Hamburg. Nationaltorhüter spricht über Handball in Zeiten der Krise, die Erfolge der Spielergewerkschaft Goal und seine Pläne für die Zukunft.

Homeschooling mit den drei Söhnen, Homeoffice für seine neue Firma Drinkbetter, die seit der Präsentation in der Vox-Gründershow „Höhle der Löwen“ erfolgreich ein innovatives Nahrungsergänzungsmittel vertreibt, ein bisschen Handballtraining im Garten seines Hauses in Hamburg-Lokstedt mit seiner neuen Lebensgefährtin, Ex-Handball-Nationalspielerin Anna Loerper (35) – für Handball-Nationaltorhüter Johannes Bitter vom Bundesligaclub TVB Stuttgart, Weltmeister 2007, gibt es derzeit viel zu tun.

Und ganz nebenbei kümmert er sich als Vorstand der Spielergewerkschaft Goal (Gemeinschaftliche Organisation Aller Lizenzhandballer in Deutschland) um die Nöte und Sorgen seiner Kollegen nach dem Saisonabbruch der Handball-Bundesliga. Bitter, mit dem HSV Handball 2011 deutscher Meister und 2013 Champions-League-Sieger, kann sich zum Karriereende eine auch sportliche Rückkehr nach Hamburg vorstellen, sagte der 37-Jährige im Gespräch mit dem Abendblatt.

Hamburger Abendblatt: Herr Bitter, Fußball- und Basketball-Bundesliga wollen ihre Saison zu Ende spielen, die Handballer haben sich dagegen für einen Saisonabbruch entschieden. Halten Sie diese Entscheidung rückblickend weiter für richtig?

Johannes Bitter: Ich hielt sie damals für richtig, und ich halte sie immer noch für richtig. Es gab und gibt kein realistisches Szenario, das alle Fragestellungen, wirtschaftliche wie moralische und logistische zufriedenstellend für alle Beteiligten hätte beantworten können.

Fürchten Sie nicht, dass der Handball jetzt an Stellenwert verlieren könnte?

Bitter: Selbstverständlich ist es für jede Sportart extrem wichtig, sich regelmäßig einer breiten Öffentlichkeit, Sponsoren und Zuschauern zu präsentieren, und das möglichst im Fernsehen oder in Livestreams. Natürlich könnte jetzt ein Wettbewerbsnachteil gegenüber dem Basketball entstehen und die Schere gegenüber dem Fußball noch weiter auseinanderklaffen. Deshalb kommt es in dieser Situation für uns darauf an, dass die Liga ein durchdachtes Konzept für die neue Saison vorlegt, das für alle Eventualitäten, Spiele mit und ohne Zuschauern Lösungen vorsieht. Ich bin mir aber sicher: Die Handball-Bundesliga bleibt ein starkes Produkt.

Zuschauer- und Sponsoreneinnahmen machen im Handball rund 80 Prozent der Vereinsetats aus. Rechnen Sie jetzt damit, dass die Spielergehälter dramatisch sinken und die Kader drastisch verkleinert werden?

Bitter: Für konkrete Aussagen ist es viel zu früh. Bisher ist es nicht abzusehen, wie sich die Budgets in der nächsten Spielzeit entwickeln, wie sich Sponsoren verhalten. Denkbar wäre auch, dass sich die TV-Honorare erhöhen, einen Teil der Verluste ausgleichen, weil Fernsehübertragungen in absehbarer Zeit die einzige und exklusive Möglichkeit sein könnten, um Spitzenhandball zu sehen.

Sind die Spieler zu Gehaltseinbußen bereit?

Bitter: Wir als Spielergewerkschaft hatten empfohlen, von März an auf 20 Prozent des Gehalts zu verzichten. In den individuellen Einigungen zwischen Spielern und Clubs wurden sogar noch deutlich höhere Verzichte vereinbart. Was der Markt künftig hergeben wird, bleibt, wie gesagt, unklar. Eine Reduzierung der Etats ist denkbar. Ich gehe trotzdem davon aus, dass internationale Stars weiter gefragt sind, wenn nicht in der Bundesliga, dann im Ausland. Sie müssen sich keine Sorgen machen. Andererseits kann ich mir vorstellen, dass Vereine jetzt stärker auf junge deutsche Spieler setzen, auf die Verpflichtung vergleichsweise teurer Spieler aus dem Ausland verzichten. Das wäre ja nicht die schlechteste Entwicklung für den hiesigen Handballnachwuchs. In einer Krise liegt stets die Chance, Fehlentwicklungen zu korrigieren und neue Strukturen zu schaffen.

Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde

  • Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum und halten Sie Abstand von mindestens 1,50 Metern zu anderen Personen
  • Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
  • Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
  • Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
  • Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden

Die Spielergewerkschaft Goal existiert jetzt im zehnten Jahr. Als Sie antraten, wollten vor allem die Belastung der Spieler reduzieren. Viel scheint da bisher nicht passiert zu sein.

