß, mit rechts, und immer mit dem vorgeschriebenen Abstand. Der ist durch rote Matten vorgegeben, die innerhalb des grauen Bodenbelags hervorstechen und den Sportlerinnen und Sportlern als Begrenzungsmarke dienen.

Judo auf Abstand – was absurd klingt angesichts der Tatsache, dass wohl kaum ein Sport im Wettkampfbetrieb intensiveren Körperkontakt erfordert, ist für Hamburgs Judoka seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie gelebter Alltag. Während in anderen Bundesländern Training mit Vollkontakt wieder möglich ist, gilt hier weiterhin die Abstandsregel. Und das wohl noch bis nach den Sommerferien. „Ich habe eine Sondergenehmigung beantragt, um wenigstens mit den Kaderathleten wettkampfnah trainieren zu können. Aber solange das nicht erlaubt ist, halten wir uns an alle Vorschriften“, sagt Tekic.

Wie schwer es ihm und den Judoka fällt, ist nicht zu übersehen. Kraft und Athletik können im Judo individuell trainiert werden. Aber die spezifischen Fähigkeiten, die Kraftausdauer im Kampf und die Wurf- und Hebeltechniken, sind nur über den Partnerkontakt zu verbessern. Den meisten Spaß haben die U-12-Kinder, als sie mittels elastischer Therabänder in Zweiergruppen Würfe simulieren. „Judo ohne Kontakt ist eigentlich Unsinn“, sagt Tekic, „aber wir müssen Angebote machen, damit unsere Sportlerinnen und Sportler in Form bleiben und nicht die Lust verlieren.“

Judo-Sparte hat während der Corona-Krise sogar Mitglieder gewonnen

Bislang hat das überraschend gut funktioniert. „Wir sind die einzige Sparte im Verein, die während der Krise sogar Mitglieder gewonnen hat“, sagt Judo-Abteilungsleiter Patrick Strutz. Ähnliche Erfahrungen hat Sascha Costa gemacht, der beim Eimsbütteler TV die Judosparte führt. „Wir haben schnell und kreativ auf alle Anordnungen reagiert und dadurch ein durchweg gutes Angebot für unsere Mitglieder machen können“, sagt der 34-Jährige. Während des Lockdowns gab es über die Plattform „ETV@Home“, die der Verein im Zuge seines Digitalisierungskonzeptes aufgebaut hat, Trainingsvideos. Ein Service, den auch Tekic seinen Schützlingen bot.

Nachdem die Lockerungen Sport im Freien erlaubten, trainierten die ETV-Judoka auf den vereinseigenen Anlagen, im THE wurden die Übungen in den Mühlenteichpark verlegt. Seit Pfingsten dürfen die Hallen wieder benutzt werden, allerdings in kleineren Gruppen und mit Abstand, was bedeutet, dass mehr Trainerinnen und Trainer benötigt werden, um die geteilten Gruppen anzuleiten, und dass weniger Aktive trainieren können. Zudem musste ein Anmeldesystem entwickelt werden. „Noch mussten wir niemanden, der Judo machen wollte, abweisen“, sagt Costa. 30 Wochenstunden bietet der ETV bereits wieder an, und dieses Angebot soll auch in den Sommerferien aufrechterhalten werden, die normalerweise Pausenzeit sind. „Dadurch dass viele ihren Urlaub aufgebraucht haben oder nicht wegfahren, rechnen wir mit erhöhtem Bedarf, und dem wollen wir Rechnung tragen“, sagt Costa.

Wird die Krise für die deutschen Judoka zum Vorteil?

Die Bundeskaderathleten, die für das Hamburger Judo-Team in der Bundesliga auf die Matte gehen, trifft das Kontaktsportverbot in Hamburg kaum, was darin begründet liegt, dass sie aktuell in anderen Bundesländern trainieren. Topkämpfer wie Dominic Ressel (26/Klasse bis 81 kg), Anthony Zingg (26/bis 73 kg) und Moritz Plafky (24/bis 60 kg) sind am Bundesstützpunkt in Köln aktiv, Nachwuchstalent Yerrick Schriever (19/bis 66 kg) in München. Lediglich Superschwergewichtshoffnung Losseni Koné (19) verbrachte die vergangenen Monate in Hamburg. „Mit ihm habe ich individuell trainiert, sodass er auch keine allzu großen Nachteile hat“, sagt Tekic.

Coronavirus – die Fotos zur Krise

Überhaupt ist der Chefcoach überzeugt davon, dass die Krise für die deutschen Judoka zum Vorteil werden wird. Tekic ist mit Trainern und Sportdirektoren diverser Nationen im Kontakt, in denen länderweit kein gemeinsames Training möglich ist und sogar die Topathleten nur individuell in Heimarbeit üben dürfen. „In Deutschland wird disziplinierter gearbeitet als in vielen anderen Ländern. Deshalb glaube ich, dass unsere Athleten ihre Defizite aufgearbeitet haben und gestärkt sein werden, wenn die Wettkampfsaison wieder startet“, sagt er.

Grand Prix in Zagreb am 18. September

Geplant ist das für den Frühherbst. Am 18. September steht der Grand Prix in Zagreb (Kroatien) auf dem Programm, vom 8. bis 10. November soll in Prag (Tschechien) die EM stattfinden. Die Bundesliga plant, den deutschen Meister Mitte November in einem Finalturnier innerhalb eines Wochenendes zu ermitteln. „Ich glaube, dass es fünf bis sechs Wochen wettkampfnahes Training braucht, bis man auf das Niveau kommt, das man vor Corona hatte“, sagt Tekic. Ob die internationale Judoszene bis zu den in den Sommer 2021 verschobenen Olympischen Spielen in Japans Hauptstadt Tokio in die Vor-Corona-Normalität zurückfindet, weiß auch er nicht einzuschätzen. Vor allem die Reisebeschränkungen bereiten ihm Sorgen. Der deutsche Verband hat die Olympia-Nominierung noch einmal geöffnet, bis Ende Mai 2021 haben alle Athleten nun die Chance, weitere Punkte zu sammeln.

„Es ist für alle eine Ausnahmesituation“, sagt Sascha Costa, „aber Verlierer finden Ausreden, Gewinner finden Lösungen.“ Das dürfte auch in den kommenden Wochen das Motto für die Hamburger Judoka bleiben.