Dortmund. BVB-Coach hatte nach der vorentscheidenden Pleite im Titelkampf gegen Bayern München Rücktrittsgedanken erahnen lassen.

Erst sorgte Lucien Favre für große Aufregung, war aber bereits einen Tag später um Schadensbegrenzung bemüht. Erschrocken über die große Resonanz für seine kryptischen Aussagen direkt nach dem Titel-Knockout im Ligagipfel gegen den FC Bayern München (0:1), dementierte der Dortmunder Fußball-Lehrerumgehend Spekulationen über seinen vorzeitigen Abschied: "An Aufgeben denke ich überhaupt nicht. Gestern waren wir alle enttäuscht, meine Worte im Interview direkt nach dem Spiel scheinen aber vielfach falsch verstanden worden zu sein."

Nur wenige Stunden später wurde er sogar noch deutlicher und schwor dem BVB via Sky die Treue: "Ich werde weitermachen. Ich habe einen Vertrag. Ich werde diesen Vertrag erfüllen. Es gefällt mir hier."

BVB-Boss Watzke springt Favre zur Seite

Wie Favre versuchte auch Hans-Joachim Watzke, die Diskussion um die Zukunft des Schweizers schnell wieder einzufangen. "Es gibt aktuell überhaupt keinen Anlass für eine Trainerdiskussion", sagte der BVB-Geschäftsführer den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

"Wir spielen eine sehr, sehr gute Rückrunde, hatten vor dem Spiel 27 von 30 Punkten geholt, sind überall gelobt worden. Lucien Favre lag nichts ferner, als jetzt eine Diskussion loszutreten."

Pressestimmen zu BVB gegen Bayern (0:1)

Gazzetta dello Sport (Italien)

"Es ist immer Bayern: Treffer in Dortmund! Magie von Kimmich - und der Titel in Reichweite."

La Repubblica (Italien)

"Kimmich macht die Träume von Borussia Dortmund zunichte, die Bayern fliegen dem 30. Titel entgegen."

Blick (Schweiz)

"Noch sind sechs Runden in der Bundesliga zu spielen. Nach der 0:1-Pleite der Dortmunder gegen die Bayern ist das Titelrennen aber so gut wie gelaufen. Ob (BVB-Trainer Lucien) Favre nun in den nächsten Wochen auf BVB-Abschiedstour geht? Das bleibt abzuwarten."

The Guardian (Großbritannien)

"Joshua Kimmichs großartiger Kunstschuss brachte Bayern München einen 1:0-Sieg beim zweitplatzierten Borussia Dortmund im Klassiker, während der Bundesliga-Tabellenführer eine Hand auf den Titel legte. Kimmichs perfekt gewichteter Einsatz ließ Roman Bürki in der 43. Minute gestrandet zurück. Der Meister erzielte einen großen Sieg in einem leeren Stadion, in dem normalerweise 80.000 Fans Platz haben."

As (Spanien)

"Dann geschah etwas, das nur wenige verstanden. Favre nahm Brandt und Delaney, zwei Spieler, die Borussia Festigkeit gegeben hatten, raus, um Can und Sancho einzuwechseln. Und lieferte das Leder an die Bayern. Haaland setzte noch einmal nach, bevor er verletzt ausschied. Sein Schuss mit links (...) wurde von Boatengs Ellbogen abgelenkt, aber der Videoassistent sah keine Notwendigkeit einzugreifen. Der Rest war alles Bayern. Ein Bayern, das bereits nach der achten Salatschüssel in Folge greift."

Mundo Deportivo (Spanien)

"Die Bayern riechen nach Meister. Kimmichinho hat den Unterschied ausgemacht."

Sport (Spanien)

"Im 'Klassiker' haben die Bayern das Titelrennen in der Liga entschieden. Kimmich krönte sein Superspiel mit einem tollen Tor."

ABC (Spanien)

"Das Duell zwischen Lewandowski und Haaland hat Kimmich gewonnen. Er ist ein Fußballer so groß wie eine Kathedrale."

La Vanguardia (Spanien)

"Die Bundesliga ist bayerisch. Die Bayern gewinnen in Dortmund und haben den achten Ligatitel praktisch in der Tasche."