Bitter: Da sind Sie schlecht informiert. Als wir 2010 starteten, war der internationale Kalender praktisch bis zu Olympia 2016 in Rio durchgetaktet. In dieser Zeit waren nur marginale Änderungen möglich. Inzwischen haben wir es geschafft, den Sommer weitgehend freizuhalten. EM- oder WM-Qualifikationsspiele bestreiten in dieser Zeit nur noch 1B-Nationalmannschaften, deren Spieler oft nicht so belastet sind wie die der Spitzennationen. Die meisten Profis haben jetzt im Sommer bis zu sechs Wochen Zeit zum Regenerieren, früher waren es oft nur zwei. Und wir haben seit Längerem zwei stimmberechtigte Spielervertreter in der Exekutive der Europäischen Handballföderation sitzen. Wir können unsere Interessen inzwischen sehr gut vertreten, sie werden auch zunehmend berücksichtigt. Natürlich gibt es weiter eine Abwägung zwischen berechtigten kommerziellen Interessen und möglichen Überbelastungen für uns Spieler. Da müssen und werden wir Kompromisse finden. Aber genauso müssen wir jetzt im Blick haben, dass wegen der Corona-Krise die nächste Saison eventuell kürzer und noch geballter stattfinden könnte. Auch hier müssen die Interessen abgewogen werden.

Was sind Ihre nächsten Ziele?

Bitter: Die aktuelle Situation aufnehmend, könnte ein nächster wichtiger Schritt die Einführung eines Tarifvertrages im deutschen Handball sein. Darin könnten mögliche Kurzarbeit, ein etwaiger Saisonabbruch und andere Unabwägbarkeiten geregelt werden, die momentan mühsam mit jedem einzelnen Spieler ausgehandelt werden müssen.

Wie hoch ist Ihr Organisationsgrad?

Bitter: Mehr als die Hälfte der Spieler der Ersten Bundesliga sind bei uns Mitglied. In den vergangenen drei Jahren haben sich uns vermehrt Spieler angeschlossen, weil sie darin viele Vorteile über die Vertretung ihrer Interessen hinaus erkannt haben. Wir können als Organisation bei vielen Anbietern bessere Bedingungen aushandeln, bei Versicherungen etwa beim Krankenhaustagegeld oder im Falle einer Invalidität.

Herr Bitter, Sie sind 2011 aus der Nationalmannschaft zurückgetreten, weil Sie mehr Zeit für Ihre Familie haben wollten. Vor einem halben Jahr sind Sie in die Auswahl zurückgekehrt, haben im Januar eine starke EM gespielt (Deutschland wurde Fünfter). Wie kam es zu Ihrem Sinneswandel?

Bitter: Damals wurde mir das alles zu viel, wir hatten unsere ersten zwei Kinder (heute sind es drei, die Red.), ich hatte seit meiner Jugend jede Maßnahme mitgemacht, ich brauchte mal eine Pause. Nach Olympia 2016 war ich grundsätzlich wieder bereit, für die Nationalmannschaft zu spielen. Ende 2019 war es dann so weit.

Wie haben Sie es geschafft, über diesen langen Zeitraum Ihre Leistung auf diesem hohen Niveau zu halten?

Bitter: Ich war zum Glück in den vergangenen Jahren selten verletzt, wir haben im Training viel Wert auf Stabilitätsübungen gelegt, und ich hatte genug Zeit zum Regenerieren. Auch in der Saison bin ich immer für zwei Tage in der Woche aus Stuttgart nach Hamburg zu meinen Kindern geflogen. Das hat mir sehr geholfen.

Mit dem Isländer Alfred Gislason ist Ihr früherer Magdeburger Coach jetzt Bundestrainer. Ein Vorteil für Sie?

Bitter: Alfred Gislason habe ich sehr viel zu verdanken. Er hat mich als 20-Jähriger in Magdeburg in die Bundesliga reingeschmissen, mir damals viel Spielzeit gegeben. Wir verstehen uns gut, aber ich muss meine Leistung bringen, alles andere zählt bei ihm nicht.

Der deutsche Handball will jetzt eine Torwart-Philosophie begründen. Der Schwede Mattias Andersson (42), der bis 2018 für Flensburg spielte, leitet das Projekt, bei dem auch Sie eines von acht Mitgliedern sind. Deutschland hatte immer gute Handballtorhüter, warum jetzt diese Maßnahme?

Bitter: Weil das meistens individuelle Karrieren waren, die eher dem Zufall als einer gemeinsamen Grundüberzeugung entsprangen. Das soll sich ändern. Beispielsweise soll der Stellenwert des Torwarts neu und klar definiert werden, schon von der Jugend an. Früher war es, übertrieben gesagt, so, dass derjenige, der als Feldspieler nicht überzeugen konnte, ins Tor musste. Wir wollen erreichen, dass jeder ins Tor will, weil es im modernen Handball mit die wichtigste Position ist.

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    Wie lange wollen Sie noch im Tor stehen?

    Bitter: Das entscheide ich von Jahr zu Jahr. Mein Vertrag in Stuttgart läuft im Juni aus, wir verhandeln gerade über einen neuen. Die Olympischen Spiele 2021 in Tokio bleiben ein Ziel von mir.

    Und danach? Wäre eine Rückkehr nach Hamburg möglich?

    Bitter: Ich schließe momentan nichts aus. Nach meinem Karriereende will ich auf Dauer nach Hamburg zurückkehren, warum zuvor nicht noch mal für den HSV Hamburg spielen, bei dem ich mit die schönsten Jahre meiner Karriere verbracht habe? Ich war in dieser Saison als Zuschauer in der Halle, die Atmosphäre hat mir gut gefallen. Und Torsten Jansen, mit dem ich lange zusammengespielt habe, scheint als Trainer einen sehr guten Job zu machen.