Globo Esporte (Brasilien)

"Hans Dieter Flick wusste sein Team zu strukturieren und die beiden Dortmunder Flügelspieler auszubremsen. Hakimi und Raphael Guerreiro wurden durch den Druck von Coman und Gnabry zu Gefangenen. Die Kapazität, die zentralen Pässe und die zu den Flügeln zu variieren, machte es Dortmund ebenfalls schwer. Flick war besser als Favre, und Bayern geht dem achten Titel in Folge in der Bundesliga entgegen."

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Erinnerungen an Favres Gladbach-Abgang

Gleichwohl dürfte die Debatte um Favre den BVB nun bis zum Saisonende begleiten. Die Reaktionen auf den TV-Auftritt des 62-Jährigen gaben einen Vorgeschmack. Auf die Sky-Frage, ob er Sorge vor neuerlicher Kritik habe, kein Titel-Trainer zu sein, hatte er geantwortet: "Das sagt man hier seit Monaten. Ich lese nicht die Zeitung, aber ich weiß, wie es geht. Ich werde darüber sprechen in ein paar Wochen."

Bei einem Grübler wie Favre stimmen solche Aussagen nachdenklich. Schließlich ist sein spektakulärer Abgang in Mönchengladbach im September 2015, als er die dortige Borussia nach sechs Pflichtspiel-Niederlagen zum Saisonstart überraschend und gegen den Willen der Vereinsführung verließ, noch in bester Erinnerung.

Matthäus' BVB-Orakel: Kovac für Favre

Die Schlussfolgerung von Sky-Experte Lothar Matthäus ließ nicht lange auf sich warten: "Ich habe mir gleich gedacht: Lucien Favre weg, Niko Kovac kommt. Das war mein erster Gedanke nach der Aussage gerade eben. Wahrscheinlich sucht Dortmund ab Sommer einen neuen Trainer."

Der Weltmeister von 1990 war nicht der einzige, der an ein nahes Ende der bisher knapp zweijährigen Amtszeit von Favre beim Revierclub glaubt. Flugs verwies die Bild-Zeitung auf angeblich monatelange Kontakte der BVB-Bosse zum ehemaligen Bayern-Coach Kovac, der besser "ins Malocher-Land Ruhrgebiet passe" als der vertraglich noch bis 2021 an die Borussia gebundene Schweizer.

Hummels zieht ernüchterndes Fazit

Nach dem Achtelfinal-Aus in der Champions League und im DFB-Pokal sowie der Pleite gegen die nun um sieben Punkte enteilten Bayern geht der mit großen Ambitionen in die Saison gestartete Revierclub wohl erneut leer aus. "Jetzt entscheiden nur noch die Bayern, ob sie es machen oder nicht", kommentierte Abwehrchef Mats Hummels die folgenschwere erste Heimniederlage der Saison.

Favre hat der Borussia zwar eine ansehnliche Spielkultur vermittelt und genießt bei den weitaus meisten Profis höchsten Respekt. Er gilt aber auch als Zauderer. Schon am Ende der vergangenen Saison, als sein Team einen zwischenzeitlichen Neun-Punkte-Vorsprung auf die Münchner noch verspielte, stand er in der Kritik. Und auch als der BVB Ende November zur Halbzeit mit 0:3 daheim gegen den SC Paderborn (Endstand 3:3) zurücklag, schien sein Schicksal besiegelt.

Kritiker werfen Favre fehlenden Mut vor

In den Wochen zuvor hatte Favre mit der Vorgabe der Vereinsführung gefremdelt, um den Titel mitspielen zu wollen. Das deuteten Kritiker als weiteren Hinweis auf den fehlenden Mut des zumeist wortkargen Schweizers, der sich nach ihrer Einschätzung vor allem in Spitzenspielen auf die Mannschaft überträgt. So blieb die eigentlich angriffsstarke Borussia in beiden Duellen mit den Bayern (0:4/0:1) torlos.

Vereinsboss Watzke sieht dennoch keine Anzeichen für eine Kapitulation des Fußball-Lehrers: "Ich habe Lucien Favre in den vergangenen Wochen als sehr fokussiert empfunden. Er machte überhaupt nicht den Eindruck, unter Druck zu stehen."